77. Ganz schön frech

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Dahlia P.O.V.

Die Geräusche werden lauter, als plötzlich zwei Autos und ein Motorrad aus der Ferne im Wald auftauchen. Sie kommen immer näher.

Es dauert nur wenige Sekunden, bis die beiden Autos die letzten Meter Wald durchquert haben und 50 Meter entfernt zum Stillstand kommen. Der Motorradfahrer fährt an den Autos vorbei und bremst als er uns sieht, so abrupt ab, dass sein Hinterreifen leicht wegrutscht.

Mason atmet scharf ein.

Ich mustere ihn kritisch, als ich merke, dass er leicht zu Zittern beginnt.

Der Motorradfahrer steigt ab und reißt sich den Helm vom Kopf.

„Mason... wer ist das?", frage ich ihn leise.

„Geh ins Haus", sagt Mason kalt, ohne seinen Blick auch nur für eine Sekunde von dem Motorradfahrer zu wenden.

Bevor ich die Möglichkeit habe, darüber nachzudenken, höre ich den Typ aufgebracht in unsere Richtung stapfen. Er hat Mason im Visier wie ein Tier seine Beute.

Je näher er kommt, desto mehr fallen mir die Ähnlichkeiten mit Mason auf. Die Augen. Die Mimik. Die Haarfarbe. Verdammt, das ist sein Bruder.

Kaum habe ich die Puzzlestücke in meinem Kopf halbwegs zusammengesetzt, steht er schon vor Mason. Nur wenige Zentimeter trennen sie voneinander.

Mason steht da wie angewurzelt. Er bewegt sich nicht. Er sagt nichts.

Sein Bruder, fast genauso groß wie er, starrt ihn mit einem Blick an, den ich noch nie zuvor gesehen habe. Ist es Wut? Trauer? Angst? Es ist alles. Und so intensiv, dass auch ich nicht weiß, was ich tun oder sagen soll.

Diese Entscheidung wird mir abgenommen, als der Bruder plötzlich mit seiner zu einer Faust geballten Hand ausholt. Mit einem heftigen Schlag gegen Masons Gesicht befördert er ihn auf den Boden.

Erschrocken zucke ich zusammen.

„Sag mal, spinnst du?!", schreie ich ihn an. Er würdigt mich keines Blickes.

Benommen greift sich Mason, am Boden liegend, zur Nase und wischt sich das herunterlaufende Blut weg. Ich setze mich sofort zu ihm runter und nehme sein Gesicht in meine Hände.

„Mason, verdammt... geht's?", frage ich ihn gestresst, als sich bei dem Anblick Tränen in meinen Augen sammeln.

„Geht schon...", sagt er schwach. Sein ganzer Körper zittert.

Ich helfe ihm, sich wieder aufzurappeln. Schützend stelle ich mich zwischen die Beiden, meinen Rücken dem Bruder zugewandt. Ich nehme die Enden meines Shirts und wische Mason Blut von seinem Gesicht.

„Wie kannst du es wagen, hierher zu kommen?!", brüllt plötzlich sein Bruder hinter mir so laut, dass ich heftig zusammenzucke.

Masons Blick wendet sich zum Boden. Er gibt kein Laut von sich. Warum wehrt er sich nicht? So kenne ich ihn gar nicht. Normalerweise lässt er sich von niemandem einschüchtern. Jedem anderen hätte er schon eine verpasst.

Im Hintergrund höre ich Autotüren auf und zufallen. Ich drehe mich um und sehe an Masons Bruder vorbei. Drei Typen gehen langsam in unsere Richtung.

„Tyler, lass ihn...", ruft einer der Typen ihm aus der Ferne zu, und bleibt mit den anderen in sicherer Distanz stehen.

"Ja, hör lieber auf deine Freunde, Tyler", sage ich und blicke Tyler wütend an.

Zum ersten Mal, seit er hier ist, richtet er seinen Blick auf mich. Mit erhobener Augenbraue scannt er mich von oben bis unten ab.

"Du hältst dich am besten raus, Süße", antwortet er unbeeindruckt und wendet seine Aufmerksamkeit wieder Mason zu.

"Antworte mir! Was hast du hier verloren?", brüllt er ihn wieder an.

Instinktiv weiche ich bei dem Gebrüll einen Schritt zurück und stehe nun an Masons Oberkörper gepresst vor ihm. Das Zittern seines Körpers überträgt sich auf meinen, und meine Wut gegenüber Tyler steigt immer mehr in mir auf.

"SAG ETWAS!", brüllt Tyler noch lauter, hebt drohend seine Faust und kommt noch näher.

Ohne zu Zögern schubse ich ihn mit aller Kraft an seiner Brust zurück. Überrumpelt von meiner Reaktion taumelt er ein paar Schritte nach hinten.

Er steht kurz einfach nur da bevor er sich aus seiner Position löst und wütend auf uns zugeht. Als würde er mich damit einschüchtern wollen, baut er sich vor mir auf und starrt mich von oben an. Seine Atmung ist erhöht.

"Hab ich nicht gesagt, du sollst dich raushalten, Süße?", flüstert er drohend.

"Und hab ich nicht gesagt, du solltest auf deine Freunde hören und Mason in Ruhe lassen, Arschloch?", entgegne ich ihm.

"Ganz schön frech für so ein kleines Ding."

"Danke", antworte ich grinsend und zucke mit den Schultern.

Sein Kiefer spannt sich an.

"Du solltest aufpassen, wie du mit mir redest. Du willst keine Probleme mit mir haben, glaub mir."

"Ich hab ein Problem mit dir, seit deine Faust Masons Gesicht getroffen hat.", fauche ich ihn an.

"Geh aus dem Weg, Süße...", sagt Tyler augenverdrehend und greift nach meinem Oberarm, um mich aus dem Weg zu schieben.

Die Berührung dauert keine Sekunde, als plötzlich Tylers Hand von meinem Oberarm gerissen wird. Keine weitere Sekunde später steht Mason zwischen mir und Tyler.

"Fass sie ja nicht an...", flüstert Mason ihm drohend zu.

Auf Tylers Gesicht bildet sich ein Grinsen.

"Oh, sieh einer an...er kann sprechen"

"Was willst du hier?". Masons Stimme klingt zittrig.

"Was ich hier will? Was willst du hier? Wie kannst du es wagen, hierher zu kommen? An ihren Lieblingsort?". Tylers Stimme bricht gegen Ende des Satzes.

"Ich... ich bin zum ersten Mal seit ihrem Tod hier. Denkst du, es fiel mir einfach?"

Etwas an Masons Aussage hat wohl Tylers Geduldsfaden reißen lassen. Von Wut außer sich packt er Mason am Kragen seines Shirts und befördert ihn mit einem heftigen Ruck auf den Boden. Für einen Moment bleibt Mason die Luft weg. Tyler beugt sich über ihn, Masons Kragen fest in der Hand.

"DU bist doch derjenige, der sie umgebracht hat!", brüllt er Mason ins Gesicht, hebt ihn leicht an, nur um ihn dann noch fester wieder auf den Boden zu drücken.

"Lass ihn los!", schreie ich panisch und versuche von hinten Tyler von Mason zu reißen. Tyler zuckt nicht mal mit der Wimper.

Er hebt Mason nochmal an und drückt ihn wieder so heftig nach unten, dass Mason husten muss.

"Du sollst ihn loslassen!", versuche ich es noch einmal. Ich halte ihn an den Schultern fest und versuche ihn mit all meiner Kraft, von Mason zu ziehen. Mit einem festen Ruck schubst Tyler mich von sich runter und brüllt Mason weiter an.

Unsanft lande ich auf dem dreckigen Boden auf meinem Rücken. Ein brennender Schmerz breitet sich in meiner linken Seite aus.

So ein Arschloch.

Ich versuche mich aufzurappeln, als mir schlagartig die Luft wegbleibt. Sofort lande ich wieder auf meinem Rücken. Verdammt.

Ich greife mir an meine verletzte Stelle und versuche langsam zu atmen. Jeder tiefe Atemzug fühlt sich an als würde mir jemand ein Messer in die Lunge rammen und hindert mich daran, genug Luft zu bekommen.

Im Hintergrund höre ich Mason und Tyler weiter diskutieren. Ich starre in den Himmel und versuche ruhig zu atmen.

Ok Dahlia Ein....und Ausatmen....Ein....und...

Die Stimmen im Hintergrund werden leiser, der Himmel wird dunkler.

"Mason...", versuche ich ihn zu rufen, doch aus meinem Mund kommt kaum ein Laut.

DahliaWhere stories live. Discover now