*(13) Verletzt*

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Manchmal musst du andere verletzen, um dich zu schützen.

~~~

Als ich wach wurde, glaubte ich, ich hätte den Abend mit Damian bloß geträumt. Das einzige, was mich davon abhielt, mir einzureden, dass ich mir etwas zusammengesponnen hatte, war Damians Brust, die sich unter meinem Kopf hob und senkte. Seine Brust, sein Arm, der um mich lag und sein Duft, der mich zum Lächeln brachte.

„Das musst du dir ansehen!"

Ich schaffte es nicht, meine Augen zu öffnen. Dafür war meine Angst, mich mit der Realität auseinandersetzen zu müssen, viel zu groß.

„Warte, ich mache ein Foto."

„Mach das und ich töte deine Eltern, sobald sie durch die Tür kommen", dröhnte Damian. Seine kalte Stimme jagte mir eine Gänsehaut über den Körper.

„Du musst echt aufhören, sowas zu sagen. Wenn die vom Jugendamt mitkriegen, was du von dir gibst..."

„Die sind nicht hier und versauen mir meinen Morgen."

„Na schön", seufzte Nick. „Dann kein Foto. Aber wir haben genau gesehen, dass ihr kuschelt."

„Verpisst euch."

„Kann ich wirklich kein Foto machen?", jammerte Finn. „Alisha glaubt mir das sonst nie!"

„Ich bezeuge es für dich", versicherte Nick ihm. „Komm, wir lassen die zwei in Ruhe. Wer weiß, was die letzte Nacht getrieben haben."

Sie schlossen die Tür zum Wohnzimmer hinter sich und am da hörte ich nur noch dumpfe Stimmen, die sich immer weiter entfernten.

Nach einer Weile sagte Damian in die Stille: „Ich weiß, dass du wach bist."

Ich kniff meine Augen zusammen, obwohl er sie nicht sehen konnte. „Ich schlafe noch."

Sein Atem fegte ein paar meiner Haare zur Seite, als er einen belustigten Ton machte. „Dafür schlägt dein Herz viel zu schnell."

Ich wünschte, ich könnte behaupten mitbekommen zu haben, wie auch sein Herzschlag sich beschleunigt hatte. Ich war immerhin der, der mit dem Ohr quasi direkt an der Quelle lag. Leider bot sich mir dieser Konter nicht.

Damian schien, im Gegensatz zu mir, komplett ruhig zu sein. Beinahe unberührt.

Vielleicht war er doch ein Psychopath. Oder, mit mir in seinem Arm wach zu werden war für ihn nicht halb so aufregend wie für mich.

Nur weil ihm der Körperkontakt egal war, konnte ich ihn nicht als Psychopath abstempeln.

Ich fragte mich eher, warum er mir nicht egal war. Warum schlug mein Herz so schnell? Warum freute ich mich darüber, ihn bei jedem Atemzug riechen zu können? Warum genoss ich diese Nähe?

Ich war mir nicht mal sicher, ob ich Damian überhaupt leiden konnte. Oder, ob er mich leiden konnte. Ich hatte keine Ahnung, was ihm durch den Kopf ging, konnte für kaum etwas, das er tat, eine Erklärung finden. Vor allem, wenn es mit mir zu tun hatte.

Warum ignorierte er mich nicht genauso wie alle anderen auch? Warum fand er mich interessant? Warum schaute er immer zu mir? Warum hatte er sich am Abend aufs Sofa gelegt, obwohl er Nick gesagt hatte, dass er seine Ruhe wollte? Warum war er nicht gefangen, als er gemerkt hatte, dass ich dort schlafen sollte? Warum hatte er mit mir dort geschlafen? Warum hatte er mich dabei festgehalten? Und warum ließ er mich jetzt los? Warum rutschte er von mir, zog die Decke über mich und wollte über mich steigen? Und warum zum Teufel griff ich nach ihm und hielt ihn fest?

Damian schaute überrascht zu mir herab. Diesmal sah ich deutlich, wie sich ein grüner Schleier über seine Iris legte.

„Wo willst du hin?", fragte ich ihn mit rauer Stimme.

Damian schluckte, schaute von meinen Augen, zu der Stelle, an der meine Hand unter der Decke hervorgeschlüpft war, um seinen Arm festzuhalten, und von dort zu meinen Lippen.

„Bleib hier."

Er schüttelte den Kopf, löste meine Hand von seinem Arm und stand auf.

Ich schaute ihm dabei zu, wie er versuchte, mich nicht unnötig zu berühren, während er über mich stieg und wartete auf etwas. Darauf, dass er zögerte, dass er zurück zu mir schaute, dass er erklärte, was plötzlich los war.

Nichts davon passierte. Damian verließ das Wohnzimmer und die Stelle, auf der er neben mir gelegen hatte, wurde so schnell kalt, dass ich merkte, wie dünn die Decke war, die Nick mir gegeben hatte.

Mir war eiskalt, aber ich wusste nicht, ob das an der Temperatur lag oder an meinen Gefühlen.

Obwohl es durchaus verlockend klang, mich für den Rest des Tages zu verkriechen, stand ich auf und zog mich an. Damians Klamotten warf ich im Bad direkt in die Wäsche, bevor ich mir die Zähne putzte.

Währenddessen schaute ich auf die Uhr an meinem Handy. Es war kurz nach neun. Meine Tante war bestimmt schon wach. Wenn ich ihr schrieb, konnte sie innerhalb einer halben Stunden hier sein, zuzüglich der Zeit, die sie brauchte, um sich fertig zu machen.

Am liebsten wollte ich mich nachhause teleportieren, aber, was ich im Gegensatz dazu gar nicht wollte, war, dass es nach einer Flucht aussah.

Ich rannte nicht weg. Ganz egal, wie sehr ich mich blamiert hatte, ich würde Damian trotzdem in der Schule begegnen und, wenn das mit Finn und Nick funktionierte, dann würde ich ihn nur umso mehr zu sehen bekommen.

Ich musste es nur hinkriegen, das letzte bisschen von meinem Stolz zu bewahren.

Wir hatten gekuschelt. Er hatte bemerkt, wie schnell mein Herz geschlagen hatte, mich weggeschoben und war wortlos gegangen. Ich hatte ihn festgehalten und gebeten, hierzubleiben. Dabei hatte ich nie behauptet, dass ich hatte weiterkuscheln wollen. Das war der erste Punkt meiner Verteidigung. Der zweite war, dass ich noch am selben Abend auch mit Finn und indirekt mit Nick gekuschelt hatte. Kuscheln bedeutete also gar nichts. Und dafür, warum ich ihn gebeten hatte, bei mir zu bleiben, gab es auch gute Erklärungen, die nichts damit zu tun haben musste, dass ich etwas von ihm wollte, das er nicht bereit war zu geben.

Auch, wenn ich nicht glaubte, dass Damian mich mit irgendetwas davon konfrontieren würde. Dazu müsste er Interesse daran haben, eine Beziehung zu mir aufrechtzuerhalten. Ich müsste ihm wichtig sein. Die Nähe müsste ihm etwas bedeutet haben.


wild (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt