*(66) Auftritt*

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Du kannst nicht wissen, was passiert. Aber du weißt, dass du es durchstehst, solange er an deiner Seite ist.

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Es war Freitag. Damian hatte für morgen ein Treffen mit Seb vereinbart. Wir hatten unsere Optionen abgewogen und entschieden, dass ich mitkommen würde.

Damian wollte signalisieren, dass er keine Geheimnisse vor mir hatte und wir immer auf der gleichen Seite stehen würden. Offiziell war ich also nur eine Begleitung. Inoffiziell war ich dafür da, den inhaltlichen Teil des Gesprächs zu übernehmen. Damian wollte sich auf seine Art der Wahrnehmung konzentrieren, um herauszufinden, was er mit Seb und seinen Intentionen anfangen sollte.

Es kam mir absurd vor, einen Abend davor mit meinen Freunden feiern zu gehen. Markus, Seb, das Rudel, Damians tierische Seite... all das fühlte sich an wie Elemente eines anderen Lebens. Eines Lebens, das mit dem, in dem ich mit Finn und Alisha befreundet war, nicht vereinbar war. Dazu war es zu gefährlich.

Heute Abend, so hatte ich beschlossen, wollte ich für ein paar Stunden ein stinknormales Leben führen – so normal, wie es für mich nun mal ging.

Alishas Bruder, Mika, hatte uns Karten für den Auftritt seiner Band besorgt. Mit uns meinte ich: Alisha, Finn, Damian und mich.

Obwohl ich seit Ewigkeiten nicht mehr mit Mika gesprochen hatte, schien mein Beziehungsstatus zu ihm durchgedrungen zu sein.

Als ich Alisha fragte, wie es dazu gekommen war, dass Mika wie selbstverständlich vier Karten besorgt hatte, schaute sie mich an als stünde es mir auf der Stirn geschrieben, dass ich ohne Damian nirgendswo mehr hinwollte.

Damian hatte demnach keine andere Wahl gehabt als mitzukommen. Nach außen hin taten wir so als wolle er Mikas Nettigkeit nicht ablehnen. Insgeheim wussten wir beide, dass er mitkam, um mich im Auge zu behalten. Auch, wenn wir nicht darüber reden. Wie Damian sich umschaute und in die Luft schnüffelte, wenn wir draußen waren, sprach für mich Bände.

Wir trafen Alisha und Finn vor dem Eingang zu der Halle, in der Mikas Band spielte. Damian und ich waren gelaufen und waren dennoch lange vor meinen Freunden da. Mein Freund war schon ganz genervt, als er Finns Auto erblickte und mir mitteilte, dass sie da seien. Ich war mir sicher, es lag mehr an der Menschenmasse als an der Situation an sich.

Okay, von Menschenmasse konnte ich nicht wirklich sprechen. Bisher waren vielleicht um die hundert Leute in die Halle gelaufen. Aber für einen Auftritt von Mikas Band war das nicht schlecht.

Dass Mikas Band die unbekannteste des Line-ups war, sprach keiner von uns aus. Keiner wollte es ihm vermiesen. Im Gegenteil. Finn und ich kannten Mika zwar bloß oberflächlich, aber er war ein netter Kerl und ich wünschte ihm, dass er seiner Leidenschaft der Musik irgendwann hauptberuflich nachgehen konnte. Bis dahin sollte er vielleicht aufhören, Karten zu verschenken...

„Zum Glück ist Damian diesmal mit dabei", freute sich Finn, nachdem wir uns begrüßt hatten, und uns zusammen in die Schlange zum Eingang der Halle stellten.

Auf meinen fragenden Blick hin erklärte Finn: „Dann hast du schon keinen Grund, schlechte Laune zu schieben und mitten drin abzuhauen."

Ein subtiler Seitenhieb über mein abruptes Verschwinden beim Rave.

„Ihr hattet auch ohne mich Spaß."

„Das glaubst du bloß, weil du nicht da warst. Alisha hat alle Typen von mir ferngehalten. Sogar die, mit denen ich eh nichts angefangen hätte."

„Bei dir weiß man nie", gab Alisha zurück.

Wir zeigten den Türstehern unsere Tickets. Sie glichen unsere Namen ab, schauten auf eine Liste, sagten irgendetwas in ihre Ear-Pieces und forderten uns schließlich auf, mitzukommen.

Einer von ihnen führte uns um die Halle herum, während der andere den Einlass vorläufig stoppte, bis sein Kollege zurückkam.

„Was passiert hier?", fragte ich Alisha überfordert.

„Keine Ahnung. Vielleicht hat mein dämlicher Bruder die Einrichtung auseinandergenommen und wir müssen jetzt dafür haften."

Ganz so unwahrscheinlich klang das nicht. Mika war ein totaler Chaot.

Wir wurden durch einen Hintereingang in die Hinterräume der Halle gebracht, an Umkleiden und Büros vorbei.

Vor einer Tür, auf der ein Schild mit Mikas Bandname stand, machte der Türsteher halt und klopfte dagegen.

Man hörte aufgebrachte Stimmen aus dem Inneren. Dass Mika etwas angestellt hatte, wurde immer wahrscheinlicher.

Die Tür wurde geöffnet und der Drummer von Mikas Band schaute uns einen Moment regungslos an, bevor er realisierte, dass er uns kannte und sich sein Gesicht erhellte.

„Oh heeeeyyyy!" Der Typ war sowas von besoffen. Immer. Ich hatte ihn noch nie nüchtern erlebt.

„Hey Josh", seufzte Alisha.

„Kommt rein! Kommt rein!" Josh drückte den Türsteher zur Seite, um Alisha in die Umkleide zu ziehen. Finn folgte ihr und Damian und ich folgten ihm.

„Danke, Mann! Guter Job!", sagte Josh zum Türsteher, ehe er ihm die Tür vor der Nase zuknallte und uns durch die Umkleide zu den Spiegeln schob, an denen Mika saß.

Er erkannte uns in der Reflexion, drehte sich auf dem Stuhl zu uns und breitete die Arme aus. „Ihr seid da!"

Als er aufstand, schaffte er es auf unerklärliche Weise, seinen Fuß so in dem Ständer des Stuhls zu verhaken, dass er direkt auf den Boden krachte. 

Wir waren zu weit entfernt, um ihn zu helfen. Alles, was wir tun konnten, war den Atem anzuhalten, während jemand an seine Seite trat und ihn auffing.

„Holy shit", sagte Mika perplex, riss seinen Fuß aus dem Ständer, während er sich an der Person neben ihm festklammerte.

„Ganz langsam, Großer", lachte Hanni, das dritte Mitglied von Mikas Band. Er stellte sicher, dass Mika stabil stand, bevor er die Hände von ihm nahm und sich an uns richtete: „Unfall erfolgreich abgewandt." Er zeigte uns ein breites Grinsen und den Daumen nach oben.

Manchmal war ich mir nicht sicher, wer von den beiden der größere Idiot war. In meinen Augen ergab es aber durchaus Sinn, dass sie sich beste Freunde nannten. Auch wenn oder gerade weil Hannis Bruder das komplette Gegenteil von ihm war.

Par excellence stand Rico mit verschränkten Armen neben Hanni und schaute abwertend zu Mika.

Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er außerhalb der hör- und sichtweite des Baskettballteams nicht halb so redefreudig war wie in der Schule. Nachdem ich das ein oder andere Abendessen mit seiner Familie erlebt hatte, wusste ich auch warum. Alles, was man an diesem Tisch sagte, wurde gegen einen verwendet.

Jennys Taktik war es gewesen, die perfekte Tochter zu spielen, den perfekten Freund zu präsentieren und die perfekte Beziehung vorzutäuschen.

Hanni tat das Gegenteil: Er machte alles, was seine Eltern hassten und war alles, was sie verabscheuten. Jede Beleidigung, jede Erniedrigung, die er dafür erfuhr, sah er als Gewinn.

Rico hatte es perfektioniert, zwischen der Liebe seiner Eltern für Jenny und ihrem Hass für Hanni, unterzugehen. Deshalb holte er sich Zuneigung und Bewunderung in der Schule, von seinen „Freunden". Deshalb hatte er dort immer etwas zu sagen und sorgte dafür, dass er Zuspruch bekam.

Im Grunde war es unfassbar traurig. Dafür hatte ich ihn auch lange bemitleidet. Doch Mitleid setzte Sympathie voraus und solange er es wagte, meinen Freunden das Leben schwer zu machen, konnte ich die nicht mehr für ihn aufbringen. Im Gegenteil.

Alles, was er jemals getan hatte, staute sich an und alles, was er weiterhin tat, brachte den Berg an Frust, Wut und Hass, den ich für ihn empfand, immer näher an eine Kante, die mich mit diesen Gefühlen in den Abgrund reißen würde.


wild (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt