*(1) Ein Blick*

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Manchmal reicht ein Blick und plötzlich ist nichts mehr, wie es einmal war.

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Reflexartig fing ich einen Basketball ab, bevor er meinem besten Freund an den Kopf knallen konnte.

Finn zuckte zusammen und schaute mich aus großen Augen an. „Woher kam der jetzt bitte?"

Ich nickte hinweisend zu unserem früheren Team, das sich an der Außenwand des Schulgebäudes neben dem Eingang versammelt hatte. Die Leute, die vor einem Jahr noch unsere Freunde gewesen waren, schauten mit verhassten Blicken zu uns.

Rico stöhnte sogar genervt auf, weil ich ein weiteres seiner Vorhaben, Finn den Tag zu ruinieren, verhindert hatte.

„Wirf den Ball zurück, bevor ihr ihn verseucht!"

„Gib mal her." Ohne meine Reaktion abzuwarten, nahm Alisha mir den Ball ab und legte ihn sich auf den Schoß.

„Was-" Finns Mund blieb offenstehen, als Alisha tief Luft holte, in ein Taschentuch rotzte und den Inhalt danach großzügig auf dem Ball verteilte. Zum Abschluss spuckte sie darauf, drehte sich zum Team und trat den Ball mit fußballerischer Expertise zielsicher in ihre Richtung.

Der Haufen gestandener Typen, die sich über ihre Sportlichkeit definierten, sprangen panisch auseinander - ein Bild für die Götter.

„Ich glaube, ich habe mich gerade ein bisschen in dich verliebt", scherzte Finn.

Seine Zuneigung für Alisha war aufrichtig. Platonisch, aber aufrichtig.

„Sorry, du bist nicht mein Typ."

„Weil ich dich beachte?"

Mein bester Freund grinste über seinen eigenen Scherz. Für ihn war die Sache bereits vergessen. Ich konnte nicht so leicht auf witzig und sorglos umschalten wie er. Die letzten Wochen hatten bewiesen, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis das Team sich eine neue Dummheit einfallen ließ, um zu versuchen, Finn fertig zu machen. Ich musste bereit sein, wenn es so weit war.

„Hey, hier spielt die Musik!" Alisha schnippte vor meinem Gesicht herum, bis ich es schaffte, meinen Blick von der Gruppe am Eingang zu lösen und ihn auf sie zu richten.

„Her mit deiner Bio-Hausaufgabe! Ich muss noch abschreiben."

Ich schaute perplex auf die Hand, die sie fordernd zu mir streckte. „Du warst diese Woche dran."

„Laber nicht!"

Sie entsperrte ihr Handy, legte es in die Mitte des Tisches, öffnete unseren Gruppenchat und suchte nach dem Bild unseres Hausaufgaben-Plans.

Anfang des Schuljahres hatten wir einen Rhythmus vereinbart, wer wann welche Hausaufgaben machte und die anderen dann abschreiben ließ.

Es gab nur ein paar Fächer, die wir fest zugeteilt hatte. Bei Finn zum Beispiel Englisch. Zwar musste er unsere Texte nicht schreiben, aber er verbesserte sie und übernahm Aufgaben, die benotet wurden.

Ich war für Sporttheorie zuständig – auch deswegen, weil ich Finn dazu gezwungen hatte, das Fach mit mir zu wählen und er jetzt gegen seinen Willen in Sport Abi machen musste. Ups.

Alisha kümmerte sich um Mathe. Nicht so, wie es angenehm wäre. Nicht so, dass sie alles machte und uns dumm abschreiben ließ. Nein, sie gab uns Nachhilfe. Zwang uns zu lernen und es zu verstehen. Ich hasste sie jedes Mal, wenn ich eine Rechenaufgabe richtig löste, weil sie uns den Rechenweg eingeprügelt hatte, etwas mehr.

Bio, jedenfalls, war eines der Fächer, in dem keiner von uns besonders gut war. Dafür hatten wir einen Plan. Den Plan, der ganz deutlich sagte, dass ich diese Woche dran war.

wild (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt