Kapitel 9.2 - Für wen würdest du...

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Echo

Langsam fiel die Tür hinter mir ins Schloss. Ich fühlte mich wie in Trance und der Beutel mit den Münzen verstärkte die Trance. Für eine Einbruch sollte ich insgesamt einhundert Dimmen bekommen? Allein die Summe aus fünfzig Dimmen hatte ich noch nie in meinem Leben bekommen, geschweige denn jemals gesehen oder in der Hand gespürt.

Das ist wahnsinnig! Frustriert warf ich den Beutel in die nächstbeste Ecke und lehnte mich seufzend mit dem Rücken gegen die Tür. Ich sollte das nicht tun, warum also denke ich darüber nach?

Es war wirklich wahnsinnig und ich war wahnsinnig verzweifelt. Entweder blieb ich morgen Nacht hier und behielt die fünfzig Dimmen und mein Leben oder ich half Gingo, brachte mich in Lebensgefahr und verdiente damit Essen und weitere fünfzig Dimmen. Theoretisch sollte ich bei der ersten Option bleiben, doch meiner Familie fehlte Geld und Essen. Luna war gerade unterwegs, um im Markt des Tunnels mit unseren wenigen Dimmen ein paar essbare Sachen zusammenzukratzen und ich befürchtete, dass as sie nur wenig mitbringen würde.

,,Dieses Mal bist du ruhig?", flüsterte ich und legte meine zitternde Hand auf meiner Brust ab. Ich spürte unter meiner Hand mein Herz schlagen: Dumpf und in einem regelmäßigen Takt. ,,Ist dir diese Entscheidung meines Lebens egal?"

Keine Antwort.

Wahrscheinlich fand Halastjarni, dass er heute schon genug gesprochen hatte. Wenn es ihm außerdem nicht egal wäre, hätte er schon längst damit begonnen mich zu quälen. Und obwohl ich diese Qual hasste, so wünschte mir dennoch sie nun zu spüren und zu wissen, dass ich mit meiner schweren Entscheidung nicht allein war. Doch ich war allein und musste auch allein mit meinem Gewissen fertig werden.

,,Echo?", hörte ich Dario rufen.

,,Nicht so laut!", rief leiser zurück.

Ich stellte die Lampe in meiner Hand schnell auf dem Tisch ab und trat dann in Darios Zimmer. Er sollte nicht so laut werden. Das würde zu einem seiner Stimme und Gesundheit nicht guttun und zum anderen sollte er den schlafenden Tobi nicht wecken. Bis eben hatte Dario selbst auch geschlafen und so sah er auch aus. Sein Haar verwuschelt, seine Augen noch halb von einem müden Schleier verdeckt und sein Körper verdeckt von der Decke und tief eingesunken in der alten Matratze.

Vorsichtig setzte ich mich neben Dario auf die Bettkante. Ich schaute ihn nicht an, sondern schaute auf meine Hand, die vor wenigen Sekunden noch den Beutel mit den Dimmen gehalten hatte. ,,Ich wollte dich nicht wecken."

,,Das hast du nicht", erwiderte Dario und setzte sich mit einem tiefen Seufzen auf. Obwohl er meinte das ihm nur seine alten Knochen wehtaten, so war jedem anderen Bewohner der Baracke klar, dass es die Krankheit war, die ihn immer weiter aussaugte und nicht sein Alter. ,,Das hat eher der junge Mann getan, mit dem du dich lauthals draußen gestritten hast."

,,Wir haben uns nicht gestritten. Wir hatten nur eine kleine Meinungsverschiedenheit."

,,Das ist die Formulierung eines Streits, meine Liebe."

Schmunzelnd hob ich den Blick. Wie hatte ich nur glauben können das irgendetwas Darios Supergehör entging. Es hatte einen Grund gegeben weshalb er damals im KreuzClan als Späher die Diebe auf nächtlichen Beutezügen begleitet hatte.

Eine kalte Hand legte sich auf meine Schulter. Kurz zuckte ich wegen der überraschten Kälte zusammen. Wie konnte jemand mit so starkem Fieber nur so kalte Hände haben? Wahrscheinlich weil der nahe Tod kalt ist. ,,Was ist los, Echo? Dich bedrückt doch etwas."

,,Ich mache mir nur Gedanken."

,,Und worüber? Willst du es nicht dem alten Dario erzählen?"

Ich zögerte einen Moment. Es wäre schön mit jemanden zu reden, der Verständnis für meine schwierige Entscheidung hatte. Mit Luna könnte ich so eine gefährliche Sache nicht besprechen und Tobi würde es gar nicht erst verstehen. Aber auf der anderen Seite machte ich mir Gedanken, ob es nicht auch Dario schaden könnte. Am Ende würde er sich Sorgen um mich machen und nach alldem was er für mich getan hatte, wollte ich nicht, dass er sich meinetwegen sorgte. Niemand sollte es tun, denn jeder der sich irgendwann Mal um mich gesorgt hatte war nun tot.

Daegor - Blut und SchimmerWhere stories live. Discover now