*(71)-D*

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Markus brach alle möglichen Verkehrsregeln und wahrscheinlich auch ein paar Naturgesetze, während er aus der Stadt und direkt auf die Autobahn raste. Er fuhr so schnell, dass ich mir nicht sicher war, wie er überhaupt dazu im Stande sein konnte, unsere Umgebung richtig wahrzunehmen.

Es war mir egal, wie gefährlich das war. Jede Person, die er mit diesem Verhalten gefährdete, war mir egal. Alle möglichen Gefahren waren mir egal. Denn das einzige, das mit nicht egal war, war Marlon.

Als er wachwurde und sich weiter verwandelte, konnte ich an etwas anderes auch gar nicht mehr denken. Ich hielt ihn fest, obwohl ich wusste, dass es seine Schmerzen verschlimmerte. Nicht zu riskieren, dass er durch das Auto flog, war in dem Moment wichtiger.

Zwischen seinen Schreien brach ein Jaulen aus ihm heraus. Es verängstigte ihn so sehr, dass er für einen Moment erstarrte und sich danach in meine Arme krallte.

Seine Nägel bohrten sich durch meine Haut. Ich zischte auf, lächelte den Schmerz aber sofort weg. Das war nichts im Vergleich zu dem, was Marlon gerade durchmachte.

„Schon gut", sagte ich zu ihm. „Halt dich an mir fest."

Er wimmerte. Tränen rannten aus seinen Augen, noch während sie die Form veränderten. Eine Pupille wechselte im Sekundentakt von rund zu schlitzförmig und wieder zu rund.

Als sein Kiefer zu brechen begann, schrie er auf.

Er wollte seine Hände von mir lösen, aber ich schnappte nach ihnen und hielt sie fest. Also brachte er sein Gesicht seinen Händen gegen, glaubte, ertasten zu können, was passierte, glaubte, dem Schmerz entgegenzudrücken würde es irgendwie besser machen.

Ich hatte genug damit zu tun, seine Hände festzuhalten. Mir fiel nichts Anderes ein als seinen Kopf mit meinem von seinen Händen wegzustoßen.

„Wenn du dir mit den Krallen ins Gesicht fasst, verletzt du dich", erklärte ich.

Dabei klang es so als würde ich um Vergebung flehen. Das tat ich auch. Alles, was hier gerade passierte, alles, was er fühlte, dieser Schmerz, die Angst, die Verzweiflung, lag an mir. Ich hatte das zu verantworten. Ich hatte es ausgelöst.

„Wir sind gleich da", rief Markus mir über Marlons Fauchen und Schreien hinweg zu.

Als würde Marlon erst dadurch bemerken, dass wir nicht alleine waren, drehte er den Kopf zu Markus und knurrte ihn an. 

Er versuchte, mit den Zähnen nach ihm zu schnappen, renkte sich dabei den Kiefer aus und fiel jaulend auf meine Brust.

Im Kampf mit jedem seiner Gliedmaßen war ich mit dem Rücken auf die Sitze gesunken. Ich klemmte Marlons Arme zwischen unseren Körpern ein und schlang meine Arme um seinen Rücken, sodass er seinen Oberkörper nicht mehr bewegen konnte. Gleichzeitig verkeilte ich meine Beine mit seinen und versuchte, ihn so davon abzuhalten, um sich zu treten.

Ich wusste nicht, wie lange es dauerte, bis Markus das Auto anhielt und ich hatte nicht die Kapazitäten, mir anzuschauen, wo wir überhaupt waren.

„Halt ihn weiter fest. Ich hole Hilfe." Markus schaltete das Auto aus, stieg aus und rannte weg.

Marlon wimmerte und schrie. Obwohl ich seinen Oberkörper stillhielt, spürte ich in ihm unglaublich viel passieren. Ich spürte, wie sein Brustkorb brach und sich neu anordnete, wie seine Muskeln rissen, sich verschoben und neu verbanden. Wie seine Organe sich verformten und in ihm bewegten.

Er kickte einen Fuß frei und trat unter Schmerzen gegen die Autotür, gegen die Sitze, gegen die Decke, gegen alles, was er irgendwie erreichen konnte.

wild (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt