*(32) Blut*

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Du bekommst, was du so lange wolltest. Das Tier in dir reißt es an sich und zerfetzt es.

~~~


Er war bereits im Wald verschwunden. Ich konnte ihn nicht sehen, folgte aber dem Geräusch seines schweren Atems und der raschelnden Äste.

„Verschwinde", keuchte er, schon bevor ich überhaupt an ihn herangetreten war.

Seine Stimme klang rau. Die Dunkelheit in ihr jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken.

„Du kannst es aufhalten, Damian! Gestern hat es auch geklappt."

Mit einem unterdrücken Schrei brach er auf die Knie. „Gestern... wollte ich... niemanden... in Stücke... reißen."

Sein Atem ging schwer. Je mehr er versuchte, bewusst zu atmen, desto schmerzerfüllter krümmte er sich zusammen.

Es half nicht.

„Konzentrier dich auf was Anderes! Sag mir, was du sehen kannst!"

Er stieß einen frustrierten Schrei aus, gefolgt von: „Hau ab! Lass mich allein!"

„Nein!", brüllte ich zurück. „Ich lasse dich nicht alleine, wenn es noch die geringste Chance gibt, dass ich dir helfen kann!"

Er wusste, was er sagen musste, um mich loszuwerden. Ein einziges Wort. Eine Farbe.

Dass er das nicht tat, veranlasste mich dazu, mich ihm weiter anzunähern. So nah, dass ich mich neben ihn knien und meine Hand auf seinen Rücken legen konnte. Als Beweis dafür, dass ich da war. Dass es mehr gab als seine Wut und seinen Schmerz. Und, dass ich hier sein würde, selbst, wenn er sich dem geschlagen geben musste.

Damian krallte seine Hand in den Waldboden und krümmte sich weiter zusammen.

Ich wusste, dass es vieles gab, das ihm helfen konnte. Ein paar der Skills hatten auch schon funktioniert. Aber plötzlich fiel mir keiner mehr ein.

Mein Kopf war wie ein leerer Raum. In ihm nur das Echo seiner Schreie.

„Mach was", schluchzte Damian gequält.

Unter meiner Hand verhärteten sich seine Muskeln und seine Knochen begannen, sich zu verschieben. „Mach irgendwas."

Mein Kopf war leer.

Mein Körper übernahm.

Mit einem kräftigen Ruck zog ich Damian an den Schultern zurück. Er landete in meinen Armen, sicher und unversehrt.

Für einen Augenblick wirkte er tatsächlich überrascht. Als würde sein Körper kurz vergessen, was er gerade tat und müsste sich erst neu orientieren.

Ich nutzte die Gelegenheit, seine Aufmerksamkeit komplett umzulenken und presste meine Lippen auf seine.

Sein Körper krampfte in meinen Armen.

Ich wusste nicht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. Ob seine Verwandlung weiterging oder sich rückgängig machte.

Nur, um auf Nummer sicher zu gehen, intensivierte ich den Kuss. Ich leckte über seine Lippen, eine stumme Bitte um Einlass. Sie schmeckten nach Blut und Tränen.

Damian riss den Mund auf und schnappte nach Luft.

Erst da merkte ich, dass er seine Hand in meine Haare gekrallt hatte. So zog er meinen Kopf zu sich runter, um unsere Lippen wieder zu vereinen.

Da wurde mir klar: Wir küssten uns.

Es war komplett anders als ich es mir ausgemalt hatte. Damian war fordernd und gierig und ehe ich mich versah, bohrten sich scharfe Zähne in meine Unterlippe.

Der Geschmack von Blut verstärkte sich.

Ich versuchte, meinen Kopf zurückzuziehen.

Damian folgte mir, solange, bis er auf meinem Schoß saß und meinen Nacken mit seinen Armen umschlang.

Ich drehte mein Gesicht zur Seite und hauchte seinen Namen.

Alles, was ich wollte, war mich zu versichern, dass er okay war.

Ich bekam meine Antwort dadurch, dass er meinen Lippen nahtlos folgte und sich so energisch an mich drückte, dass ich auf den Boden fiel.

Er selbst hätte sich zumindest durch einen Blick dessen vergewissert, dass ich mich dabei nicht verletzt hatte. Sein tierischer Anteil interessierte sich dafür wenig.

Irgendwie schaffte ich es, meine Hand zwischen unsere Münder zu schieben und drückte ihn von mir weg.

Er schnaubte, versuchte meine Hand abzuschütteln und zurück zu meinen Lippen zu gelangen. Daran, dass er Hände hatte, die er nutzen konnte, dachte er gar nicht.

„Damian, das reicht!" Ich versuchte streng zu sprechen, hoffte meine Tonlage würde ihm verständlich machen, was ich sagte, falls er meine Worte nicht verstand.

Sein Blick sprang in meine Augen.

Sein Drücken gegen meine Hand wurde schwächer, sein Ausdruck verunsichert.

Als er zurück zu meinen Lippen sah und das Blut daran erkannte, weiteten sich seine Augen.

Schlagartig zogen sich seine Pupillen zusammen und ein dunkles Braun zog sich über seine eisblaue Iris.

Er begriff, dass er mich gebissen hatte.

Er begann zu bereuen.

Ganz egal, wie oft ich ihm sagte, dass es okay war.

Kein Wunder. Seine Sinne zeigten ihm, dass ich es nicht so meinte. Es war nicht okay. Ich hatte seine tierische Seite unterschätzt und seine Selbstkontrolle überschätzt.

Selbst, wenn er dagegen ankämpfte. Selbst, wenn er Hilfe zuließ... Er war nicht nur ein Mensch. In ihm war etwas, das er nicht kontrollieren konnte. Und manchmal kontrollierte es ihn.

wild (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt