*(35) Illusion*

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Manchmal ist Kontrolle nur eine Illusion.

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Eines der Dinge, die ich an Damian mochte, war wie leicht es mir fiel, mit ihm zu reden. Ich konnte ihm alles erzählen. Meistens hörte er bloß zu, manchmal stellte er Fragen, sagte mir seine Meinung, munterte mich auf oder unterstützte meine Rage. Er schien immer zu wissen, was mir gerade guttat.

Es vergingen schöne, harmonische Tage, an denen wir viel Zeit miteinander verbrachten, redeten, kuschelten und vorsichtige, unschuldige Küsse austauschten.

Dabei hatte er sich Griff. Es waren andere Momente, in denen immer deutlicher wurde, dass seine tierische Seite mit ihm durchging. Beim Essen zum Beispiel. Seine Pflegemutter hatte ihn bereits gebeten, etwas weniger zu schmatzen und mehr zu kauen. Er hatte sie angeknurrt. Seine Familie hatte es mit Humor genommen, aber ich sorgte mich darum wie lange sie ihm das noch durchgehen lassen würden.

Außerdem war mir aufgefallen, dass er seine Stärke weniger abschätzen konnte als zuvor. Er verbuchte es als Tollpatschigkeit, wenn er eine Tür wieder so zugeknallt hatte, dass Bilderrahmen von der Wand gekracht waren oder wenn sein Rucksack einmal durch das gesamte Zimmer schlidderte, als er ihn abwarf. Vor dem Hintergrund, dass im Alltag immer mehr von seinen Kräften durchkamen, konnte ich nicht so tun als steckte nicht mehr dahinter.

Damian sagte selbst, dass in der Schule oder überhaupt außerhalb seines Zimmers zu sein, momentan unfassbar anstrengend für ihn war. Er kam mit den ganzen Reizen nicht klar. Seine Sinne hatten sich scharfgestellt und seine Taktiken halfen nur bis zu dem Grad, um es gerade so erträglich zu machen. Von angenehm war er weit entfernt.

Klar war es süß, wenn er behauptete, dass er es mochte, sich auf mich zu konzentrieren und mich noch besser zu hören und noch besser zu riechen. Aber vor dem ganzen anderen Input zu flüchten, konnte auch nicht die Lösung sein. Nicht auf Dauer.

Das wohl heftigste war letzte Nacht passiert. Ich war aufgewacht, weil ich auf Toilette musste und hatte bemerkt, dass er nicht mehr neben mir gelegen hatte. Mit der Handytaschenlampe hatte ich sein Zimmer abgeleuchtet und gesehen, dass er vor dem Bett dalag, mit dem Kopf zur Tür. Als ich das Licht auf ihn richtete, hob er den Kopf und schaute mich neugierig an. Das seine Pupillen leuchteten mir entgegen. Sofort richtete ich die Taschenlampe in die andere Richtung, um seinen Augen nicht zu schaden.

„Was machst du da unten?", fragte ich ihn müde, während ich die Füße aus dem Bett schwang.

Statt mir zu antworten, richtete er sich auf, auf alle viere, krabbelte zu mir und rieb seinen Kopf an meinen Beinen.

Weiterhin verschlafen und absolut verwirrt, streichelte ich seinen Kopf.

Als ich ihn von mir schob und zum Badezimmer ging, krabbelte er mir hinterher.

„Damian", lachte ich, in der Annahme, er täte das, um mich zu belustigen. In Wahrheit war ihm gar nicht klar, was er da tat.

Mit Mühe und Not schaffte ich es, die Tür zum Bad zwischen uns zu schließen und verrichtete mein Geschäft. Er kratzte an der Tür, bis ich wieder rauskam und er mir zurück ins Schlafzimmer folgen konnte.

Ich legte mich zurück ins Bett, er kletterte auf mich und machte es sich gemütlich. Ich streichelte ihn und er begann zu schnurren.

Ich hatte ihn dabei aufgenommen, um ihn heute damit zu konfrontieren. Es fiel mir nur unglaublich schwer, es anzusprechen.

Gerade wirkte er ganz normal. Er saß neben mir an seinem Schreibtisch, wir brüteten über unseren Matheeinträgen und er tippte sich überlegend mit seinem Stift ans Kinn.

wild (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt