Kapitel 9.1 - Ein vielversprechendes Angebot

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Echo

Kleine, grünleuchtende Sterne fielen von der Decke des Kanals. Ihre winzigen Flügel konnten sie nicht lange benutzen, weshalb sie immer wieder ein Stück durch die Luft segelten, bevor sie sich wieder fingen und weiter schwebten als flogen. Unzählige von ihnen leuchteten an der Decke noch auf, die Anzahl der Fliegenden war allerdings genauso schwer zu sagen.

Ich saß ein Stück von der Baracke entfernt auf einer alten Holzkiste und schaute den Lichtern dabei zu. Neben mir auf dem Boden stand eine alte, gläserne Öllampe, deren schwaches Feuer den Glanz meiner Taschenuhr reflektierte, als ich sie locker in der Hand hin und her schaukeln ließ. Mit der anderen Hand hielt ich einen winzigen Stoffbeutel umschlossen. Sein weicher Inhalt presste sich durch meinen Griff zusammen und ein leicht beißender Geruch stieg von ihm aus. Ruhig ließ ich die Taschenuhr weiterschwenken, den Blick dabei nach oben gerichtet, um dem luftigen, wilden Tanz der Glühwürmchen zu zuschauen.

Ich ließ meine Taschenuhr bewegungslos in der Luft stehen, in dem Moment als das erste Glühwürmchen mich erreichte. Es landete sanft auf meinem Finger, sein glühendes Hinterteil leuchtete vor Freude noch mehr auf und ließ das Licht auf seinem dünnen, bronzefarbenen Körper reflektieren.

,,Hallo Alpha", flüsterte ich und strich dem grazilen Maschinenwesen über den winzigen Kopf. Lächelnd schaute ich wieder an die Decke, wo sich weitere Glühwürmchen langsam vom tiefliegenden Schatten lösten. ,,Haben du und deine Familie Hunger?"

Ohne mich groß zu bewegen, griff ich in den kleinen Beutel und zog eine Handvoll von dem kleinen, brüchigen Inhalt raus. Diesen wenigen Anteil hielt ich Alpha auf offener Handfläche entgegen. Sein grünliches Leuchten nahm an Intensität zu, als er die klein zerbröckelte Kohlestücke sah. Mit zuckenden Flügeln sprang er von meiner Hand auf die andere und begann nacheinander die kleinen, schwarzen Stücke mit seinem dünnen Mund zu schnappen.

Ihm folgten weitere Glühwürmchen und keine fünf Sekunden später sah es so aus, als würde meine Hand leuchten. Damit nicht noch mehr Glühwürmchen auf meiner überfüllten Hand Platz nehmen konnten, nahm ich eine weitere Handvoll Kohle und warf sie vor mich auf den Boden. Alphas weitere Verwandten glitten von der Decke und den Wänden des Kanals herab und nahmen auf dem Boden Platz. Der Boden sah aus wie eine Wiese, deren Gras aus Licht bestand.

Der Tunnel war bis auf mich und meinen leuchtenden Freunden leer und wahrscheinlich traute sich nun auch niemand mehr einen Fuß hier reinzusetzen. Jeder der am Tunnel vorbeilief dachte vermutlich ,,Das Glühwürmchen ruft wieder einmal seine Verwandten" und dann wollte niemand hier her, um mit mir in Verbindung zu kommen. Es gab viele Leute die hier als verrückt bezeichnet wurden und wegen meiner Vorliebe mich um die Glühwürmchen zu kümmern, trug auch ich den Status einer Verrückten.

Eigentlich war es auch nicht nötig die mechanischen Glühwürmchen zu pflegen, da sie immerhin aus Metall waren. Sie brauchten keine Nahrung und kein Wasser, diese Kohle war nur ein Leckerbissen für sie. Dennoch tat ich es gerne, denn es gab kaum so etwas Schönes wie diesen anmutigen, schönen und eleganten Tierchen zu zuschauen und ihnen seine Sorgen, Gedanken und Ängste zu erzählen. Die Glühwürmchen waren gute Zuhörer und obwohl man nicht mit Sicherheit sagen konnte, dass sie einen verstanden, so stellte ich mir gerne vor das sie meine Worte verstanden und akzeptieren konnten. So hatte ich den Glühwürmchen schon von einigen Dingen erzählt, die ich sonst nicht so einfach jemanden anvertrauen würde und hatte ihnen auch von meiner Vergangenheit und meiner verlorenen Familie erzählt.

Die plötzlichen, sich nähernden Schritte wurden durch die Stille im Kanal wie ein Kanonenschuss hin und her geworfen. Die leeren Wände schleuderten das Geräusch herum und ließen die Glühwürmchen aufschrecken. Wie ein aufgeschreckter Schwarm Vögel stoben sie auseinander, um sich an den Wänden oder der Decke niederzusetzen. Dadurch wurde mir der Weg freigemacht und ich konnte einen überraschten Blick auf die näherkommende Person erhaschen.

Daegor - Blut und SchimmerWhere stories live. Discover now