Kapitel 38

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Ich war in irgendeinem Park. Es war dunkel, nur die Straßenlaternen leuchteten am Weg entlang. Vor mir war Wasser. Das Licht spiegelte sich darin. Es war still, nur ab und zu hörte man einen Vogel oder eine Eule. Doch Menschen waren hier keine. Ich war alleine, alleine weinend auf einer Bank. Ich musste schrecklich aussehen, mein Make-up total verwischt, die Augen rot geschwollen und die Haare zerzaust. Viel an Tränen waren da nicht mehr. Ich war auch nicht mehr wirklich traurig oder gar sauer. Ich fühlte mich einfach nur noch leer. Ich fühlte gar nichts mehr. Ich beobachtete die Enten auf dem Wasser, sie schwammen langsam vor sich hin, als hätten sie noch so viel Zeit in ihrem Leben. Doch selbst Enten sind nicht unsterblich. Ob sie das wissen? Menschen denken leider, sie wären unsterblich und das ist das Problem an der Menschheit.

Ich wusste nicht, wo ich war. Ich glaubte sogar nicht mal mehr zurück zu meinem Auto zu finden. Doch ich machte mir nicht weiter Gedanken darüber, ich wollte einfach nur weiter hier sitzen bleiben und an gar nichts mehr denken. Nur beobachten, hören und fühlen, auch wenn da nichts mehr war.

Der Wind war eisig mit meiner dünnen Jeansjacke. Ich versuchte es zu ignorieren. Ich wollte sogar die Kälte spüren, denn sie durchfuhr meinen ganzen Körper. Ich kramte in meiner Tasche nach einem Taschentuch und wischte mir die übrig gebliebenen Tränen weg. War es das wirklich wert, zu weinen?

Mein Vater hat einmal gesagt, da war er ausnahmsweise mal nicht betrunken: „Du bist ein starkes Mädchen, Amelie. Du kannst alles erreichen, was du nur möchtest in deinem Leben. Du musst nur dafür kämpfen und du bist meine Tochter, das heißt, du bist stark genug, um zu kämpfen." Mal wieder lachte ich ironisch darüber. Er lag falsch. Ich war schwach. Sieh mich an, ich liege halb auf irgendeiner Bank in einem Park und heule mal wieder einem Mann hinterher.

Dabei... war er nicht der Mann, der sich gefragt hat, wie man jemanden wie mich verletzen kann? Es ist zum Kotzen. Diese Welt ist zum Kotzen. Sind denn alle Männer, mit denen ich zu tun habe Arschlöcher? Ich hätte auf meine Intuition hören und ihm nicht vertrauen sollen. Aber Nein, ich war mal wieder zu naiv. Ich dachte wirklich, dass er mich lieben würde. Für das, was ich bin. Doch das ist alles Fantasie. Das habe ich mir alles wieder schön ausgemalt und am Ende wurde es doch wieder zerstört. Vielleicht ist das so für mich vorgesehen. Diese Kindheit, dieser Vater, diese damals noch so karriereorientierte Mutter, diese ganzen gescheiterten Beziehungen. Vielleicht muss ich all diese Erfahrungen machen, um endlich etwas für mich machen zu können. Unabhängig von Männern zu werden. Allgemein unabhängig von allem zu werden.

Ich starrte in die Leere und fing wieder an zu grübeln, bis ich Schritte hörte. Jetzt ist wohl meine Zeit gekommen. All die Szenarien, die ich mir ausgemalt hatte, wenn ich mal nachts alleine unterwegs war, würden jetzt also war werden. Ist bloß die Frage, was davon jetzt passieren würde? Vielleicht ist es jedoch nur ein Passant, der nächtliche Spaziergänge liebt. Etwas vor machen konnte ich mir schon immer gut. Mich zu bewegen war schwer, ich wollte auch nicht. Mein Körper war wie aus Eis, es muss wohl doch ziemlich kalt gewesen sein. Ich versuchte meinen Blick nach oben zu richten und sah auf einmal in braune bekannte Augen.

„Amelie?" fragte er und sah mich besorgt an. Nach ein paar Sekunden realisierte ich endlich, wer es war. Mats.

„Ja?"

„Alles okay?"

„Ja, ja klar. Mir geht's gut. Alles gut."

„Warum sitzt du hier alleine?" Er sah mich genauer an.

„Hast du geweint?"

Ich sah woanders hin, damit er mir nicht weiter ins Gesicht blicken konnte.

„Hey, was ist denn los?" Ich fing wieder an zu schluchzen. Man ich wollte es doch jetzt sein lassen. Da war ich gerade so weit und jetzt...

„Komm hoch, die Bank ist doch viel zu kalt." Er nahm meine Hand und zog mich hoch.

Pure chance (Marco Reus FF)Where stories live. Discover now