54. Kleine Schwester

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Dahlia P.O.V.

„Und du kommst in 30 Minuten nach unten?", fragt Nico mich nachdem ich ihm darum gebeten habe mir etwas Zeit zu geben um zu duschen und mich umzuziehen, bevor ich ihm die Stadt zeige.

„Jaa...", sage ich leicht genervt und drücke ihn schon förmlich aus der Tür meines Zimmers raus.

Als die Tür ins Schloss fällt beginnen meine Gedanken zu rasen. Nico ist hier. Ich kanns nicht fassen.

Meine Gefühle sind gemischt. Denn mit seiner Ankunft hier ist nicht nur mein Bruder in mein Leben getreten sondern auch meine Vergangenheit. Wenn ich Nicos Gesicht sehe fühle ich mich wieder zurück versetzt. Dann fühlt es sich an als wäre ich die kaputte Dahlia. Die ihre Euphorie in der Spritze in ihrer Vene sucht. Die alles was sie sich erkämpft hat einfach verkackt hat. Die von der Vorzeigeschülerin und Stolz ihrer Eltern zu einem obdachlosen Junkie unter der Brücke wurde. An deren Schulter jemand gestorben ist.

Auf der anderen Seite ist und bleibt er mein Bruder. Die einzige Person die immer bei mir war. Als wir noch daheim bei unseren Eltern gewohnt haben. Und dann gemeinsam Tag für Tag einen Ort zum schlafen gesucht haben. Er ist das einzige Stück Zuhause was mir noch geblieben ist.

Mein Herz rast förmlich. Ich bin unruhig. Ein paar Tabletten hab ich ja noch.

Aus meiner Tasche krame ich eine Palette der Tabletten und drücke mir 1 raus. Mit einem Schluck abgestandenen Wasser aus einem Glas neben meinem Bett schlucke ich sie runter.

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„Im Prinzip hast du jetzt alles von der Stadt gesehen..", sage ich zu Nico nachdem wir binnen 1 h alles abgegangen sind.

„Nicht alles...wo genau arbeitest du denn? Die Unterkunft zahlt sich ja nicht von selbst."

In meinem Bauch verbreitet sich eine unangenehme Übelkeit bei dem Gedanken an die Bar. An Bryce. An alles was dort passiert ist.

„Aktuell nirgends..ich habe mal in der Bar neben meiner Unterkunft gearbeitet, aber der Besitzer ist..ähm..naja sowas wie krank. Für einen längeren Zeitraum..deshalb lebe ich zurzeit von meinem Ersparten, sollte mal für paar Wochen reichen."

Erkläre ich ihm und spüre leicht die Nervosität hochkommen wenn ich an Bryce denke.

„Langweilig..hier gibt es gar keine Clubs in der Nähe...wobei auf den Weg hier her, etwa 30 min entfernt in einer Stadt hab ich einen netten Club gesehen, falls d-"

Aprupt bleibe ich stehen und wende mich ihm zu.

„Nein. Keine Clubs. Keine Party. Keine Drogen. Das war die Bedingung"

„Okay okay...war ja nur ein Vorschlag, Schwesterherz.", spielerisch wuschelt er durch mein Haar. Das hat er schon immer gemacht. Schon als wir Kinder waren.

„Gut...", sage ich und wir gehen weiter. „Eine Sache möchte ich dir noch zeigen.."

Ich deute ihm ans Ende der Straße und Richtung Wald. Wir überqueren die Straße und die Motorrengeräusche im Hintergrund werden immer lauter.

„So...und das hier wäre der Motocrossplatz.", erkläre ich Nico.

Wir gehen den sandigen Platz hoch bis wir den gesamten Parcour überblicken.

Begeistert sieht er sich um.

„Wow das ist ja der Wahnsinn!!", ruft er euphorisch. Gebannt beobachtet er die Fahrer. Seine Augen funkeln und ich sehe sofort den kleinen Nico vor mir der zu seinem Geburtstag mit genau denselben funkelnden Augen seine Geschenke auspackt.

Auch wenn er lächelt. Man sieht ihm an dass es ihm schlecht geht, doch vor mir würde er es nie zu geben. Seine Augen sind blutunterlaufen, sein Haar schütter. Besorgt sehe ich ihn an.

„Beobachtest du mich?", fragt Nico ohne seine Augen von den Fahrern zu nehmen.

„Bin nur in Erinnerungen versunken.."

Ich seufze aus und lasse meinen Blick über den Platz schweifen. Sofort sticht mir ein Fahrer zwischen all den anderen ins Auge. Mason.

Trotz der Tatsache, dass sein Gesicht unter dem Helm verdeckt ist erkenne ich ihn sofort unter den anderen.

Gebannt verfolge ich ihn dabei wie er in rasanter Geschwindigkeit den Parcour abfährt.

„Der gefällt dir hm?", reisst mich Nicos Stimme aus meinem tranceähnlichen Zustand.

„Ähm was?", frage ich leicht peinlich berührt und wende meinen Blick weg als würde er mich bei etwas Verbotenem erwischen.

„Du starrst den einen Fahrer an.", sagt Nico ohne mich dabei anzusehen.

„Und das weißt du, obwohl du mich nichtmal ansiehst?", necke ich ihn.

„Ich kenn meine kleine Schwester halt..", sagt er liebevoll und stupst mich spielerisch an der Schulter.

„Kleine Schwester? Du bist gerade mal 23 Minuten älter als ich also, das zählt nicht.", sage ich und zwinker ihm zu.

Lächelnd widmet er sich wieder dem Beobachten.

„Hey...", Masons tiefe Stimme lässt mich kurz zusammenzucken. Ich hab ihn gar nicht kommen hören. Er stellt den Motor seines Motorrades ab und kommt auf uns zu.

„Hey..", sage ich und schenke ihm ein unsicheres Lächeln. Er nimmt seinen Helm ab und sieht mich an, bevor sein Blick sofort zu Nico schweift.

Masons Mimik verändert sich zu einem verwirrten Gesichtsausdruck.

„Mason...das ist Nico..mein Bruder.", sage ich hörbar unsicher und deute auf Nico. „Nico das ist Mason..."

„Hallo Mason.." sagt Nico selbstbewusst und streckt ihm seine Hand entgegen.

Ohne ein Wort zu sagen mustert Mason ihn mit gerunzelter Stirn von oben bis unten. Dann wirft er mir einen fragenden Blick zu. Er muss nichts sagen, auch ohne Wort weiß ich, dass Mason wissen möchte ob Nico okay ist. Sanft nicke ich Mason zu.

„Hey Nico..", antwortet er nun und schüttelt ihm die Hand so fest, dass Nico kurz aufatmet.

Danach entsteht Stille.

„Ja gut....", sage ich um die unangenehme Stille zu füllen. Ich wünschte ich könnte hören, was Mason gerade denkt. Anhand seiner Mimik scheint er eher gemischte Gefühle zu haben und mir geht es nicht anders.

„Gibt es sonst noch irgendjemanden den ich kennen lernen muss? Immerhin will ich wissen mit wem meine kleine Schwester ihr neues Leben ganz ohne mich verbringt..", sagt Nico zwinkernd und der Seitenhieb hinter seinen Worten entgeht mir nicht. Seine Worte verletzten mich, obwohl ich es nicht zulassen möchte.

„Anna und Liam kennst du noch nicht...", sage ich und bin mir nicht sicher ob ich nicht einfach nichts sagen hätte sollen.

„Na dann...ich wäre dafür dass wir alle den Abend miteinander verbringen, damit ich mal alle kennenlernen kann..", schlägt Nico übermütig vor.

Unsicher zucke ich mit den Schultern.

„Okay von mir aus...ähm ich kann Anna dann schreiben.", sage ich.

„Gerne Schwesterherz..wie gesagt habe ich auf den Weg hierher einen Club gesehen, etwa 20 Minuten entfernt da könnten wir ja gem-"

„Zu mir.", unterbricht Mason, der das vergangene Gespräch bisher nur still beobachtet hat, ihn. „Wir können zu mir." Seine Stimme klingt kalt. Er lässt keinen Raum für Diskussion offen.

„Okay dann zu dir...Markus..ähm Manuel..äh."

Mason geht langsam einen Schritt auf Nico zu. Sein Körper ist komplett angespannt.

„Mason." korrigiert er Nico bedrohlich. „Merk dir den Namen besser wenn du vorhast in Dahlias Leben zu bleiben."

DahliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt