Kapitel 28.1 - Wahre Absichten

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Echo

Dafür, dass es hieß, man hätte mich aus einem Gefängnis befreit, fühlte ich mich auf dem Schiff dennoch wie eine Gefangene. Seit Tamara mich aus Pennys Zimmer geholt hatte, stand ich unter ständiger Beobachtung. Tatsächlich war ich noch einmal auf der Krankenstation untersucht worden und kurz danach auf das fertiggemachte Zimmer gebracht worden. Das Zimmer lag in einem kurzen Gang, wo sich die Zimmer der anderen vier befreiten Menschen befanden. Der Gang wurde ständig kontrolliert und alleine konnte ich mir das Schiff auch nicht mehr anschauen.

Nachdem ich fast drei Stunden auf dem kleinen Zimmer verbracht hatte, hatte ich die Idee gehabt aufs Oberdeck zu gehen. Und beim Versuch den Gang – der in einer Sackgasse endete – zu verlassen, hatte sich gleich einer der Wachleute an mich geheftet. Zwar war er mir in einem respektvollen Abstand nachgelaufen, dennoch war die Überwachung nervig.

Selbst die Aussicht vom Deck aus, hatte nicht gegen das unwohle Gefühl der Beobachtung helfen können. Fast eine Stunde lang hatte ich draußen an der frischen Luft gestanden, hatte mich gegen das Geländer gelehnt und runter auf die Welt geschaut, über die wir hinwegflogen. Zu meiner Überraschung flogen wir mitten im Luftraumradar des Imperiums, aber wahrscheinlich fiel das Schiff dadurch nicht auf. Und so konnte ich einen ungehinderten Blick auf meine momentane Umgebung werfen. Über uns zogen die Wolke wie Watte auf blauer Seide, viel näher und beinah kam ich in die Versuchung die Hand auszustrecken und zu versuchen nach ihnen zu greifen. Und währenddessen veränderte sich mehrere Kilometer unter mir die Landschaft. Felder wurden zu Wälder, Wälder wichen wieder zu Feldern zurück und aus Feldern wurden Dörfer oder Städte.

Da wir in Richtung Süden flogen, wurden die Wälder allerdings kleiner und mehr breite, freie Flächen erstreckten sich über den Boden. Nach zwei Tagen der Reise müssten wir innerhalb der nächsten Tage die Grenze zum Sumpf- und Seenland Prodias erreichen. Während meiner Untersuchung hatte Tamara verraten, dass die Windrose in eins der ländlichen Gesellschafts-Dörfer flog.

Was mich dort erwarten würde, konnte ich nicht erahnen, ich konnte mir nicht einmal vorstellen was mich sonst noch auf dem Schiff erwartete. Und vor allem: Wie würde die Blinde Gesellschaft darauf reagieren, wenn sie erfuhren das Halastjarni nicht mehr da war? Möglicherweise hätten sie dann gar kein Interesse mehr an mir und da ich auch kein Daegor mehr, sondern ein ganz normaler Mensch war, würden sie mich vielleicht wieder verstoßen. Neu wäre dies nicht für mich. Schon mehrere male hatte ich erwartet Unterstützung und ein zu Hause zu bekommen und am Ende hatte es mir nur Leid gebracht.

Gegen Abend hatte sich das Gefühl der ständigen Beobachtung nicht verändert. Zusammen mit meinen ehemaligen Leidgenossen war ich in die Kantine geführt worden, wo ein herrliches Essen gewartet hatte: Hackbraten mit Kartoffeln, gekochtem Gemüse und dazu eine dunkle Soße. Eine ordentliche Mahlzeit lag lange zurück, weshalb mir dieses Essen wohl wie das beste vorgekommen war, da sich jemals hatte essen dürfen. Aus irgendeiner Ecke konnte man von einem Mitglied der Gesellschaft eine leise Beschwerde hören, dass das Essen der Kantine wieder einmal nicht gut gewesen sei, aber ich hatte schnell nicht mehr hingehört. Zugegeben waren die Portionen selbst mit Nachschlag nicht besonders, aber in Ghost hätte man sich für so ein Essen ein Bein ausgerissen.

Während dem Essen herrschte an meinem Tisch ein unangenehmes Schweigen. Kurz hatte ich überlegt ein Gespräch zu beginnen, doch die anderen ehemaligen Gefangen waren zu versteift und wirkten irgendwie verloren. Bei zwei von ihnen herrschten auch jetzt noch Angst, so dass sie bei jedem Geräusch und jeder fremden Bewegung zusammen zuckten. Prellungen und Quetschungen in Gesicht und Arme verrieten mir, dass sie weniger Glück als der Rest von uns gehabt hatten – sie waren schon gefoltert worden. Eine von ihnen, die Frau mit den borstigen, kurz geschnittenen Haaren, war ein Daegor. In ihrer noch vorhandenen Furcht glänzte immer wieder der Schimmer eines Veza in ihren Augen auf

Daegor - Blut und SchimmerWhere stories live. Discover now