Kapitel 22 - Krähe und Taube

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Fynch

Es war lange her, dass ich der Station der Heiler einen Besuch abgestattet hatte. Ich gab mir auf meinen Aufträgen Mühe keine waghalsigen Aktionen durchzuführen, um mich nicht zu verletzen. Das letzte Mal war ich wegen einer ausgekugelten Schulter auf der Station gewesen. Es war vor sechs Jahren gewesen und dennoch hatte ich vergessen, weshalb ich mir die Schulter ausgekugelt hatte. Demnach war es wohl kein wichtiger Auftrag gewesen.

Aber mein jetziger Auftrag war mir wichtig. Mir war Echo wichtig, deswegen hatte ich seit unserer Ankunft im Hauptquartier die Heiler-Station nicht mehr verlassen. Die angeforderte Unterstützung war fast eine Stunde nach dem ich den Ræna losgeschickt hatte eingetroffen. Sie waren schnell da gewesen, aber nicht schnell genug, um Echo vor einer starken Silber-Vergiftung zu schützen. Sie war zusammengebrochen und ihr Puls war drastisch gesunken. Als der Trupp mit einem Heiler ankam, hatte er sofort die offene Stichwunde geschlossen und versucht die Vergiftung so gut wie möglich zu behandeln.

Und dennoch lag sie immer noch auf der Station und das bewusstlos. Wir waren seit Stunden hier und obwohl Echos Blut von dem silbrigen Gift gereinigt worden und sie somit in Sicherheit war, war sie einfach noch nicht aufgewacht. Jede halbe Stunde trat ein medizinischer Helfer an ihr Bett, um alle Werte zu überprüfen. Alles war gut, alles war im normalen Bereich aber die unterdrückte Daegor-Magie schien ihre Finger im Spiel zu haben. Es hieß, dass Magie bei einem verwundeten Körper die Energie an sich nehmen konnte, um sie für eine selbstständige Heilung zu nutzen und da so etwas ähnliches bei Echo geschah, schien die Unterdrückungs-Rune an langsam ihre Wirkung zu verlieren.

Mich hatten die Heiler natürlich auch behandelt, doch es war schnell vorbei gewesen. Das Einzige was sie für mich hatten tun können, war den Stumpf zu untersuchen, der einst mein Arm gewesen war und mir Medikamente gegen Phantomschmerzen zu geben. Nun hing der Stumpf in einer Schlinge, die ich tragen musste und die trotz mehrfacher Veränderung am Genick drückte. Laut meiner behandelnden Heilerin wurde seit meiner Ankunft auf Befehl von Lady Ascillia an einer Armprothese gebaut. Die Alchemisten taten es in ihrem Turm und nachdem schon mehr als zehn Stunden vergangen waren, müssten sie bald ihr Werk fertig haben.

Seufzend stand ich vom hölzernen Stuhl auf und machte ein paar Schritte auf der verlassenen Station. Diese Etage war allein für Scalras, die Stationen der Mitarbeiter, Soldaten und Gardisten befanden sich auf den anderen Stockwerken des Turmes. Deswegen war es hier still und einsam. Mir machte die Einsamkeit allerdings nicht aus. Im Gegenteil: Gerade musste ich über ein paar Sachen nachdenken und das konnte ich am besten, wenn dabei niemand um mich herum wuselte.

Schon seit gestern hatte ich einen Gedanken, einen Plan, im Kopf. Bald würde mein Gespräch mit Lady Ascillia anstehen und da würde ich verlangen zu erfahren was genau sie mit Echo und ihrer Feuerseele vorhatte. Und egal was es war, ich würde sie darum bitten Echo gehen zu lassen. Damit würde ich mich zum ersten Mal gegen meine Vorgesetzte stellen und gezielt gegen die eisernen Regeln der Scalras brechen, aber dieses Risiko ging ich gerne ein. Echo war nicht einmal eine richtige Abtrünnige und in ihr befand sich keine Gefahr für die Gesellschaft, warum also sollte sie grundlos hinter imperialen Gittern landen? Oder schlimmer...Vielleicht wollte das Imperium ihr den erfundenen Mord am Imperator in die Schuhe schieben.

Denk nicht daran! Ermahnte ich mich selbst für den Gedanken. Aufgewühlt trat ich an eins der großen Fenster. So grausam ist nicht einmal Lady Ascillia. Und vielleicht kann ich ihre Meinung ändern. Egal was kommt, ich muss es versuchen.

Mit einem schweren Seufzen rieb ich mir den Nacken. Wie war es eigentlich zu dieser rebellischen Ansicht und den Plänen gekommen? Vor wenigen Tagen noch hätte ich Echo ohne zu zögern getötet, wenn es mein Auftrag gewesen wäre. Niemals hätte ich ihre Worte an mich rangelassen oder über die Person an sich nachgedacht. Wäre ich noch derselbe wie vor ein paar Tagen, hätte ich schon längst die Station verlassen und würde nicht darauf warten das sie aufwachte. Es war unglaublich was dieses Mädchen geschafft hatte. Sie hatte es geschafft bei mir für Zweifel zu sorgen, ohne das sie es gewollt hatte.

Daegor - Blut und SchimmerWhere stories live. Discover now