*(55) Party*

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Alles verändert sich und du versuchst einfach nur hinterherzukommen.

~~~

So schnell konnte es gehen. Elf Tage hatte ich damit verbracht, mich nach Damian zu sehnen und darüber nachzudenken, was er in all der Zeit ohne mich tat, nur um dann selbst die Distanz zu ihm zu suchen.

Zu Damian und auch zu allen anderen. Alleine vor mich hinzubrüten war einfach so viel attraktiver gewesen als mich mit irgendetwas oder irgendwem zu beschäftigen.

"Wir dachten echt, du sagst noch letzte Minute ab", meinte Alisha zu mir, während wir zusammen durch die dunklen Gassen unserer Stadt liefen.

"Ich bin echt ein scheiß Freund, mh?"

Ich versuchte es spaßig rüber zu bringen. Solange Alisha und Finn dachten, dass ich gut drauf war, konnte ich mir selbst einbilden, es sei wahr.

Ich hatte genug von ernsten Gesprächen und nächtelangen Überlegungen. Für heute Nacht wollte ich alles vergessen.

Selbst Damian.

"Der beste scheiß Freund aller Zeiten", grinste Finn, während er einen Arm um mich legte. "Alisha und ich sind dankbar, dass du überhaupt noch weißt, wer wir sind. Mit Damian als Lover würde ich auch versuchen, jede Sekunde mit ihm zu verbringen. Alles andere wäre Verschwendung seiner Sexyness."

Da war das Problem. Meine Freunde dachten, ich hätte meine ganze Zeit mit Damian verbracht und Damian glaubte, ich wäre in der Zeit bei meinen Freunden gewesen.

Ich wollte es mir nicht antun, ihnen die Wahrheit zu sagen.

Zwischen Damian und mir war die Stimmung ohnehin beschissen. Statt ihn mit Dankbarkeit zu überschütten, hatte ich Erklärungen von ihm verlangt und darauf bestanden zu erfahren, wie er Markus ausfindig gemacht hatte und was er über ihn und sein bisheriges Leben wusste.

Damian hatte behauptet, er würde schon nach Markus suchen, seit ich ihm von meiner Familie erzählt hatte. Schließlich hatte ihm ein "Freund" geholfen. Von wegen. Damian hatte keine Freunde, die nicht auch meine Freunde waren.

Als ich weiter nachgehakt hatte, hatte er mir vorgeworfen, ich würde mein Misstrauen Markus gegenüber auf ihn projizieren. Wir hatten gestritten. Zum ersten Mal und seitdem ständig.

Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Damian hatte es gut gemeint. Er hatte sich monatelang bemüht, um meinen Bruder zu finden. Ich konnte kaum fassen, dass er auch nur daran gedacht hatte, so viel Mühe für mich aufzuwenden. Aber es änderte nichts daran, dass ich dadurch gemerkt hatte, wie wenig ich über mich selbst, meine Familie, meine Geschichte wusste. 

Und ja, ich wusste, dass Stress und das Gefühl von Überforderung ein Trigger für mich war. Ich wusste, ich sollte zum Arzt und evtl. prophylaktisch auf Antipsychotika. Aber ich wollte nicht. Ich wollte mich damit nicht auseinandersetzen.

Dass Damian bei unseren Diskussionen ständig nur gegen meine Rechtfertigungen für mein schlechtes Gefühl argumentiert hatte, hatte dazu beigetragen, dass ich alles, was von ihm gekommen war, von mir gestoßen hatte. Dazu gehörten nicht nur seine Entschuldigung dafür, dass er das alles hinter meinem Rücken gemacht hatte, ohne daran zu denken, dass er eine Tür öffnen würde, die ich verschlossen halten wollte, sondern auch seine Erklärungen dafür, warum er das getan hatte. Ebenso jedes Wort von ihm, das in Markus Interesse an mich appellieren wollte. 

Mir war klar, dass Markus etwas schlimmes durchgemacht haben musste und dass er nicht dazu verpflichtet war, mir irgendetwas davon zu erzählen. Aber genausowenig war ich dazu gezwungen etwas zu tun, bei dem ich mich nicht wohlfühlte.

Damian war sehr zurückhaltend mir gegenüber, seit ich ihm das klargemacht hatte. In der Schule hatte er zwar jeden Tag mit uns gechillt und sich Finn und Alisha gegenüber normal verhalten, aber zu mir war er distanziert gewesen. Nicht unbedingt kalt oder ignorant, sondern... freundlich. Sowie zu Finn und Alisha auch. So als wären wir bloß Kumpels. 

Ich hatte nicht versucht, irgendetwas dagegen zu tun. Ich wusste momentan nicht mal, ob ich das denn wollte. Alles fühlte sich scheiße an.

Die Wände im Haus meiner Tante schrien mich an, wenn ich nachhause kam. Egal, wo ich hinschaute, meine Erinnerungen an den Abend, der mein Leben verändert hatte, vermischten sich mit denen an meine Psychosen.  Sie liefen vor mir auf und ab. Ich hatte keine Ahnung, was davon was war.

Außer von Markus' Bild wusste ich nicht, wie meine Eltern ausgesehen hatten. Ich hatte keine Erinnerung daran, wie ihre Stimmen geklungen hatten. Wie sich ihre Berührungen angefühlt hatten.

Ich konnte es kaum erwarten, mir auf dem Rave die Kante zu geben. Mein Kopf sollte endlich aufhören zu denken und mein Herz sollte aufhören zu fühlen. Ganz egal, was. Ich wollte nichts mehr wahrnehmen. So als würde ich schlafen. Nur ohne zu träumen.

Finn schnappte sich meine Hand, als wir den Tunnel am Bahnhof entlangliefen. Die Musik prallte zwischen den Wänden hin und her und der Boden schien zu beben. Das Graffiti an den Wänden schien beinahe genauso in Bewegung zu sein wie die tanzende Menge.

Finn brüllte Alisha und mir irgendetwas zu und zeigte zur Bar. Ich nickte, ohne zu wissen, was er gesagt hatte und griff mit meiner noch freien Hand nach Alisha, um sie hinter mir her zu ziehen.

Auf dem Weg zur Bar mussten wir nicht nur durch die Masse an Leuten, sondern auch am DJ-Pult in der Mitte des Tunnels vorbei. Keine Ahnung, wie Finn es schaffte, die Aufmerksamkeit des DJs auf sich zu lenken. Ich konnte nur sehen, dass der Typ meinem Kumpel zu zwinkerte und dass Finn daraufhin breit grinste, bevor er uns weiter durch die Leute boxte.

Es stellt sich heraus, dass die Lautsprecher vor der Bar so ausgerichtet waren, dass sie zum Pult und Weg von den Getränken zeigten. So war es zumindest möglich, sich über die Musik hinweg schreiend zu verständigen.

Finn knallte einen 20 Euro Schein auf die Theke und zeigte auf sich, Alisha und mich, während er sagte: "Ein mal voll machen."

Die Barkeeperin lachte,. "Da musst du mir schon ein bisschen mehr geben."

"Ich zahle in Raten", scherzte Finn.

"Na dann hoffe ich, du kommst treu immer wieder zurück zu mir."

"Zeig mir, was du drauf hast, dann lasse ich dir mein Herz als Kaution da."

Sie lachte, während sie irgenetwas in unseren Gläsern zusammenmixte. "Mit deinem Herz kann ich nicht viel anfangen, Süßer."

"Kannst du für 80.000 auf dem Schwarzmarkt verticken", warf Alisha ein und unterbrach damit den seltsam intensiven Blickkontakt zwischen Finn und der Barkeeperin. Flirten war echt ein Persönlichkeitsmerkmal von ihm. 

Sie schaute unsere Freundin etwas verunsichert an und lachte wieder. "Ich will gar nicht erst wissen, woher du das weißt."

Alisha zuckte bloß mit den Schultern und schnappte sich den ersten Drink, als die Barkeeperin ihn auf den Tresen stellte. Nur kurz danach drückte Finn mir meinen in die Hand und wir stießen an.

Ich wusste nicht, was es war, das ich da trank. Es schmeckte gut. Fruchtig aber irgendwie süß und so als sei verdammt viel Alkohol drin.

"Mehr!", verlangte ich.

wild (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt