*(42) Duft*

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Er ist der einzige, dessen Duft dich nicht stört. Egal wie stark er ist.

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"Sag mir, dass das nicht wahr ist!"

Damian war gerade dabei, die Gummibärchen, die wir in der Pause gekauft hatten, nach Farben zu sortieren, als Jenny mit einer Hand auf unseren Tisch schlug. Ihre metallischen Armbänder krachten auf die Oberfläche und ließen Damian schmerzerfüllt zusammenzucken.

Besorgt sah ich zu ihm und begann, über seinen Rücken zu streicheln. Das machte den Schmerz nicht ungeschehen, aber es zeigte zumindest, dass ich ihn wahrnahm und ihm helfen wollte, dagegen anzukämpfen.

"Du stehst nicht auf Typen!", brüllte meine Ex mir ins Gesicht.

"Ich wüsste nicht, was dich das angeht."

Ich schaute in die Richtung der Toiletten, in der Hoffnung, Finn würde bald auftauchen und wir konnten Jenny dann einfach hier stehen lassen und einer derartig unnötigen Konversation mit ihr aus dem Weg gehen.

Damian rutschte an mich heran und drückte seine Nase an meine Schulter. Ihm schienen nicht nur ihre Töne zuzusetzen, sondern auch ihr Geruch.

"Was mich das angeht? Du warst mit mir zusammen, Marlon!"

"Genau. Ich war mit dir zursammen. Wir sind seit über einem Jahr getrennt, Jenny. Menschen entwickeln sich weiter. Komm damit klar."

Sie schlug nochmal auf den Tisch. Wieder knallten ihre Armbänder dagegen und Damian zuckte zusammen.

Meine Hand schoss zu Jennys. Ich umfasste ihr Handgelenk und damit auch ihren Schmuck. Sie wollte die Hand zurücknehmen, aber ich zog sie weiter zu mir, sodass sie sich über den Tisch beugen musste und meine leisen, aber festen Worte nicht überhören konnte.

"Entweder du redest normal mit mir oder du zischst ab."

Ich ließ ihre Hand wieder los. Sie zog sie an ihren Körper und rieb sich über das Handgelenk, während sich ihre Augen mit Tränen füllten.

Ach, verdammt.

"Es tut mir leid, dass ich gerade grob geworden bin. Das war scheiße."

Sie schniefte. "Du bist scheiße."

"Ich weiß."

Damian knurrte leise. Ich legte meine Hand auf sein Bein, in der stillen Bitte, sich zurück zu halten. Jenny brauchte gerade ihre paar Minuten Aufmerksamkeit.

Sie blinzelte schnell und schaffte es, ihre Tränen zu vertreiben. "Ich hoffe, er merkt schnell, wie schlecht du im Bett bist." Dann drehte sie sich um und ging.

Kurz danach gongte es und die Mensa leerte sich. Ich hatte keine Lust, mich durch die ganzen Leute quetschen zu müssen und beschloss, dass Damian und ich warten würden, bis der größte Teil des Ansturms auf die Klassenzimmer vorbei war.  Außerdem war Finn ja noch auf der Toilette. Was auch immer da so lange dauerte.

"Was hast du gerochen?", fragte ich Damian leise.

"Sie stinkt abartig. Und das sage ich nicht, weil sie deine Ex ist."

Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Vielleicht konnte es ihm helfen, Gerüche besser einzuordnen, wenn ich ihm erklärte, dass Jenny sich selbst enorm viel Druck machte und ständig unter Stress stand. Sie gab viel darauf, was andere von ihr hielten - auch dem Einfluss ihrer Eltern geschuldet. Sie glaubte, sie müsse perfekt sein und gleichzeitig wusste sie, dass das nicht möglich war.

Damian würde mit solchen Informationen nichts weiter anfangen als sie für den Umgang mit seiner Kraft zu nutzen. Etwas darüber zu lernen. Trotzdem entschied ich mich dagegen, Jennys Innerstes vor ihm zu offenbaren. Ich hatte das erfahren, weil sie sich mir anvertraut hatte. Sowas einfach weiterzuerzählen wäre nicht richtig.

"Was riechst du eigentlich bei mir?"

"Du bist meistens sehr ausgeglichen, das ist angenehm." Er rutschte näher an mich heran. "Manchmal schüttest du so viele Glückshormone aus, dass es so riecht wie wenn man mir eine Blumenwiese in die Nasenschieben würde."

Ich lachte.

"Manchmal bist du ziemlich nachdenklich und auch ein bisschen traurig. Dann riecht es so..." Kurz dachte er nach, bevor er seinen Satz beendete. "...so als würde etwas fehlen."

Ich mochte es, wenn er beschrieb, was er durch seine Fähigkeiten alles wahrnehmen konnte. Und, dass er mir schon mehrmals klargemacht hatte, wie sehr er meinen Geruch mochte. Es brachte mich zum Lächeln.

Er legte seine Arme um mich und ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter.

"Blumenwiese", flüsterte er in mein Ohr, bevor er meine Schläfe küsste.

"Weil du mich glücklich machst", nuschelte ich an seinen Pulli.

"Oh süß, ihr habt auf mich gewartet." Als ich Finns Stimme hörte, verdrehte ich Augen. Ich löste mich von Damian und drehte mich zu meinem besten Freund.

"Du hast-" Meine Stimme brach ab. "Was ist passiert?!"

Ich sprang auf. Mein Stuhl kippte nach hinten, Damian fing ihn auf und stellte ihn hin, während ich zu Finn ging und die Schwellung auf seiner Wange musterte.

"Hab vergessen, dass die Türen bei den Toiletten nach innen aufgehen", behauptete er.

Ich schüttelte den Kopf, aber bevor ich ihm klarmachen konnte, dass ich ihm nicht glaubte, hatte Damian einen Arm und mich gelegt und meinte, wir sollten in den Unterricht.

Finn lächelte bloß, so als sei alles in bester Ordnung, während er neben uns herschlenderte.

Obwohl wir gerade rechtzeitig mit dem letzten Läuten ins Klassenzimmer kamen und Damian den Englischkurs nicht mit uns hatte, brachte er mich zu meinem Tisch, legte meinen Rucksack daneben ab und meinte mit einem süßen Lächeln: "Bis später."

Ein Tuscheln ging durch die Reihen und unsere Deutschlehrerin schaute Damian amüsiert dabei zu, wie er mir einen Kuss gab, danach in aller Ruhe den Raum verließ und fragte: "Wollen Sie die Tür offen oder geschlossen?" 

Ich versuchte auszublenden, was die anderen dazu zu sagen hatten und widmete mich mit meiner Aufmerksamkeit Finn.

"Sagst du mir, wer das war?", schrieb ich auf den obersten Zettel meines Blocks und schob ihn ihm zu. 

Er schaute mich fragend an und ich deutete auf seine Wange. Er verdrehte die Augen und kritzelte auf meinen Block: "Lass es gut sein"

Ich merkte, wie sich meine Hand verkrampfte, bevor sie sich zu einer Faust formte.

Er schaute auf die Stelle und brummte: "Ich komme klar."

"Jemand hat dich geschlagen", zischte ich ihm zu. "Die Sprüche waren schon scheiße, aber das geht jetzt echt zu weit." Ich schnaubte. "Ich wette, es war Absicht, dass du da gerade alleine warst. Wie feige."

"Lass es gut sein", wiederholte Finn, diesmal ausgesprochen. "Und wehe du sagst ein Wort davon zu Nick."

Meine Augen wurden groß. "Willst du das jetzt einfach schlucken und so tun als wäre nichts gewesen? Du wurdest angegriffen, Finn!"

"Sch!" Er verpasste mir einen Schlag in die Seite und schaute sich nach allen Richtungen um. Keiner beachtete uns. "Du übertreibst."

Ich schüttelte den Kopf, wollte ihm klarmachen, dass ich genug davon hatte, immer nur zuzusehen, wie er behandelt wurde. Das waren keine Taten mehr von dummen Jugendlichen, die sich einen Spaß erlaubten, sondern Hassverbrechen. Und ich hoffte, wer auch immer Finn angegriffen hatte, wäre mutig genug, es auch bei mir zu versuchen. So konnte ich nicht nur rausfinden, wer es war, sondern meine Wut gleich an der richtigen Person auslassen.

wild (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt