Epilog

9.1K 176 117
                                    

Vier Monate später, London.
Vier Monate. 112 Tage. 2 928 Stunden.
Ich halte es nicht aus. Ohne sie ist es nicht auszuhalten. Wieso? Wieso hat sie nicht gekämpft? Hat sie es nicht für nötig gehalten? Sie liebt mich, das hat sie zumindest gesagt und ich glaube ihr.

Etwas nasses läuft über meine Wange. Geweint habe ich viel, aber es interessiert mich nicht. Der Schmerz ist kaum auszuhalten. Seelischer Schmerz. Wie automatisch bewegt sich meine Hand zu dem Tisch, der neben mir steht. Ich brauche den Alkohol. Ich halte es nicht aus. Ihre Beerdigung. An etwas konkretes kann ich mich nicht erinnern, ich war zu dicht. Das Einzige was ich noch weiß, ist, dass ich geweint habe. Sehr viel geweint. Die Grabrede war die pure Folter. So viel habe ich noch nie in meinem gesamten Leben geweint. Nun sind es schon ganze vier Monate her. Diesen Bastard, der an allem Schuld ist, habe ich nicht gefunden. Ich war zu sehr damit beschäftigt, mich selbst zu bemitleiden. Genauso wie jetzt. Soll ich es tun? Ich weiß es nicht. Ich halte es nicht ohne Joanna aus. Allein schon ihren Namen zu denken, ist zu schwer. Ich schaffe es nicht ohne sie. Sie war der Sinn meines Lebens geworden. Das ist mir zu spät klargeworden.

Man schätzt die Dinge erst, wenn sie nicht mehr da sind...

Das stimmt. Fuck, ja das stimmt. Und ich bereue es die Zeit nicht besser genutzt zu haben. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen. Ich werde es tun. Ohne sie sehe ich keinen Sinn mehr. Wie habe ich diese vier Monate überhaupt ausgehalten? Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich mit viel Alkohol. An viel kann ich mich zumindest nicht erinnern.

Ich stehe auf und laufe zum Fenster, woraufhin ich mich da einfach nur hinstelle und dem Regen zusehe. Es spiegelt sich mit meinen Gefühlen wider. Und mit meinem Inneren.

Warum so tiefgründig?

Halt die Fresse. Vom Fenster gehe ich rüber in mein Schlafzimmer, wo ich mich umziehe. Mit einer Jogginghose und einem Hoodie jogge ich zur Haustür und trete aus dieser hinaus, nachdem ich noch ein letztes Mal einen Blick in meine Wohnung geworfen habe. Das alles werde ich nicht mehr sehen. Ich jogge weiter zu meinem Auto, steige ein und fahre los. Mein Ziel: Eine Brücke

In dem Auto lege ich erst meinen Kopf auf das Lenkrad. Soll ich es tun? Ja, ohne meinem Mädchen kann ich nicht weiter machen. Ich kann mir kein Leben ohne sie vorstellen. Es geht einfach nicht. So schnell es geht fahre ich los.

Einige Minuten sind vergangen und mein Ziel kommt mir immer näher. Ich sehe es. Dort angekommen, stoppe ich abrupt. Ich bin mir sicher, ich werde es tun. Aussteigen, zur Brücke gehen und springen, das ist das was ich vorhabe, doch meine Beine bewegen sich nicht. Die Angst ist groß, aber der Entschluss steht fest. Ich werde nicht weiterhin in einer Welt ohne meinem Mädchen leben. Das will und kann ich nicht. Ich setze mein linkes Bein aus dem Auto, das Rechte folgt dem Linken.

Jetzt mach schon!,schreit eine Stimme in mir. Die andere sagt "Du wirst es bereuen!". Es ist wie in den Filmen, dass auf der einen Schulter ein kleiner Teufel sitzt und auf der anderen ein kleiner Engel. Mein Entschluss mein Leben zu beenden steht aber immernoch fest. Diese Entscheidung könnte keiner ändern. Keiner außer sie.

Schwer stehe ich auf, der erste Schritt ist getan. Und wie als hätte ich neue Energie bekommen, bewegen mich meine Beine schnurstracks zur Brücke. Vor dieser bleibe ich erneut stehen und mein Blick wandert die Brücke hinunter. Oh scheiße, ist das hoch. Plötzlich packt mich die Angst. Würde ich es doch bereuen? Wie wird mein Vater darauf reagieren? Würde ich sie im Himmel wiedersehen? Komme ich überhaupt in den Himmel? Etliche Gedanken schleichen sich in meinen Kopf, wodurch sich die Angst nur weiter verbreitet. Die Entscheidung es durchzuziehen, ist größer als diese Angst, die in mir spukt. Wie vorhin erst bei meinem Auto, setze ich ein Bein über die Brücke, daraufhin das andere Bein. Währenddessen fließt so viel Adrenalin durch meine Adern.

Ich gucke ein letztes Mal hinunter, dann nach hinten zu meinem Auto und daraufhin erneut hinunter. Nachdem ich dies gemacht habe, schließen sich meine Augen wie von selbst.

Tu's nicht!!

Du wirst es nicht bereuen, glaub mir. Spring einfach.

Glaub ihm nicht! Du wirst es bereuen! Geh zurück zu deinem Auto, fahr zu dir nach Hause und vergiss das alles wieder.

Spring!

Spring nicht!

Beide Seiten in meinem Kopf leisten sich einen Kampf. Scheiße man! Ich lehne mich zurück und befestige den Griff an der Brücke. Was soll ich bloß tun? Ich werde es tun. Erneut schließe ich meine Augen, doch gerade als ich meinen Griff von der Brücke lockern möchte, kommen plötzlich vor meinem inneren Auge Bilder von Joanna und mir auf. Gute sowie schlechte Momente. Tränen sammeln sich in meinen Augen.

Meine Augen öffnen sich, doch dieses Mal sehe ich Joanna. Ich sehe mein Mädchen. Sie sieht so lebendig aus. "Joanna?" höre ich mich selbst sagen, obwohl ich es mir nicht zugetraut hätte ein Wort rauszukriegen. "Spring nicht." sagt sie nur mit ihrer wunderschönen Stimme. Ich habe ihre Stimme so sehr vermisst. "Ich kann nicht ohne dich." "Doch, kannst du." Dabei hat sie so ein schönes Lächeln. Das Lächeln, welches sie hat, wenn sie traurig und glücklich zugleich ist. "Nein, könnte ich niemals. Du bist mein Leben!" "Für mich wirst du es schaffen. Du wirst für mich dein Leben weiter leben, eine Familie gründen, glücklich sein." Wie soll ich das denn bitteschön schaffen? Sie ist das Einzige was ich will. "Ich will kein Leben mit jemand anderem führen. Du bist die Einzige mit der ich eine Familie will!" "Du musst loslassen." Die Tränen kann ich gar nicht erst zurückhalten, also versuch ich es auch nicht. "Ich will nicht." kriege ich schwer aus mir. Ich will und kann einfach nicht. "Du musst aber." sagt sie mit ihrem wunderschönem Lächeln, welches jedoch nicht glücklich, sondern viel eher traurig ist. "Als ich gestorben bin, warst du mein einziger Gedanke. Mein einziger Wille war es, dass du weiter lebst und das glücklich. Das ist das Einzige was ich möchte." Die Tränen hören einfach nicht auf. "Für dich tue ich alles, einfach alles." Und für sie werde ich auch weiter leben. Das ist das Einzige was sie möchte. "Ich liebe dich, Blake. Selbst wenn ich nicht mehr lebe, ist die Liebe zu dir so groß." "Ich dich auch, mein Engel, ich dich auch. Selbst wenn du nicht mehr bei mir bist, werde ich niemals eine Frau so sehr lieben wie dich." "Falsch, ich werde immer bei dir sein. Du siehst mich zwar nicht, aber ich bin immer bei dir." Egal wie ernst diese Lage hier ist, der Gedanke Auch unter der Dusche? kommt mir trotzdem. "Auf Wiedersehen, Blake." sagt der Sinn meines Lebens mit einem Lächeln. "Auf Wiedersehen, mein Engel."

Mit diesen Worten lege ich langsam das eine Bein und daraufhin das andere Bein auf die andere Seite. Auf die sichere Seite. Mit wackeligen Beinen, weil mich das Adrenalin verlässt, laufe ich zu meinem Wagen und steige ein.

Fast wäre alles vorbei. Mein Engel hat mich vor dem Ende meines Lebens bewahrt. "Keiner außer sie.", hatte ich gedacht, bevor ich springen wollte. Hat sie meine Gedanken gehört? Und selbst wenn, mir ist im Moment alles egal. Ich konnte mein Mädchen sehen. Ich konnte sie ohne Verletzungen, mit einem Lächeln sehen. Ich konnte hören, wie sie mir sagt, dass sie mich liebt. Und auch wenn das alles nur Einbindung oder Halluzination war, ist es mir egal, denn ich konnte sie sehen und das ist alles woran ich im Moment denken kann. Sie liebt mich. Sie hat mich gerettet. Sie ist immer bei mir. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so glücklich war, wie jetzt gerade.

Der Wagen setzt sich in Bewegung und irgendwann auf dem Weg zurück nach Hause, flüstere ich "Danke, dass du in meinem Leben warst." mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Jetzt kann ich abschließen. Jetzt kann ein neuer Teil meines Lebens beginnen. Und jetzt kann ich dank meinem Engel nach Monaten wieder glücklich sein. Dank meinem persönlichem Schutzengel.

Badboy & GoodgirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt