Kapitel 29*

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Das Déjà vu zurückhalten klappt aber natürlich nicht mehr. Dafür habe ich schon zu sehr daran gedacht.

***

Joannas Sicht

Selbst mit dem Wissen wahrscheinlich keinen mehr zu haben, mal abgesehen von Em, kann ich nicht weinen. Die Tränen sind ganz einfach "leer". Ich fühle mich ausgelaugt. Versetzt euch mal in meine Lage, beide Eltern gestorben durch einen Autounfall, bei dem einen ist man selbst Schuld, bei dem anderen ein anderer. Was würdet ihr dann machen? Also ich werde mir erst einmal ein Ticket nach Phoenix buchen. Ich muss stark sein, stark für mich und meine Mutter. Für die Frau, die mir in meiner schwersten Zeit beigestanden ist und damals für mich stark war. Wenn ich es schon nicht damals bei meinem Dad geschafft habe, muss ich es wenigstens jetzt schaffen!

Ich gehe die Treppe hoch und setze mich auf mein Bett. Mein Laptop, das auf dem kleinen Tisch neben mir liegt, nehme ich zur Hand und fahre ihn hoch. Direkt buche ich Tickets, ob es ein 1. Klasse Flug ist, ist mir so ziemlich egal, Hauptsache der Flug geht noch heute.

***

Nachdem ich einen Flug gebucht habe, der frühste geht um 19 Uhr, schnappe ich mir mein Handy, damit ich Em anrufen kann. Egal wie sehr ich sie nicht stören möchte, sie wird sich Sorgen machen, wenn ich einfach spurlos verschwinde. Letzten Endes schreibe ich ihr jedoch nur eine SMS, in der steht, dass ich in ein paar Minuten bei ihr bin.

Ich ziehe mir ein anderes T-Shirt an und binde meine Haare zu einem Zopf. Jeweils zwei Treppenstufen auf einmal gehe ich diese runter, bedacht darauf nicht auf die Nase zu fliegen. Beim Vorbeigehen der Kommode im Flur, das an der Wand steht, schnappe ich mir einen meiner Autoschlüssel und den Hausschlüssel. Dann ziehe ich mir noch rasch meine Vans an und schließe die Tür beim Verlassen noch ab. Ich steige in der Garage in meinen Lamborghini Veneno ein. Je schneller ich da bin, desto besser ist es.

***

Mit rasender Geschwindigkeit bin ich den zehn minütigen Weg in nur zwei Minuten durchgerast. Da ist es mir auch ein Vorteil, dass ich fast kein Gegenverkehr habe und dementsprechend nur bei den nötigen auszuweichen habe. Die anderen weichen schon von selbst aus.

Die Ampeln sind jedes Mal, wenn ich bei ihnen ankomme schon grün geworden und deshalb habe ich auch nicht abbremsen müssen, sondern konnte mit derselben Geschwindigkeit weiter fahren.

An der gegenüberliegenden Straßenseite parke ich mein Auto und steige aus. Ich gehe sogleich zu ihrer Haustür und klingel an. Nach ein paar Sekunden des Poltern, das ich durch die Tür höre, öffnet sich diese und Em steht vor mir.

Als sie mich erst einmal eine Weile lang bloß angestarrt hat, als hätte ich ein verunstaltetes Gesicht, zieht sie mich in eine feste Umarmung. Sie umarmt mich nur, fragt nicht was passiert ist oder irgendwas. Sie weiß ganz genau, dass ich es ihr so oder so erzählen werde. Sonst wäre ich jetzt nicht hier. "Komm.", sie zieht mich leicht mit in das Wohnzimmer und lässt sich auf die Couch fallen, was ich ihr gleich tue. "Meine Mum stirbt vielleicht.", rücke ich mit der Sprache raus. Zuerst ist sie noch sprachlos, muss die Nachricht erstmal noch verdauen. "Was ist passiert?", fragt sie traurig. "Autounfall. Ich weiß nur, dass sie in einem Krankenhaus in Phoenix liegt. Das Krankenhaus hat mir gesagt, dass sie in eine Langzeit-Narkose versetzt wurde.", erzähle ich ihr das, was ich weiß. "Lass mich raten, du fliegst nach Phoenix." Ich nicke. "Heute um 19 Uhr geht der Flieger." "So früh?", macht sie große Augen. "Ja. Je früher, desto besser. Ich muss zu ihr. Wenn ich es nicht bei meinem Vater geschafft habe, muss ich es jetzt bei meiner Mutter schaffen. Ich muss jetzt so stark sein, wie sie es bei mir war." "Okay. Ich komme mit.", entscheidet sie. "Was? Nein! Du kannst nicht wegen mir alles stehen und liegen lassen. Das kann ich nicht von dir verlangen.", widerspreche ich direkt. "Tust du auch nicht. Ich lasse dich nicht in diesem Zustand alleine, ob du willst oder nicht!", beharrt sie darauf. Ich lasse meinen Kopf fallen und seufze. "Na gut, aber ich werde dort fürs erste bleiben.", gebe ich nach. So wie ich sie kenne, ist sie stur, sogar sturer als ich. Nach einer Weile des Schweigens nehme ich mir mein Handy und gehe auf meine Kontakte, scrolle runter bis zu seinem Namen. Aus einer mir unerklärlichen Weise möchte ich Blake davon erzählen, ihm sagen, dass ich für eine Weile weg sein werde. Bereit ihm eine SMS zu schreiben, bleibt mein Daumen nur einige Zentimeter vom Handy entfernt. Es würde ihn aber nicht interessieren. Wir haben uns nur einige Male geküsst, mehr nicht, nichts ernstes. Ich weiß zwar immernoch nicht, weshalb ich ihn geküsst habe, als ich nicht betrunken war, aber ich versuche es zu vergessen.

Meine Augen bleiben noch einen Moment am Handy hängen, bis ich es schaffe meinen Blick wegzureißen. Ich schaue mit müden Augen zu Em und merke, dass sie mich wohl schon länger beobachtet hat. Wenn sie gesehen hat was ich machen wollte, wird sie schon erraten können, was ich vorgehabt habe. Sie scheint es aber nicht mitbekommen zuhaben oder ignoriert es einfach. Trotzdem hat sie danach eine kleine Denkfalte.

Ich springe von dem Sofa auf mit den Worten:"Ich muss noch packen, also bis später. Mein Flug wird um 19 Uhr sein, schreib mir dann einfach wann deiner sein wird." Ich versuche sie kläglich anzulächeln. Sie gibt mir ein kleines Lächeln, aber ihre kleine Denkfalte verschwindet nicht. Ich laufe aus dem Haus und genieße den Wind, der mir sofort entgegen schlägt. Schnell laufe ich zu meinem Auto, da es mir schon schnell zu kalt wird. Ich rase erneut mit rasender Geschwindigkeit nach Hause und renne die Treppen hoch. Bei einer der Stufen stolper ich, aber fange mich mit meinen Händen auf, stehe auf und renne weiter in mein Zimmer. Einen Koffer ziehe ich unter meinem Bett hervor, öffne diesen und schmeiße alles Mögliche rein. Von meinen Hotpants bis hin zu längeren Jeans und Pullovern. Ich bin noch nie in Phoenix gewesen, daher weiß ich auch nicht wie das Wetter ungefähr sein würde. Ich schließe meinen Koffer und packe in eine normale Tasche meine Kopfhörer, meinen Ladekabel , alle wichtigen Dinge, die ich für den Flug noch brauche und mir im Moment auch einfallen, und den Hausschlüssel ein. Mein Handy fängt an zu vibrieren. Ich schaue auf die Nachricht, die übrigens von Em ist, und lese, dass sie ihren Flug auch auf 19 Uhr gebucht hat. Danach schaue ich noch auf die Uhr, ich bin nicht scharf darauf den Flug zu verpassen und noch länger zu warten. 17:26 Uhr. Dann bin ich ja noch früher fertig, als ich es eigentlich wollte. Na toll.

***

Ich laufe in dem Wartebereich, an dem mein Flug angesagt wird, auf und ab und warte darauf Em endlich zu sehen. Wenn sie jetzt zu spät kommt, steige ich alleine in das Flugzeug! Ich schaue schon zum gefühlt tausendsten Mal zum Eingang und erwarte das Gesicht meiner besten Freundin zu sehen, sehe aber stattdessen das von ihm. Blake. Wieso ist er hier? Oder nein, oder? Em hat doch nicht...

Eine warme Hand legt sich auf meine Schulter und ich schüttel meinen Kopf kaum merklich. Ich bin wohl zu sehr in meinen Gedanken vertieft gewesen. "Warum bist du hier?", frage ich ihn. "Ich weiß es selbst nicht. Emily hat mich angerufen und gesagt, dass ich zum Flughafen muss, dich begleiten soll. Sie hat gesagt, es gehe dir nicht besonders gut und will dich nicht alleine gehen lassen. Sie hatte mir nicht einmal Zeit gelassen, zu antworten. Sie hat danach einfach aufgelegt." Ich schüttel nur den Kopf, ich hätts mir denken können. So ist sie nun mal. "Es tut mir Leid, du musst das nicht tun. Du hast bestimmt etwas wichtigeres zu tun.", murmle ich. Ich möchte nicht, dass er von mir genervt ist. Ich senke den Kopf, da werde ich in eine Umarmung gezogen.

Ich möchte es mir zwar nicht eingestehen, aber im Inneren weiß ich, dass mir diese eine Geste mehr als gut tut. "Ich mache das gerne.", nuschelt er in meine Haare. Ich schmiege mich etwas mehr in seine Arme und genieße einfach diesen  Moment. Er drückt mich leicht von sich, gibt mir einen Kuss auf die Stirn und lehnt seine Stirn daraufhin gegen meine. Meine Augen sind geschlossen, meine Lippen leicht geöffnet, meine Atmung geht nur stoßweise und mein Herz rast wie sonst was. Ich bewege meinen Kopf leicht nach vorne, kurz davor ihn zu küssen, werde aber von der Sprechanlage aufgehalten, die unseren Flug ansagt.

Badboy & GoodgirlWhere stories live. Discover now