Kapitel 4

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Wieder zurück im anderen Zimmer, war die Party immer noch in vollem Gange. Es war schwer, einen überblick zu finden. Tränen flossen mir aus den Augen. Ich wollte einfach nur raus hier, also lief ich, mein Gesicht auf den Boden gerichtet, damit niemand sehen würde, dass ich weinte, schnellen Schrittes über die Tanzfläche und suchte die Tür, die mich endlich aus der Hölle bringen würde. Einfacher gesagt, als getan. In der großen Menschenmenge ging ich total unter.

Ich stand nun mitten auf der Tanzfläche, um mich herum, tanzende Menschen. Angst machte sich in mir breit. Die Tränen wurden immer mehr. Eine halbe Ewigkeit verging, in der ich mich kontinuierlich im Kreis drehte. Ich konnte nicht mehr. Es wurde alles zu viel. Ich brach zwischen der riesigen Menschenmasse auf dem Boden zusammen. Mein Gesicht in meinen Händen vergraben, kniete ich auf dem von Alkohol durchnässten Boden. Es stank. Ich hasste diesen Geruch. Ich hörte eine weibliche Stimme neben mir durch den Raum rufen. "Seht mal! Da ist die kleine Streberin Emma! Sie liegt auf dem Boden und heult!" Ich blickte auf. Es war Melanie. Sie, inklusive die ganze Menge hörte auf zu tanzen und fing an zu lachen. Die Musik stoppte ebenfalls. "Das war wohl zu viel für sie." Die Menge lachte lauter. Ich sah zu den Strebern in der Ecke rüber. Sie lachten ebenfalls, oder versuchten es zumindest. Ich verübelte es ihnen nicht. Sie wollten dazugehören. Eines, fiel mir jedoch auf. Robbie, der Typ in dem Rollstuhl, lachte nicht. Er sah mich bemitleidend an.

Ich versuchte ihm zuzulächeln, doch ich war zu traurig, wütend. Ich wendete mich ab, sah in eine andere Richtung durch die lachende Menge. Jessica stand dort mit Melissa und Melina. Die beiden lachten ebenfalls, Jessica stand eher außen vor und sah mich mit traurigem Blick an. Melanie meldete sich erneut zu Wort. "Hey Jess! Willst du wirklich mit so einer wie der rumhängen?" Wieder brach das große Gelächter aus. Jess? So durfte ich sie nie nennen. Angeblich hasste sie diesen total normalen Spitznamen. Ich hatte nicht aufgehört Jessica, auf der Suche nach Hilfe, anzusehen. Sie hingegen schwankte mit ihrem Blick zuerst nach Melanie und wieder zurück zu mir. Sie setzte ein unechtes, dennoch gut gespieltes lachen auf. "Natürlich nicht." Sagte sie in einer arroganten Stimme. Mein kleines, sowieso schon total belastetes Herz, zerriss in tausend Fetzen. Wie konnte sie mir das antun? Wir kannten uns doch schon seit dem Kindergarten. So etwas nannte ich beste Freundin. Meine Trauer wurde mit einem Schlag zu gnadenloser Wut und die Tränen hörten auf zu fließen. Ihr Blick wanderte wieder zu Melanie, welche sich zu mir herunterbeugte um mir etwas ins Ohr zu flüstern. "Hörst du? Noch nicht mal die will noch mit dir befreundet sein. Du hast niemanden! Du bist ganz allein!"

Ein gehässiges lachen kam direkt hinterher. Meine Trauer um Josh hatte ich in diesem Moment vergessen. In mir tobte es. Am liebsten hätte ich sofort losgeschrien. Um mich herum in einem Kreis, stand immer noch die riesige Menschenmasse. Sie blickten alle erwartungsvoll zu mir herunter. Wahrscheinlich hofften sie, ich würde erneut anfangen zu weinen. Nein! Das würde ich ganz sicher nicht, dachte ich. Elegant und selbstbewusst schlüpfte ich aus den Pumps, nahm sie in die Hand, stand vom kalten, nassen Boden auf und verließ durch dieselbe weiße Tür, durch die ich auch hereingekommen war, die Party. Nachdem ich sie hinter mir geschlossen hatte, fing die Musik erneut an zu spielen. Es war mir egal. Gerade in diesem Moment war mir alles egal. Ich lief die weiße Treppe herunter in die Eingangshalle. Den wunderschönen Ausblick beachtete ich nun nicht mehr.

Draußen lief ich über den breiten Bürgersteig in Richtung Heimat. Ich hätte mir natürlich auch ein Taxi rufen können, aber es hätte zu lange gedauert bis es hier gewesen wäre. So lief ich also Barfuß über den Bordstein, in der linken Hand meine Pumps und das bei Nacht. Es war kalt, dunkel, still. Hier, außerhalb der City in Richtung Strand, fuhren um diese Uhrzeit nur sehr wenig Autos. Der Himmel war klar, der Mond schien hell.

Plötzlich hörte ich etwas im Gebüsch rascheln. Ich blieb abrupt stehen. "Hallo?" Flüsterte ich, ging langsam auf den Busch zu. Ich steckte meine Hand aus. Kurz bevor ich den Busch berührte, sprang eine kleine, gestreifte Katze aus dem Busch. Ich erschrak, wich zurück. Dann sah ich ihr nach und brachte ein leichtes Lächeln auf. "Schon lustig, wie diese kleinen, niedlichen Dinger einen zu Tode erschrecken können, oder?" Die Stimme von Robbie ertönte hinter mir, weshalb ich mich umdrehte. Er kam in seinem Rollstuhl mit einem Lächeln auf mich zugerollt. "Ja, da hast du wohl recht." Ich sah ihn mit einem leichten Lächeln an. "Das mit der Party-" ich unterbrach ihn. "Warum bist du nicht mehr dort?" Mein Blick wurde ernst. "Das was die da abgezogen haben war echt mies. Ich hatte keine Lust mehr darauf. Weder auf meine Freunde, noch auf diese dämliche Party." Anscheinend meinte er es ernst. "Warum hast du nicht gelacht?" "Warum sollte ich? Das war alles andere als lustig. Dieses Mopsgesicht von Melanie sollte sich lieber in acht nehmen dass Josh sie nicht auch links liegen lässt, so wie die anderen." Bei dem Begriff Mopsgesicht musste ich lachen. Dieses eine Wort reichte, um eine ganze Person zu beschreiben. Aber warte mal. Josh war mit Melanie zusammen? Das warf viele Fragen auf, jedoch hatte ich keine Lust ihnen jetzt Aufmerksamkeit zu schenken.

"Warte, ich schiebe dich." Ich ging hinter Robbie und schob seinen Rollstuhl Richtung City. Den ganzen Weg, lästerten wir über seine Freunde, die drei Mädchen und Jessica. Fürs erste vergaß ich sogar meine Sorgen. Es fühlte sich befreiend an, jemanden zu haben, bei dem man sich aussprechen konnte. Das hatte ich jetzt gebraucht um nicht völlig die Nerven zu verlieren. Robbies Haus war genau auf meinem Nachhauseweg, weshalb ich ihn direkt bis vor die Haustür schob. "Ich kann dir gar nicht genug danken." Er lächelte freundlich. "Nein, ich muss dir danken, dass wenigstens du für mich da bist, ich meine, das ist nicht selbstverständlich. Wir kennen uns kaum." Er bekam ein Lächeln zurück. "Kein Problem." Daraufhin kam seine Mutter an die Tür. Sie nickte mir kurz dankbar zu, verschwand mit Robbie im Haus.

Von hier an ging ich den Weg allein weiter. Es tat gut, die frische Nachtluft einzuatmen und einfach mal nachzudenken. Ich konnte immer noch nicht fassen, dass Jessica sich wirklich so etwas erlaubt hatte. Sie war doch meine beste Freundin! Warum?! Alles nur um Josh zu gefallen?? Ich hätte ja viel für ihn getan, aber meine beste Freundin aufgeben?! Nein! Da waren Jessica und ich aber anscheinend anderer Meinung.

Das erste was ich tat, als ich zuhause war, war aus dem Kleid zu schlüpfen und mich unter die schöne, warme, Dusche zu stellen. Ich musste diesen Alkoholgeruch irgendwie aus meinen Haaren bekommen. Ich schloss die Augen und entspannte mich. Dann musste ich wieder an dieses Gefühl denken, als Josh mich geküsst hatte. Es war so unbeschreiblich schön. Mit diesem Gedanken, wanderte meine Hand zu meinem Oberschenkel. Abrupt öffnete ich die Augen, nahm meine Hand wieder da weg und machte das Wasser aus. "Was ist nur los mit mir? Hatte ich gerade echt daran gedacht mich.... nein! Oh Gott Emma!" Ich schüttelte den Kopf, ging aus der Dusche. Ich zog mir meinen Pyjama über und ging in mein Zimmer, setzte mich auf mein Bett.

Jetzt kam alles wieder hoch. Die Schamgefühle, die Angst, die Trauer. Wieder fing ich an zu weinen. Die Tränen kullerten nur so über mein Gesicht. Ich sah auf die Uhr. 01:34 Uhr. War ich tatsächlich so lange weg? Es fing an zu regnen. Wie es schien, war ein ganzer Sturm im Anmarsch. Das mit dem Lesen mit einer Taschenlampe bei Nacht auf dem Vordach würde wohl ausfallen müssen. "Halt! Lesen!!! Bevor ich zur Party gegangen bin, saß ich draußen und habe gelesen! Das Buch liegt noch dort!"

In Windeseile lief ich zum Fenster, öffnete es und kletterte in den großen Sturm hinaus. Das Buch lag unten in der Regenrinne. Es war total durchnässt und zu meinem Glück, war es auch noch Cinderella. Ironie des Schicksals, dachte ich als ich das Buch aufhob und wieder in mein Zimmer kletterte. Ich betrachtete es. Die Schrift war verschwommen und somit, kaum lesbar. Das machte meine Stimmung noch trauriger. Jetzt war der Knoten geplatzt. Ich schmetterte das Buch gegen die Wand, ließ mich erneut, weinend auf mein Bett fallen.

Natürlich dachte ich, dass meine ganze Familie bereits im Bett lag. Dem war jedoch nicht so. Es klopfte leise an meiner Tür. Hannah kam rein. "Emma? Wie war es auf der Party?" Fragte sie neugierig und aufgeregt. Ich nahm mein Gesicht kurz hoch um es dann noch weiter in der Decke zu vergraben. Hannah war sichtlich besorgt. "Hey, was ist denn los?" Fragte sie. Ich nahm meinen Kopf hoch, sie nahm mich in den Arm. "Alles ist total schief gelaufen! Josh wollte mit mir schlafen, Jessica hat mich vor allen anderen Bloß gestellt..." ich deutete auf das Buch, welches nass auf dem hölzernen Boden meines Zimmers lag. "Mein Lieblingsbuch ist auch noch komplett im Eimer!" Wir lösten uns aus der Umarmung. "Hast du mit ihm geschlafen?" Fragte sie mit ruhiger Stimme. "Nein! Natürlich nicht!" Mein entsetzter Blick galt ihr. "Gut, denn wenn du das nicht willst, musst du das nicht tun." "Aber ich dachte er sei mein Traumprinz." Mein Kopf verschwand wieder in der Decke. Hannah sah zum Buch. Sie ging hin, hob es auf, setzte sich zurück aufs Bett, direkt gegenüber von mir. Ich setzte mich auch hin. "Weißt du süße" sie sah auf das Buch. "Manchmal möchte uns das Schicksal mit gewissen Dingen etwas sagen." Sie sah zu mir, überreichte mir das durchnässte Buch. Ich sah es mir an. "Vielleicht solltest du endlich aus deiner Traumwelt raus und zu Leben lernen. Es ist eben nicht alles so einfach wie in Büchern. Das hier ist die echte Welt. Das echte Leben." Sie sah fürsorglich zu mir und ich sah ihr direkt in die Augen. "Denk mal darüber nach." Mit diesen Worten, stand sie auf, ging aus dem Zimmer und ließ mich ganz allein in der Dunkelheit sitzen. Ich realisierte, dass sie recht hatte...

Her own happy endingWhere stories live. Discover now