Kapitel 41

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Mit übertrieben lauter Musik fuhr ich wieder Richtung Essen. Doch auf der Hälfte musste ich anhalten. Meine Augen sahen schon ganz verschwommen von den ganzen Tränen, die mir hochstiegen. Ich hielt auf irgendeiner Raststätte. Ich war irgendwo im nirgendwo. Ich stieg aus, um die frische Luft einzuatmen. Es fiel mir schwer, als wenn sich irgendwas Schweres auf meinen Brustkorb gelegt hätte. Ich wischte mir die ganzen Tränen weg und schimpfte praktisch mit mir selbst, dass ich schon wieder weinte. Wegen so einem Mist! Marco ist einfach ein riesengroßes Arschloch! Und alle anderen sind nicht besser! Sie haben es mir alle verheimlicht, einige jahrelang.

Ich habe es mir früher so oft gewünscht, diese Jungs aus meiner Kindheit wieder zu sehen und jetzt weiß ich, wer sie sind und wo sie sind und ich komme damit nicht klar. Warum muss auch alles auf einmal kommen? Eins von beidem schön und gut? Aber gleich Beides. Ich bin verwirrt, mein Kopf spielt verrückt.

Deswegen bestand vielleicht auch diese Verbindung zwischen mir und Mats. Ich habe gewusst, da ist irgendwas. Ich konnte es bloß nicht richtig definieren.

Ich schlug die Autotür zu und lief im Kreis. Ich konnte nicht mehr. Mir tat alles weh und ich wollte einfach nur noch in mein Bett und meine weiße Decke anstarren, so wie ich es immer tat, wenn ich nicht weiter wusste.

Mein Handy gab einen Ton von sich. Zwei Nachrichten. Eine war von meiner Mutter.

Hey süße, wie geht es dir? Hast dich lange nicht mehr gemeldet. Hab dich lieb, Kuss.

Sie wusste es. Sie wusste es die ganze Zeit. Jetzt, wo alles gut zwischen uns war, kann so eine kleine Sache es wieder kaputt machen. Ich war enttäuscht von ihr. Ich dachte wirklich, sie wäre ehrlicher zu mir. Hatte sie denn nicht gesehen, wie viel mir diese Jungs früher bedeutet hatten?Spätestens im Krankenhaus musste sie ihn doch erkannt haben, aber sie hat es dennoch ignoriert, warum? Ich konnte ihr nicht zurückschreiben, dafür war ich viel zu sauer auf sie.

Die andere, war von einer Mitschülerin, meiner Hebammen Ausbildung.

Hey Amelie, kannst du mir noch den Stoff von der letzten Wochen geben. Ich war ja krank und nächste Woche sind ja auch schon die Prüfungen. Dir vertrau ich in solchen Situationen, dass du fleißig mitgeschrieben hast :)

Scheiße... Einfach nur scheiße!!! Das hatte ich ganz vergessen. Ich schmiss meine ausgetrunkene Flasche weit weg in irgendeinem Busch. Eigentlich machte ich sowas ja nicht, weil ich ja die Umwelt nicht beschmutzen wollte. Doch nun überkam es mich einfach. Das kann doch nicht wahr sein, was soll denn noch auf mich zukommen? Diese Prüfungen kommen so ungelegen. Was ist, wenn ich schon viel früher hätte anfangen müssen dafür zu lernen?

Ich setzte mich wieder ins Auto und ließ meinen Kopf auf dem Lenkrad senken. Ich war kaputt. Das war zu viel für heute. Ich hatte einfach keine Lust mehr. Wann endet das endlich alles? Ich beschloss weiter nach Hause zu fahren und mich dann in meinem Zimmer einzuschließen.

„Amelie? Bist du da? Jetzt mach doch auf... Was ist denn passiert?"
Ich hatte meine Jacke immer noch an, war immer noch am selben Platz wie zuvor. Ich hatte mich auf mein Bett geschmissen und mich seit dem nicht mehr gerührt, außer vielleicht um eine Träne wegzuwischen, die mich kitzelte, weil sie mir bis zum Hals runterlief.

„Ami..."
Ich wollte ihr antworten, doch irgendwie konnte ich mich nicht aufraffen. Ich wollte nicht schon wieder alles erzählen. Es tat alles so weh. Am Liebsten würde ich hier für immer liegen bleiben und so lange warten bis der Schmerz weggeht. Er hat sich für sie entschieden, nicht für mich. Das muss ich wohl oder übel akzeptieren. Ich hatte keine Chance. Ich gehöre jetzt nicht mehr in sein Leben und er wird mich vergessen, denn ich war nichts als ein weiterer One Night Stand für ihn, aber gerade das schmerzte so sehr. Ich habe ihn geliebt... und tue es immer noch. Er war so aufmerksam zu mir, hat mir zugehört und mir das Gefühl gegeben, ich wäre wirklich etwas Besonderes für ihn. Wo ist all das geblieben? Bedeute ich ihm denn wirklich gar nichts mehr?

„Süße... ich muss jetzt zum Arzt, vielleicht hast du ja Lust danach etwas darüber zu reden?

Ich antwortete wieder nicht. Mein Gesicht war so starr, ich konnte es kaum bewegen.

„Okay. Ich bin dann jetzt weg. Mach keinen Blödsinn hörst du?"

Ich spürte, dass mein Gesicht ganz nass war von den Tränen, was irgendwie ekelig war. Es klebte alles.

Was sollte ich denn für „Blödsinn" anstellen? Mich ritzen, mich umbringen? Wegen einem weiteren Mann, der mich nur benutzt hat. Ich möchte nichts von all dem, sondern einfach nur weg. Weit weg von allem.

Als ich hörte wie sich die Tür hinter ihr schloss, kroch ich gequält aus meinem Bett. Mir war ein wenig schwindelig und kippte auch sofort zur Seite. Ich konnte froh sein, dass ich nicht völlig gegen meinen Kleiderschrank knallte. Langsam begann ich mich auszuziehen. Doch alles passierte nur mühsam.

Mein Weg führte ins Bad, wo ich mir erstmal mein verschmiertes Make-up abwischte. Ich nahm eine heiße Dusche. Und mit heiß meinte ich, sehr heiß. Eigentlich machte ich das nicht, eher benutzte ich immer lauwarmes Wasser. Aber ich wollte es spüren. Es tat ein wenig weh. Wo andere allerdings schon aufgesprungen wären, stand ich da und ließ es einfach über mich ergehen.

In der Küche machte ich mir dann einen Tee, essen wollte ich nichts. Der Appetit war mir schon lange vergangen. Deswegen nahm ich ihn mir mit ins Zimmer und verschloss meine Tür wieder. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und kramte meine ganzen Ausbildungssachen heraus. Das ist echt wahnsinnig viel Stoff, wie sollte ich das bloß alles bis nächste Woche lernen? Das Beste wäre, sofort anzufangen dachte ich mir und begann mir schonmal alles durchzulesen und zu ordnen. Ich fand die ersten Blätter, die ich hier geschrieben hatte. Ich erinnerte mich an die kleine Amelie, die einfach nur weg wollte von ihrer Familie aus dem Norden. Weg von dem ersten Freund, der sie betrogen hatte. Und wie sie mit voller Erwartung an diese Stadt ranging...Letztendlich hat es ihr auch nicht mehr gebracht, als dort, wo sie herkam. Alles ging mal wieder den Bach runter, egal wo ich nun war. Mir stand der Kopf bis sonst wo, doch trotzdem zwang ich mich dazu einige von den Blätter in meinen Schädel zu bekommen. Ich liebe diesen Job, warum sollte ich es mir jetzt vermasseln wegen so einem Schlamassel. Ich könnte mich auch genauso gut nach den Prüfungen um meine neu dazu gewonnenen Brüder kümmern. Erstmal müsste ich sowieso zusehen, wie ich nun damit umgehen sollte. Für mich existierte immer nur meine Schwester und ich, jetzt auf einmal seine weiteren eigentlichen Familienmitglieder zu treffen ist so ein komisches Gefühl, vor allem kannte ich sie ja nicht mal richtig. Den Bruder von Mats noch viel weniger. Und vielleicht möchten sie mit mir familiär ja auch gar nichts zu tun haben. Deswegen hat mir Mats vielleicht auch nichts erzählt... aber dann hätte Cathy doch nicht gesagt, dass ich praktisch zur Familie gehören würde. Ach, es ist alles verkorkst.

Und es lenkte mich vom Wesentlichen ab. Ich müsste mich jetzt zusammen reißen, wenigstens nur für diese eine Woche.

(Feedback? <3 Lg Frieda)  

Pure chance (Marco Reus FF)Where stories live. Discover now