Kapitel 10 - Zweifelnde Vision

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Fynch

Obwohl ich heute Morgen noch müde gewesen war, so konnte ich die Ruhe der Nacht nicht genießen. Seit Wochen lag ich endlich wieder in meinem Bett, spürte die weiche Matratze und den frischen Duft der Decke und des Kissens. Und dennoch konnte mein Inneres nicht zu Ruhe kommen und den wohlverdienten Schlaf annehmen. Lag es an der Aufregung wegen Ivy oder noch wegen der Behandlung der Geist-Beschwörer?

Ein schmerzliches Stöhnen entwich meinen Lippen, als bei der Erinnerung der Behandlung meine Schläfe wieder anfing unangenehm zu pochen. Die Erklärung des behandelnden Beschwörers war ein Wachtraum gewesen, er hatte mir einen komisch schmeckenden Trank für die nächsten sieben Tage verschrieben und danach gleich mit der Behandlung begonnen. Fast fünf Stunden danach hatten die Schmerzen noch angehalten, wodurch ich selbst keine Zeit gehabt hatte Mikhael zu besuchen oder mir aus der Kantine etwas zum Essen zu holen. Hunger verspürte ich zwar keinen, doch möglicherweise wäre es schlau einen Schluck Wasser gegen die Kopfschmerzen zu trinken.

Entschlossen stand ich auf und betrat das Bad, das zu meinem Zimmer gehörte. Es war wegen der Dusche etwas größer als das Bad, welches mir auf dem Luftschiff zur Verfügung gestanden hatte, aber ansonsten genauso trostlos. Ich füllte ein kleines Glas mit Wasser und trank es in einem Zug leer. Eigentlich wollte ich mir gleich darauf das Glas ein zweites Mal füllen, doch ich hielt inne als ich eine Tür hörte, die zugeschlagen wurde. Verwirrt ließ ich meine Hand sinken und vernahm leise Schritte die eilig den Gang entlangeilten.

Seufzend stellte ich das Glas auf dem Waschbecken ab. Ivy. Eigentlich hatte ich gedacht sie hätte ihre nächtlichen Ausflüge aufgegeben, aber anscheinend war es einen Zwang, den meine kleine Schwester besaß. Kurz überlegte ich, ob ich ihr folgen sollte und keine Sekunde später stürmte ich zurück in mein Zimmer und griff nach der erstbesten Jacke, die ich mir überziehen konnte. In der Nacht war es immer etwas kühler, ganz egal ob es Hochsommer war. Ich schlüpfte noch schnell in ein Paar einfachere Schuhe, setzte mir meine Maske auf und öffnete dann leise meine Zimmertür.

Der Gang lag dunkel und leer vor mir. Kein Licht ging an, als ich aus meinem Zimmer trat und in zügigen Schritten zum Aufzug lief. Ich brauchte in der Dunkelheit auch kein Licht. Dank meiner Magie und meiner erweiterten Wahrnehmung konnte ich mich im dunklen genauso gut orientieren wie am helllichten Tag. Obwohl die Wahrscheinlichkeit niedrig war anderen Menschen zu begegnen prüfte ich, ob meine Maske gut und sicher saß, da ich sie in Eile angezogen hatte. Draußen auf dem Gelände patrouillierten bei Nacht ein paar kleine Truppen aus sieben Gardisten, die sich aufteilten und alle Gebäude nach möglichen Eindringlingen kontrollierten. Sollten sie mich sehen würden sie mir nichts tun, doch wahrscheinlich würden sie später Lady Ascillia darüber benachrichtigen und dann müsste ich ihr erklären, weshalb ich nachts draußen war.

Draußen umhüllte mich die frische Nachtluft wie eine leichte Decke. Irgendwo über mir am Himmel warfen der Kristallmond und der Saphirmond ihre Lichter durch eine neblige Wolkendecke. Dass der Saphirmond schien bedeutete das es schon nach Mitternacht war. Als ich kurz den Blick gen Himmel richtete, sah ich wie der bläuliche Glanz des Saphirmondes am Himmel aufleuchtete. Der Schein des Kristallmondes war so hell und klar wie der Schein der Sonne.

Im Schutz vom Schatten der Zentrale schlich auf die Rückseite des Gebäudes. Von weitem sah ich das Licht der Laternen von den Gardisten. Noch waren sie weit genug entfernt, doch sie kamen näher und deswegen musste ich mich beeilen. Auf der Rückseite des Gebäudes befanden sich an der Wand in gleichmäßigen Abständen metallene Sprossen, die einen hoch aufs Dach bringen konnten. Eigentlich waren sie nur für Arbeiter gedacht, die ab und zu hochstiegen, um nach möglichen Schäden zu schauen. Seufzend legte ich den Kopf in den Nacken und schaute an der Wand hoch. Ich hasste es grundlos in die Höhe zu steigen, aber wenn irgendetwas Ivy betraf, hatte es immer einen Grund.

Daegor - Blut und SchimmerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt