*(38) Liebe*

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Ihn zu lieben bedeutet, um dein Leben zu kämpfen.

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Sein Atem wurde flacher.

Ich beobachtete den Kampf um sein Leben in seinen Augen, glaubte, es würde helfen, mit ihm zu reden und ihm all die Gründe zu nennen, wegen denen ich ihn nicht verlieren konnte. Ich konnte einfach nicht.

„Mein scheiß Leben ergibt keinen Sinn ohne dich. Alles, was mir passiert ist, alles, was ich bin, ergibt keinen Sinn ohne dich. Seit ich dich kenne, glaube ich, dass das alles wirklich eine Bedeutung haben kann. Ich habe meine Eltern verloren, mein Bruder wurde entführt, ich bin meiner Tante aufgewachsen, hatte nie eine richtige Familie, habe den Verstand verloren, ohne es zu bemerken und musste ihn Stück für Stück zurückholen... Dadurch kann ich dich verstehen. Und du kannst mich verstehen. Wir gehören zusammen. Wir gehören zusammen, Damian. Wir sind nicht perfekt und ich habe noch lange nicht genug davon, mehr über dich zu erfahren und zu lernen und mich selbst durch dich neu kennenzulernen, aber wir gehören zusammen. Fuck, wenn das keine Liebe ist, habe ich keine Ahnung, was es sonst sein soll. Dann will ich sie auch nicht. Ich will dich. Ich kann nicht mehr aufstehen, ohne dich anzuschauen oder dir zu schreiben, dass ich wach bin. Ich kann nicht zur Schule gehen, ohne ständig nach dir zu suchen und bei dir sein zu wollen und ich will keine Freizeit, wenn ich sie nicht mit dir verbringen kann. Ja, shit, ja ich bin obsessiv und verrückt und naiv, aber wenn es das braucht, um zu kriegen, was du mir gibst und dir zu geben, was du bereit bist anzunehmen, dann will ich nichts anders sein. Ich liebe dich. Fuck, ich liebe dich. Und wir gehören verdammt nochmal zusammen."

Ich begegnete meinen Gedanken achtsamer als den Worten, die ich an diesem Tag in diesem Wald formulierte. Alles, was ich hier sagte, kam direkt aus meinem Herzen. Ohne Filter. Ohne Einordnung. Ohne Wertung. Es war pure Ehrlichkeit. Pure Verzweiflung.

Ich liebte ihn. Selbst, wenn es noch so vieles gab, das ich über ihn erfahren musste und so vieles, das wir zusammen herausfinden mussten, liebte ich ihn.

Es fühlte sich so richtig an. So schmerzhaft und so richtig.

Plötzlich wurde Damians Atmung hektischer. Es kam mir vor als würde er seine gesamte Kraft für seine letzten Atemzüge mobilisieren.

Ich streichelte über sein Fell, wurde spontan gläubig, um beten zu können, dass er in seinen letzten Momenten keine Schmerzen mehr haben musste.

Wenn es irgendjemanden gab, der uns zusah, jemanden, der etwas ändern konnte, egal, ob ein Gott oder ein Teufel, ich war bereit, jetzt und hier meine Seele zu verlieren, um Damian ein kleines Bisschen Frieden zu schenken.

Er wurde kalt und für ein paar Momente stoppte seine Atmung komplett, bevor sich zwei Arme um mich schlangen und Wärme mich umgab.

Es war ein Traum.

Ein Traum, eine Halluzination, eine Wahnvorstellung, eine Psychose. Die Auswahl war groß. Das Ergebnis das Gleiche: ich bildete mir ein zu spüren, wie Damian mich zu sich zog, wie er mich an sich drücke, mich festhielt und beruhigend über meinen Kopf strich.

„Schhh. Mir geht es gut. Ich bin hier", flüsterte seine Stimme.

Ich weinte in seinen Hals, krallte meine Finger in seine Haut, wusste nicht, ob es Schock, Reue oder Erleichterung war, das ich empfand. Wusste nicht, ob es überhaupt real war.

„Lass alles raus. Ich halte dich fest."

„Du bist tot", weinte ich.

Er drückte mich fester an sich. „Bin ich nicht. Ich bin viel zu verbittert, um nicht zu meinen eigenen Bedingungen zu sterben."

„Das klingt wie das, was eine Psychose sagen würde, die entsteht, weil ich nicht mit Trauer umgehen kann."

„Marlon." Mit einem Arm hielt er mich nah bei sich, während er eine Hand an meine Wange legte und mein Gesicht daran von sich drückte. Er schaute mir in die Augen und sagte: „Du musst nicht trauern. Ich bin nicht tot. Ich bin bei dir und nach dem ganzen romantischen Scheiß, den du gerade gesagt hast, werde ich nie wieder woanders sein. Wir gehören zusammen."

Tränen rannten mein Gesicht herab. „Ich weiß nicht, ob ich dir glauben kann."

Jeder meiner Sinne sagte mir, dass er echt war. Er klang wie er, er roch wie er, er sah aus wie er, er fühlte sich an wie er. Falls er es geschafft hatte, sich zurück zu verwandeln, ergab es sogar Sinn, dass er geheilt war. Dennoch: Die Möglichkeit, dass ich es mir nur einbildete, bestand.

„Dann glaub mir nicht. Glaub, dass ich eine Psychose bin. Aber steh zu deinem Wort. Lass mich nicht gehen. Werde verrückt, um mich am Leben zu halten."

Sein Daumen streichelte über meine Wange, um mir die Tränen wegzustreichen. Er schaute mir dabei in die Augen und ich schaute ihm in die Augen. Das besorgte dunkle Braun zog sich langsam zurück. Blau und Grün kämpften um die Oberhand, energisch, wild, dennoch irgendwie spielerisch, bis sie sich schlagartig zu einem kräftigen Türkis vereinigten.

„Nur, um das klarzustellen: du würdest vielleicht verrückt werden, um mich am Leben zu erhalten, aber ich würde dich als Geist heimsuchen, um bei dir zu sein. Damit bin ich obsessiver."

„Arschloch." Schob ihn von mir, zog ihn aber sofort wieder zurück. Ich musste ihn spüren. „Liebe ist kein Wettbewerb."

„Sagst du nur, weil ich gewinnen würde", grinste er.

Ich schüttelte fassungslos den Kopf. „Weißt du was? Ich glaube dir, dass du echt bist. Du bist so rücksichtslos und gefühlsbehindert, du kannst nur du selbst sein."

Er lächelte vollkommen unberührt, strich mir meine Haare aus der Stirn und sagte: „Ich dich auch."

Regungslos starrte ich ihn an.

„Ich liebe dich auch", sagte er. „Mein Stolz ist ziemlich gekränkt, weil ich es nicht zuerst gesagt habe. Deshalb muss ich es öfter sagen. Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich."

Nur, um ihn nicht weiter anzugaffen wie jemand, der versuchte seine Augen auszulüften, begann ich zu blinzeln.

Damian sah das als Zeichen, dass ich begann, seine Worte zu begreifen.

„Ist es sexuelle Belästigung, wenn ich deinen Schock ausnutze und dich küsse? Du siehst gerade so süß aus. Ich liebe dich."

„Du bist unerträglich", stieß ich genervt aus und presste ich meinen Mund auf seinen.

Neue Sicherheit breitete sich in mir aus. Das hier war real. Damian war echt. Er war am Leben. Er war ein hirnverbrannter Vollidiot. Er liebte mich. Ich liebte ihn. Wir waren zusammen.


wild (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt