*(39) - D*

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Damian

Marlon hatte es geschafft, durch seine Worte Licht zu erzeugen. Dieses Licht hatte mir den Weg gewiesen. Den Weg zurück zu ihm und zu meiner Menschlichkeit.

Und fuck, fühlte es sich gut an, in seiner Nähe menschlich zu sein. Alles fühlte sich bei ihm gut an. Auch Angst, Schmerzen und Verzweiflung. Bei ihm zu sein war es wert, solche Dinge zu fühlen. Denn gleichzeitig war da immer auch Verständnis, Sicherheit und Zuneigung.

Ich nahm meine ganze Kraft zusammen, um meine Lippen von seinen zu lösen. Er schaute mich fragend an, wusste, dass ich einen verdammt guten Grund dafür haben musste, ihn von mir zu schieben.

„Ich würde mich langsam gerne anziehen."

Klar konnten wir auch hier liegenbleiben und weiter rumknutschen. Von mir aus konnte er mich direkt hier auf dem schmutzigen, kalten Waldboden nehmen. Das Problem war bloß, dass dieser Wald sehr viel belebter war als Marlon es sich vorstellen konnte. Nicht nur von den Wölfen, die uns gerade begegnet waren. Auch von allen möglichen Käfern und Kleintieren. Keine Lust, mir die später aus dem Arsch waschen zu müssen.

„Okay, komm." Marlon stand auf und zog mich auf die Beine.

Er schaute stur auf den Boden, während ich mir den Dreck vom Körper klopfe. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, ihn zu bitten, mir zu helfen. Allerdings war mir die Gefahr, dass er ein Aneurysma bekam, zu groß. Er war knallrot. Sein Herz schlug kräftig und schnell. Sein Körper war im Stress. Eine verdammt gute Art davon.

„Hier." Er zog sich seine Jacke aus und streckte sie in meine Richtung, während er in die andere sah.

„Was soll ich damit?"

„Dich... bedecken."

Ich biss mir auf die Lippe, um nicht zu lachen.

Seine Jacke bedeckte nicht viel. Entweder ich band sie mir so um die Hüften, dass mein Schwanz rauschaute oder so, dass mein Arsch rauschaute. Also tat ich das einzig sinnvolle und legte sie über meine Schultern.

Marlon schüttelte missbilligend den Kopf.

„Hey, ich laufe lieber mit Stolz nackt durch den Wald als auf Krampf irgendwas zuzuhalten. Ich habe nichts zu verstecken."

„Was, wenn jemand hier spazieren geht und dich so sieht?", fragte er mich.

Ich zuckte mit den Schultern. „Dann freut sich die Person über den Anblick."

„Was, wenn ich den Anblick nicht teilen will?" Er zog herausfordernd die Augenbrauen hoch.

Mir gefiel der Hauch von Eifersucht aus seinen Adern. Etwas, das bei jedem anderen so abstoßend roch, war bei ihm eine weitere Nuance, von der ich nicht genug kriegen konnte.

„Dann sollten wir loslaufen und mir was zum Anziehen holen."

Das ließ er sich nicht zwei Mal sagen. Blöd war nur, dass er in die falsche Richtung lief.

„Marlon", lachte ich.

Er blieb stehen und schaute zu mir. „Was?"

„Wir müssen da lang."

Er schaute mit zusammengezogenen Augen in die Richtung, in die ich wollte, dann in die, in die er wollte, und schließlich zurück zu mir. „Sicher?"

„Sicher."

Dass er das überhaupt in Frage stellte, brachte mich amüsiert zum Kopfschütteln. Sturkopf.

Schweigend liefen wir durch den Wald.

An meinem Versteck angekommen, trank ich erstmal einen halben Liter, bevor ich mich anzog. Marlon stand neben mir und schaute betont interessiert in den Himmel.

„Du hast mich eigentlich schon zu oft nackt gesehen, um noch so schüchtern zu sein", grinste ich.

„Das heißt nicht, dass ich dich schamlos angaffen muss."

„Musst du nicht. Aber ich hätte nichts dagegen."

Ich fände es geil.

Zögerlich schaute er zu mir, stellte fest, dass ich bereits angezogen und gerade dabei war, meine Schuhe zuzumachen. Ein gleiches Maß an Enttäuschung und Erleichterung breitete sich in ihm aus.

Wir liefen wieder durch den Wald. Ich gab Marlon seine Jacke zurück. Er schlüpfte rein und schloss den Reißverschluss.

„Kalt?", fragte ich.

Er nickte.

In der Hoffnung, ihm etwas von meiner Wärme abgeben zu können, legte ich einen Arm um seinen Rücken und lief ganz nah bei ihm.

Marlon lächelte mich an und stieß seinen Kopf an meinen.

Ich tat immer so als würde ich nicht bemerken, wie sehr er sich über solche kleinen Gesten freute. In Wahrheit wartete ich bloß auf eine Gelegenheit, Taten für mich sprechen zu lassen.

Ich war beschissen in dem ganzen Gefühlskram und noch beschissener darin, darüber zu reden.

Marlon sagte meistens auch nicht direkt, was er meinte oder fühlte und schaffte es trotzdem, es mir zu zeigen. Indem er Dinge über mich erfahren wollte, zum Beispiel. Indem er mir Fragen stellte und mich über meine Vergangenheit reden ließ. Indem er Zeit mit mir verbrachte. Indem er mir von sich erzählte. Indem er mir Skills beibrachte und Motocross Fahren und Kommunizieren.

Ich wünschte, ich könnte ihm mehr geben als nur meine Körperwärme. Ich wünschte, ich hätte mehr. Und ich hoffte, ich hatte genug Zeit, mehr zu erarbeiten.

Marlon wusste nichts von meinen ständigen Gedanken daran, dass das hier gerade meine letzten Jahre sein konnten. Er wusste nichts davon, dass ich bisher Trost in dem Gedanken gefunden hatte, dass Raubkatzen nur um die 20, in Gefangenschaft auch bis zu 30 Jahre alt werden konnten.

Er wusste nichts davon, dass ein Teil von mir sich noch immer danach sehnte, alles zu beendeten. Und ich hatte nicht den Mut, ihm davon zu erzählen.


wild (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt