*(49) Gefahr*

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Unbekanntes bedeutet Gefahr.

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"Soll mein Bruder euch später nachhause fahren?", fragte Alisha, während sie auf ihrem Handy herumtippte.

Wir saßen wieder im Zug, auf dem Weg nachhause. Seit meinem kurzen Telefonat mit Damian fühlte ich ein seltsames Prickeln in meinem Magen, das nicht mehr verschwinden wollte. Genauso wenig wie mein Lächeln.

„Damian holt mich ab."

Sie verdrehte die Augen, schmunzelte aber. "Wie hast du es geschafft, diesen Typen so verrückt nach dir zu machen?"

Ich hatte keine Antwort darauf. Die gab es wahrscheinlich gar nicht. Das mit Damian und mir konnte nicht mit Logik erklärt werden. Dazu waren die Gefühle zu stark.

"Damian steht bestimmt einfach nur auf crazy Sexabenteuer", vermutete Finn.

"Aber sie waren doch schon zusammen, bevor wie Sex hatten", hielt Alisha dagegen. "Was ist eigentlich mit dir? Soll mein Bruder dich nachhause fahren?"

Finn nickte. "Wäre nett."

Ich kickte ihm an den Fuß. "Zieh nicht so ein Gesicht. Demnächst ist eine Hardstyle-Party. Da gehen wir hin."

Finn zuckte mit den Schultern, was in diesem Falle einer Zustimmung gleichkommen dürfte.

Bevor ich mir weiter überlegen konnte, was ihn aufmuntern konnte, fragte uns ein Typ, ob er sich zu uns in den Vierer setzen dürfte. Der Zug war so voll, dass die meisten Leute standen, also hatten wir keine andere Wahl als zuzustimmen. Er hatte ohnehin nur aus Höflichkeit gefragt. Der Platz gehörte immerhin nicht uns.

"Und, wohin geht's?", fragte er nett in die Runde.

Finn ignorierte ihn und schaute aus dem Fenster, Alisha tippte wie besessen auf ihrem Bildschirm herum und sein Blick lag auf mir. Ich musste ihm also antworten.

"Nachhause, Endstation."

"Cool, da muss ich auch hin." Er lächelte und reichte mir die Hand. "Ich bin Seb."

Etwas verwirrt schlug ich ein. Ich lernte nicht oft Leute außerhalb der Schule kennen. Zumindest nicht so, dass sie mir die Hand gaben. Ich dachte bisher, sowas machen nur alte Leute. Aber er konnte nicht älter als Mitte 20 sein.

"Marlon. Das sind Finn und Alisha."

Seb merkte schnell, dass ich kein Interesse daran hatte, unsere Bekanntschaft weiter auszubauen, steckte sich die Kopfhörer in die Ohren und blieb still.

Als der Zug im Bahnhof einfuhr, erkannte ich Damian bereits an dem Gleis stehen, das ich ihm genannt hatte. Ich musste lächeln, als ich sah, wie versessen er in den Zug schaute, um mich zu erkennen.

Ich schrieb ihm, dass er ein wenig vor laufen sollte, während wir uns aus dem Zug quetschten und ich mich nach Damian umschaute.

Wie Seb sich von unser verabschiedete, bekam ich kaum mit. Sobald meine Augen Damian erfasst hatten, schien die Welt um uns herum einfach zu verblassen. Oder ich hörte einfach auf, sie wahrzunehmen. Es war, wie bei einem Filter, der alles Unwichtige ausblendete.

Damians Blick löste sich für keine Sekunde aus meinem. Irgendwie schaffte er es, durch die Menge zu laufen, ohne angerempelt zu werden oder jemanden anzurempeln. Ich dagegen lief ständig gegen irgendwelche Koffer oder musste krasse Ausweichmanöver machen.

Sobald wir einander erreicht hatten, schlag Damian die Arme um mich.

"Boa, die tun so als hätten sie einander fünf Jahre nicht gesehen", brummte Finn. "Dabei waren es nicht mal fünf Stunden."

"Irgendwann werde ich ihn töten", flüsterte Damian in mein Ohr, ehe er seine Lippen auf die Stelle darunter senkte und sich dann wieder von mir löste.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, schob er meinen Rucksack von meinem Rücken und schulterte ihn. Ich hatte es aufgegeben, ihm zu sagen, dass ich meine Sachen selbst tragen konnte.

Der Tumult hatte sich wieder etwas gelegt, bis wir die Treppen zum Tunnel runterliefen und auf den Parkplatz zu.

Damian nahm meine Hand und grinste mich an, als ich sie fest drückte.

Wir warteten, bis Alisha und Finn von Alishas Bruder abgeholt wurden und machten uns dann auf den Weg zu meiner Tante.

Damian fragte mich, wie es gewesen sei und ob ich Spaß gehabt hätte. Nicht der Hauch eines Vorwurfs, dass ich ihn zurückgelassen hatte, in seiner Stimme zu erkennen.

Ich erzählte ihm von jeder Sekunde, die ich ohne ihn verbracht hatte, von jedem Gespräch und von jedem Gedanken.

Er war ein toller Zuhörer. Manchmal glaubte ich, er würde meine Worte aufsaugen als wäre er ein Schwarzes Loch, das sogar Zeit und Raum verbog, um die Materie in sich aufzunehmen.

Irgendwie hatte ich gehofft, meine These, dass Damian besitzergreifend war, bestätigen zu können, wenn ich ihm von Seb erzählte. Ich hatte die Chance nutzen wollen, ihm zu sagen, dass ich nur Augen für ihn hatte. Dazu bekam ich keine Gelegenheit. Er interessiert sich weder für Seb, noch dafür, dass ich extra dazusagte, dass er gut ausgesehen hatte und Alisha es kaum geschafft hatte, ihm ins Gesicht zu sehen. Wahrscheinlich ahnte er, dass ich ihn damit aus der Reserve locken wollte.

Ich hatte mich die ganze Zeit über darauf konzentriert, mit Damian zu reden. Mir war aufgefallen, dass wir einen Umweg gemacht hatten, doch ich hatte mir dabei nichts gedacht. So konnten wir noch durch den Park laufen, während die Sonne unterging. Das war schön.

"Kommst du noch mit zu mir?"

Statt darauf zu antworten, blieb Damian stehen, holte ein paar Münzen aus seiner Hosentasche und legte sie mir in die Hand. "Kannst du mir in dem Laden kurz was zu trinken holen?"

"Wir können doch zusammen gehen", lachte ich.

"Ist komisch mit einem vollen Rucksack."

Ich zog leicht die Augenbrauen zusammen, machte mir aber nicht die Mühe, darüber zu diskutieren. Damian war einfach seltsam. Und wahrscheinlich freute ich mich auch, endlich mal etwas für ihn tun zu dürfen.

"Okay, Wasser?"

Er nickte.

Ich lächelte ihn an und verschwand dann in dem Laden, ohne zu wissen, dass er nicht mehr da sein würde, wenn ich zurückkam.


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Kurzer Kommentar: In der alten Version hieß Seb David, aber ich fand ihn jetzt zu ähnlich zu Damian und habe ihn deshalb geändert.

wild (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt