Kapitel 31.2 - Worte einer Seele

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Echo

Mein erster Gedanke war, dass dies ein Traum war. Es musste einfach so sein, es wäre verrückt wenn es kein Traum wäre. Damals, als mein Dorf zerstört worden war, hatte ich selbst meine toten Eltern gefunden. Ich hatte bis in die Nacht bei ihnen gesessen, in der Hoffnung das ein Wunder geschah und beide mit geheilten Wunden wieder aufstanden. Aber nichts war geschehen, deswegen war es unmöglich, dass mein Vater hier vor mir stehen konnte.

Und dennoch stand er hier, vor mir und unversehrt, als wäre nie etwas geschehen. Würde von ihm nicht dieses merkwürdige Leuchten ausgehen, hätte er wie ein normaler, lebendiger Mensch ausgesehen. Sein Anblick brachte alte Gefühle und glückliche Erinnerungen hervor. Es brauchte nur sein sanftes Lächeln und schon fühlte ich mich wieder wie das kleine Mädchen, das sich über die Nähe und Liebe seines Vaters gefreut hatte.

Noch mit schwerem Atem und großen Augen trat ich näher. Meine Füße fühlten sich schwer wie Blei an und meine Beine kamen mir schwach vor. Nach nur ein paar Schritten blieb ich allerdings wieder stehen. Leichte Angst überkam mich. Wenn dies wirklich ein Traum war, würde mein Vater dann verschwinden sollte ich ihm zu nah kommen? Oder würde ich aufwachen und nie wieder in diesen Traum geraten?

,,Hast du Angst?", fragte mich die Gestalt meines Vaters.

Als ich seine unverwechselbare Stimme voller Güte und Kraft hörte, musste ich lächeln und als er lachend einen Schritt näher kam, trieb es mir die Tränen in die Augen. Ich sah wie er eine Hand ausstreckte und obwohl in mir immer noch die Angst herrschte, diesen Traum frühzeitig zu verlassen, streckte auch ich die Hand aus. Als sich seine Hand um meine schloss, geschah zu meiner Überraschung nichts. Meine Hand wurde von einem schwachen Leuchten umhüllt, während ich Wärme vernahm. Ich glaubte sogar die Schwielen zu spüren, die mein Vater zu Lebzeiten durch seine handwerkliche Arbeit im Dorf bekommen hatte.

,,Das ist ein Traum, oder?", fragte ich und unterdrückte weitere Tränen. Mit Sorge blickte ich zu meinem Vater hoch.

,,Wäre es ein Traum, so würde ich mich besser fühlen", antwortete Dad. Mit einem warmen Lächeln hob er seine andere Hand und legte sie an meine Wange. Und wieder spürte ich Wärme und seine rauen Hände, als würde mich mein wahrer Vater berühren. ,,Dann wärst du jetzt nicht auf dich allein gestellt. Aber du warst ja schon immer meine starke Geister-Wölfin."

Die starke Geister-Wölfin...Nur mein Vater hatte mich so genannt, jedes Mal nachdem ich ihn daran gebeten hatte mir die Geschichte über die Wölfin Echo zu erzählen.

,,Dad!"

Blind vor Tränen konnte ich gar nicht anders und fiel der Lichtgestalt um den Hals. Schluchzend vergrub ich mein Gesicht in seiner Schulter während sich kräftigen Arme um mich legten. Ich spürte wie ein Zittern durch den leuchtenden und robusten Körper ging und wie er zitternd einatmete, als er sein Gesicht in mein Haar vergrub. Allein durch diese Umarmung fühlte ich mich wieder wie ein Kind. Ein Kind das Angst vor Monstern und Ungewissheit hatte und deswegen in den Armen seines Vaters nach Schutz und Geborgenheit suchte. Dieses Gefühl breitete sich soweit aus, dass sämtliche Lasten von meinen Schultern fielen und mein Kopf von Sorgen geleert wurde.

Solange, bis ich aus dem Augenwinkel die strahlende Hand meines Vaters sah. Sofort trat ich zurück und entzog mich der Umarmung. Dabei wischte ich mir schnell mit dem Ärmel meiner Jacke übers Gesicht, um die Tränen und ihre Spuren zu entfernen – wahrscheinlich waren die Spuren aber immer noch zu sehen. In Dads Gesicht konnte ich kurz einen besorgten Blick erkennen, doch er wich schnell zurück und in seinen Augen sah ich wieder Ruhe und zusätzlich noch Verständnis.

,,Du bist tot", sagte ich dann und bemühte mich darum keinen Schmerz in der Stimme zu zeigen. ,,Du bist tot! Wie ist das hier möglich?"

,,Mein Körper ist tot, ja, aber meine Seele nicht. Eine Seele kann nicht getötet werden." Sanft nahm er wieder meine Hand und trat zur Seite. So blickten wir zusammen zum Fluss, der unbeirrt weiter Wellen schlug und leuchtete wie ein strahlend blauer Himmel. Und die weißen Steine schienen die Wolken zu sein. ,,Magie beschützt einen Menschen zu seinen Lebzeiten und auch nach seinem Tod. Und für die Seelen ihrer Kinder – für magiebegabte Menschen – gibt sie in Form vom Fluss der Magie eine Art Zufluchtsstätte."

Daegor - Blut und SchimmerWhere stories live. Discover now