Kapitel 23

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Ich habe bestimmt den ganzen restlichen Tag geschlafen. Ich wusste überhaupt nicht mehr, wie spät es war und ob es morgens oder abends war. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Das soll allerdings noch öfter vorkommen nach solch einer Operation meinte der Arzt. Gott sei Dank, dass er nichts mehr wirklich ernsthaftes gefunden hatte. Ich war so froh und wollte eigentlich auch nur noch hier raus. Ich hasse Krankenhäuser. Manchmal frage ich mich echt, warum ich Hebamme werden wollte, wobei ich diesen Ort so verabscheue. Es war nicht ganz klug von mir, eher unüberlegt. Ich wollte einfach wahllos irgendwas machen, um einfach nur von zu Hause wegzukommen und mein eigenes Geld verdienen. Einen Neustart, glücklich werden. Schon früher in der Schule wusste ich nicht, was ich später mal machen soll. Ich hatte echt die verschiedensten Berufe. Tierarzt, Schauspielerin, Sängerin, was wohl eher in meinen Träumen als Kleinkind existierte. Später allerdings kam der Wunsch Psychologin zu werden, daran habe ich auch echt lange festgehalten. Bis alles über mich zusammenbrach. Ich wollte nicht mehr, gar nichts mehr. Ich hatte keine Lust zu studieren. Ich wollte kreativ sein, wirklich etwas machen, was mir Spaß macht. Doch dann hat das Geld nicht gereicht. Ich habe nie wirklich eine Unterstützung von meinen Eltern gefordert und daher wahrscheinlich auch nicht bekommen. Alles, was ich jetzt habe, habe ich mir selber aufgebaut. Ich könnte stolz auf mich sein, bin ich aber nicht. Was habe ich denn schon wirklich erreicht? Ich habe die Welt nicht besser gemacht, ich habe nur an mich gedacht und daran, wie ich mich aufrecht erhalten kann, ohne einen falschen Weg einzuschlagen. Ohne Alma und Justus hätte ich es nicht mal einen Monat hier in Essen ausgehalten. Sie waren die Personen, die mir in jeder Situation geholfen haben, egal wie schlecht es ihnen in dem Moment auch ging.

Manchmal würde ich auch gerne das Handtuch schmeißen, so wie Alma, aber ich weiß nicht, ob ich dann noch leben kann. Ohne Ausbildung, Job und Geld. Ich könnte mein Geld nicht mit selbstgemalten Bildern verdienen, dafür kann ich viel zu schlecht malen oder zeichnen. Früher habe ich wirklich gedacht, dass ich sowas kann. Was für eine schöne Kindheitseinbildung. Da ging es allerdings auch nicht darum, wer die besseren Bilder malte, sondern einschließlich um den Spaß und die Leidenschaft, die dahinter steckte. Traurig, dass das jetzt, wo man älter wird, einfach so verschwindet. Ich habe mich schon oft gefragt, wie es wohl wäre, wenn wir alle Kinder geblieben wären. Wir wären viel ehrlicher und würden krampfhaft versuchen irgendwas zu machen, was uns tatsächlich zum Lächeln bringt.

Es ist ja nicht so, dass ich meinen Job hasse. Nein, ich mag ihn sogar sehr. Nur die Ausbildung ist scheiße, weil du unter ständiger Aufsicht leidest. Du spürst schon förmlich in deinen Rücken, wenn du etwas falsch machst und das ist bitter und macht das Arbeitsklima auch nicht unbedingt besser. Bitte lieber Gott, lass mich einfach wieder Kind sein!

Ich müsste damit aufhören. Ich starrte jetzt schon eine halbe Stunde aus dem Fenster und betrachtete wie es immer dunkler wurde. Ich philosophierte mal wieder über alles und jeden und ich konnte es auch einfach nicht abstellen. Es ging nicht. Ich bräuchte dringend frische Luft. Ich sah in meine Tasche, die mir Alma und Justus freundlicher Weise noch vorbeibrachten. Dort war alles lebensnotwendige drin. Ein paar Tage müsste ich hier nämlich noch verweilen, ehe ich gehen könnte. Sie wollen mich lieber noch zur Beobachtung hier behalten. Ich würde es hier ja nicht schlimm finden, wäre es nur ein bisschen netter. Mir fehlt ein Bücherregal mit ganz vielen Büchern, ein gemütlicher Sessel und frohe Farben im Zimmer. Ist vielleicht nicht unbedingt das Beste für einen Platz, in denen manchmal Menschen sterben können, aber so könnte man ihnen den Tod doch wenigstens angenehmer gestalten. Ich meine, wer will schon in einem kühlen ausdruckslosen Raum sterben?

In meiner gepackten Tasche fand ich einen warmen Cardigan, den ich mir schnell umwarf. Meine weißen Chucks standen bereits vor meinem Bett. Ich zog mir davor nur noch Socken über und schlich mich dann in den großen langen Saal. Es war still, als wenn schon alle schliefen. Ich sah auf eine große Uhr, die vor mir hing. Acht Uhr abends. Hier ging man wohl früher ins Bett. Ich hörte meine Schritte immer wieder und wieder. Ich wusste nicht, ob es erlaubt war, abends noch vor dem Krankenhaus herumzuschleichen. Zu Mal es ja schon etwas dunkel war. Doch, das war mir jetzt egal. Ich sollte mich genesen und zur Genesung brauche ich frische Luft und die bitte nicht nur aus dem Fenster.

Pure chance (Marco Reus FF)Where stories live. Discover now