*(86) Mächtig*

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Du hast mehr Feinde als du weißt.

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Wir hatten uns dafür entschieden, uns von Markus zu Spence fahren zu lassen. Mit dem Zug dauerte die Fahrt beinahe 6 Stunden und das konnten wir heute nicht leisten. Es war bereits Nachmittag und morgen hatten wir Schule.

Eine andere Option wäre meine Tante. Sie wollte sicherlich auch wissen, was mit mir los war. Aber ich wollte sie nicht einweihen. In ihrem Gespräch mit Markus hatte ich ein Gesicht von ihr gesehen, das mir ebenso fremd und hinterlistig ausgesehen hatte wie das meines Bruders. Nur, dass ich ihm gegenüber nicht so tun musste als könnte ich das übersehen.

Er wusste, was ich von ihm hielt. Er wusste, wie er das ändern konnte. Er wollte das ändern. Meine Tante war es, die das nicht zulassen wollte.

Ihn als Taxi auszunutzen, bedeutete nicht gleich, dass plötzlich alles gut war zwischen uns. Das wusste er. Meine Tante würde das nur als Gelegenheit sehen, smalltalk zu führen und mich an der Nase herumzuführen. Davon hatte ich genug.

Als ich ihn anrief, klang er überrascht. Er hörte sich an, wie ich ihm erklärte, dass Spence mich untersuchen musste und ich nicht von meiner Tante gefahren werden wollte. Ohne das groß zu hinterfragen oder zu kritisieren, fragte er mich, wo wir waren und meinte, er sei auf dem Weg.

Also warteten Damian und ich, standen auf dem Schulparkplatz und schauten einander an als können wir auf diese Art unsere Gedanken austauschen. Konnten wir nicht. Aber es ließ mich im dennoch näher fühlen.

Es gab so vieles, über das wir reden sollten. Vieles, das ich ihn fragen musste. Vieles, dass ich sagen wollte. Aber in diesem Moment reichte es, ihm die Augen zu sehen und zu wissen, dass wir wieder auf derselben Seite standen.

Als Markus Auto vor uns anhielt, öffnete Damian die Tür, deutete mir, dass ich einsteigen sollte, schloss die Tür hinter mir, joggte um das Auto herum und stieg auf der anderen Seite auf dem Rücksitz ein.

Ich schüttelte den Kopf darüber, musste aber schmunzeln. Das war einfach so typisch Damian.

Er war vielleicht nicht gut darin zu reden, aber er kommunizierte auf andere Art - durch Gesten, die bewiesen, dass er selbst die einfachsten Bewegungen für mich übernehmen wollte, um mir das Leben ein bisschen leichter zu machen. Oder, um einfach nur bei mir zu sein.

Er war so aufmerksam, so zuvorkommend, so liebevoll... Auf seine eigene Art. Wenn er echt dachte, ich wäre jemals bereit, das aufzugeben, ihn aufzugeben, konnte er sich darauf gefasst machen, Tag für Tag vom Gegenteil überzeugt zu werden.

Ich tauschte einen kurzen Blick mit Markus im Rückspiegel, schaute dann aber sofort zur Tür, durch die Damian ins Auto stieg.

Erst dann machte Markus sich die Mühe, uns zu begrüßen. Zumindest ging ich davon aus, dass es sich an uns richtete, obwohl er dabei nur Damian anschaute.

Ob das seine Art war, mir zu zeigen, dass ich nicht der Mittelpunkt der Welt war, wie er es genannt hatte?

Damian gab ein wortloses Nicken zurück.

Das schien Markus zu reichen. Er startete das Auto und fuhr los.

Die ersten Minuten liefen still. Markus hatte weder den Radio an, noch Musik.

Ich konnte mir genau vorstellen, wie Alisha darauf reagieren würde: Ihr skeptischer Blick und zwei Worte: „Red flag."

Ich musste leicht lachen, wofür Markus wieder durch den Rückspiegel zu mir sah und Damian seinen Kopf zu mir drehte.

wild (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt