*(50) - D*

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Damian

Sobald Marlon aus meinem Sichtfeld verschwunden war, nahm ich seinen Rucksack auf beide Schultern und entfernte mich von dem Laden.

Ich ging weg vom Park und den Läden und, obwohl ich wusste, dass ich verfolgt wurde, war ich erleichtert. Wer auch immer dieser Typ war, er war hinter mir her, nicht hinter Marlon. Nein, er hatte es auf mich abgesehen. Marlon war in Sicherheit.

So sicher wie es nun mal möglich war. Ich wusste nicht, was der Typ wollte. Es konnte gefährlich sein, ihn wissen zu lassen, wo Marlon wohnte. Mal davon abgesehen war Marlon an einem öffentlichen Platz unter vielen Leuten wahrscheinlich sicherer als Zuhause.

Ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte, um meinen Verfolger zu konfrontieren. Ich wohnte jetzt schon eine Weile hier, aber ich ging nie woanders hin als zur Schule, zu Marlon oder in den Wald. Die Stadt war mir unbekannt. 

Als ich ein Einkaufszentrum erhaschte, beschloss ich, dass ein besserer Ort nicht kommen würde.

Trotz des üblen Geruchs ging ich zu den Toiletten. Außer mir war eine weitere Person hier. Nachdem sie die Räume verlassen hatte, checke ich die Kabinen und ging wieder raus.

Der Typ, der mir gefolgt war, stand neben der Tür zu den Toiletten und tippte auf seinem Handy herum. Ich nahm es ihm aus der Hand, schaltete es ab und nickte zur Toilettentür.

"Rein da."

Er schaute mich aus großen Augen an und sein Mund stand offen.

Ich verdrehte die Augen, packte seinen Arm und drückte ihn durch die Tür.

Grob schubste ich ihn zu den Waschbecken, bevor ich sagte: "Wir wissen beide, dass du mich seit dem Bahnhof verfolgst. Also raus mit der Sprache. Was willst du?"

Er lachte unsicher.

"Denk gar nicht erst daran, es abzustreiten. Ich habe keine Zeit für billige Ausreden." Marlon wartet auf mich.

"Ich hätte wohl damit rechnen müssen, dass du mich riechst." Er lehnte sich mit dem Hintern an ein Waschbecken und schob die Hände in die Hosentaschen.

Er ging also nicht davon aus, dass ich ihn jeden Moment angreifen würde. Nicht so wie er es bei mir getan hatte.

"Was willst du?", wiederholte ich.

Ich wollte mir nicht anmerken lassen, wie sehr er mich verunsicherte. Das Alles kam mir vor wie ein schlechter Film.

"Das klingt jetzt seltsam, aber ich wollte dich nur beobachten." Er lächelte, als wäre die Aussage allein nicht schon creepy genug. Das Lächeln machte es nur schlimmer. 

"Wieso?" 

"Wir kennen dich nicht. Und eigentlich kennen wir alle Gestaltwandler."

"Gestandwandler", lachte ich. Das klang so absurd. "Wer ist wir?"

"Meine Familie."

"Wieso erst jetzt?", fragte ich als nächstes. "Euch muss schon seit Wochen klargewesen sein, dass ich kein normaler Wolf war. Genausowenig wie ihr."

"Wir dachten, du kommst auf uns zu."

Ich schnaubte. "Nachdem ihr meinen Freund angegriffen habt und mich fast getötet? Klar, wieso auch nicht?"

Ich schüttelte den Kopf, um die Frage selbst zu beantworten. Selbst, wenn wir uns unter anderen Umständen getroffen hätten, glaubte ich kaum, dass ich versucht hätte, Kontakt aufzunehmen. Wozu denn? Ich kam alleine klar. Das tat ich schon immer.

Mich auf andere zu verlassen, bedeutete, mich von ihnen abhängig zu machen. Das war etwas, das ich mir nicht erlauben konnte. Nicht mehr. Nicht nach allem, wozu das in der Vergangenheit geführt hatte.

Meine Beziehung zu Marlon war eine absolute Ausnahme. Es war auch nicht so als hätte ich in dem Punkt eine Wahl. Der Typ war so stur und hartnäckig, er würde mir auch noch hinterherrennen, wenn er keine Beine mehr hatte. Er wollte so sehr bei mir sein. Er wollte mich. Und, fuck, ich wollte ihn. Ich wollte jede Sekunde mit ihm. Jede Nuance seines Geruchs. Jeden Millimeter seines Körpers. Jede Facette seiner Seele. Ich wollte seine Vergangenheit, seine Gegenwart und seine Zukunft. Ich wollte seine Gedanken, seine Meinungen und seine Verrücktheit. Ich wollte mich in ihm verlieren, weil ich wusste, dass es ohne ihn auch mich nicht mehr gab. Weil am Leben zu sein sich mit ihm gut anfühlte.

Das war es, worauf ich mich konzentrieren wollte. Keine random ‚Gestaltwandler' aus dem Wald, die mich beinahe in Stücke gerissen hatten.

"Wir können dir helfen, Damian." Der Typ stieß sich von seiner Lehne ab und machte einen Schritt zu mir. "Wir haben eine Vermutung, wer du bist. Wer deine Eltern waren. Wir kennen deinen Platz in dieser Welt."

Ich schnaubte. "Mein Platz ist unter meinem Freund. Nackt, verschwitzt und am Bett gefesselt."

"Äh..." Er wirkte perplex. "Das, äh, freut mich für dich." Nicht nur sein Räuspern verwies darauf, dass ihm meine Beschreibung mächtig unangenehm war.

Ich verdrehte darüber die Augen. Für mich gab es nicht Natürlicheres als mir die Hände festketten zu lassen und Marlons Existenz in mir aufzusaugen, während er sich in mir versenkte. Ja, das ganze kam mir so natürlich vor, dass ich nicht einmal daran dachte, wie seltsam es war, mit einem Fremden so offen über meinen Sex zu reden.

„Es gefällt mir nicht, dass du mich verfolgt hast", machte ich ihm klar. „Du warst in Marlons Nähe. Dein Geruch war an ihm. Und es gibt fast nichts, das ich mehr hasse als den Geruch eines anderen Typen an meinem Freund."

"Ich saß nur bei ihm im Zug. Ich dachte, ich kann mit ihm reden und mehr über dich herausfinden, aber er ist nicht sehr gesprächig... Du hättest ihn für dieses Gespräch auch nicht wegschicken müssen. Wir hatten nie ernsthaft vor, ihm wehzutun."

"Aber unernsthaft oder was?" Ich machte einen Schritt auf ihn zu. "Es mir ist egal, dass du und deine Familie in der Überzahl seid. Ich kann euch vielleicht nicht alle auf einmal besiegen, aber wenn ihr auch auch nur daran denkt, Marlon nahezukommen, schlachte ich euch der Reihe nach ab. Sobald einer von euch alleine ist, werde ich da sein und ihn in Stücke reißen."

Er schluckte. „Wir wollen keinen Streit mit dir. Ich gebe dir meine Nummer und, wenn du mehr über deine Eltern und dich selbst erfahren willst, meldest du dich. Ich kann dir nicht versprechen, dass wir dich nicht weiterhin im Auge behalten, aber wir sind keine Gefahr. Weder für dich, noch die, die du liebst."

Ich wollte mehr rausfinden. Erfahren, was genau er von mir wollte und warum sie mich im Auge behielten. Um genau zu sein, hatte ich tausende von Fragen. Aber ich wusste selbst nicht, ob ich sie stellen wollte und ob ich die Antworten glauben würde.

Ich beschloss, das Angebot anzunehmen. Der Typ gab mir seine Nummer und seinen Namen. Seb. Danach wünschte er mir einen schönen Abend und ging.

Ich schaute auf die drei verpassten Anrufe von Marlon und die Nachrichten, die er mir geschrieben hatte. Er machte sich nicht nur sorgen, er war auch sauer. Zurecht. Aber ich hatte ihm keine Angst machen wollen. Wenn ich ihm gesagt hätte, dass uns jemald verfolgt, hätte er mich niemals alleine gelassen. Ich konnte es nicht zulassen, ihn oder seine Gesungheit zu gefährden. Bestätigung für seinen Verfolgungswahn zu bekommen war so ziemlich das letzte, was er brauchte.

Es ging ihm gut. Und es würde ihm weiterhin gut gehen. Dafür sorgte ich.

wild (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt