Kapitel 36

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Das blonde Mädchen sprang mit ihrem Pferd über ein Hindernis nach dem anderen. Sie war gut, das konnte man nicht leugnen. Sie hatte tatsächlich eine Chance auf den ersten Platz. 

Nach ihrem famosen Auftritt ertönte die Stimme des Moderators. "Das war ein erfolgreicher Auftritt von Jessica DaSilva!" 

Die Menge jubelte. Anscheinend waren sie derselben Meinung wie ich. Jessica konnte wirklich gut reiten. Sie machte das jedoch auch schon seitdem sie 8 Jahre alt ist. Ich war echt lange nicht mehr auf meinem Pferd, doch früher hatte ich auch oft an geübt und von diesem Turnier geträumt. Meine persönliche Trainerin war meine Mutter, die bereits viele Auszeichnungen und Pokale gewonnen hatte. Früher wollte ich immer so sein wie sie. Ich wollte genau so viele Pokale haben und ich wollte auch, dass man mich im ganzen Dorf kennt, so wie sie. Leider habe ich diesen Traum jedoch vor einigen Jahren sausen lassen, als Mom aufgehört hat, mich zu trainieren. Außerdem hatte sie mir jedes Jahr aufs neue verboten, am Turnier teilzunehmen, wahrscheinlich als Strafe. Irgendwann gab ich dann auf, fragte nicht mehr nach.

Jessica saß freudestrahlend auf dem Pferd, winkte ihren Zuschauern zu. "Danke, Danke!", rief sie. Die Jury gab ihr fast volle Punktzahl. Damit rückte sie auf Platz 1 der bisherigen Rangliste. Ein paar am Rand stehende Reiter wirkten nun wütend. Scheinbar hatten sie jetzt keine Chance mehr zu gewinnen. 

Mit Jubelgeschrei im Hintergrund führte Jessica das Pferd vom Platz, direkt zum Stall. Ich versuchte mich durch die dichte Menge zu quetschen, um ihr hinterher zu gehen. Ich drängte mich bis zum Stall durch, als ich von einem Mann aufgehalten wurde. 

"Kein Durchgang. Nur für Reiter des Turnieres." Noch bevor ich etwas sagen konnte, wendete sich Jessica an ihn. "Schon gut, sie gehört zu mir." 

Ein flüchtiger Blick zu Jessica und ein nicken ihrerseits verriet dem Mann, dass er mich durchlassen konnte, was er auch tat, worauf ich schnell eintrat.

"Du hast doch bestimmt nichts dagegen mir mal eben mit dem Striegeln zu helfen, oder?" Sie setzte ihren Helm ab und legte ihn auf eine kleine Ablage neben den Bürsten. Danach schnappte sie sich eine und fing an ihren weißen Hengst, Maximus, zu striegeln. Er hatte ein paar schwarze Flecken an Kopf und Hals, sein Körper war komplett weiß und seine Mähne ebenfalls. Das Pferd hatte mich schon früher begeistert. Sie hatte es zu ihrem 12 Geburtstag bekommen, weil sie unbedingt eins haben wollte und sie kümmerte sich schon immer prächtig um ihn. 

Schnell schnappte ich mir ebenfalls einen Pferdekamm, damit ich ihr helfen konnte. Sie striegelte die eine Seite und ich die andere. 

"Sag mal, vermisst du das hier nicht?" Verwirrt sah ich zu Jessica. "Was meinst du?", fragte ich. Sie lachte kurz auf. "Na das Reiten. Das hast du früher so gerne gemacht. Ich wette, du könntest das hier locker gewinnen." 

Ich erinnerte mich daran, was meine Mom mir immer zum Thema Turnier gesagt hatte. "Ich will nicht, dass du zu diesem Turnier gehst. Lerne erstmal, Verantwortung zu übernehmen, bevor du ein Pferd ganz alleine trainieren willst!", sagte sie immer wieder. 

Als sie mir das Reiten beibrachte, sagte sie immer, dass, wenn ich alt genug sei, ich zum Turnier gehen dürfte. Dann passierte das mit Shawn und seitdem hatte meine Mutter ihre Meinung geändert. 

Ich schüttelte den Kopf. "Das geht nicht," antwortete ich Jessica. Betrübt sah sie zu mir herüber. "Aber warum denn nicht? Du hast Prince jahrelang darauf trainiert. Lauf nachhause und hol ihn. Das Turnier geht noch drei Stunden. Das schaffst du!" 

Sollte ich wirklich? Ich meine, abwegig war es ja nicht. Ich konnte reiten und Prince war auch schon trainiert. Er war seit Jahren bereit dafür. 

"Wie soll ich das denn mit der Anmeldung machen? Ich kann ja schlecht einfach hingehen und sagen, dass ich auch noch mitmachen möchte." Geschwind legte Jessica die Bürste weg, kam auf mich zu. "Schon vergessen? Die letzte Stunde dürfen verspätete Anmeldungen auch noch zeigen, was sie drauf haben. Das ist jedes Jahr so." 

Sie hatte recht. Die letzte Stunde durften alle ihr Können beweisen. Bis jetzt hat zwar noch nie jemand von ihnen gewonnen, aber die meisten waren auch nicht so gut. Ich hätte jetzt wirklich eine Chance, an meinem ersten Turnier teilzunehmen. Mom hatte ja nicht nein gesagt. Zwar hatte ich sie gar nicht gefragt, aber diesen Fakt ließ ich im Hintergrund. 

"Also?", fragte Jessica gespannt. Ich sah nach draußen, Richtung Menge, die gerade wieder anfing zu Jubeln. Auf dem Platz lief ein graues Pferd mit einem rothaarigen, kleinen Mädchen drauf. So wie es schien, konnte sie für ihr Alter jedoch schon ziemlich viel. 

Jessica bemerkte, wie ich das Mädchen ausgiebig beim reiten beobachtete. "Das ist Lily. Die kleine Cousine von Josh." Mit einem Ruck drehte ich meinen Kopf zu Jessica, sah sie verwundert an. "Sie kann ganz schön was," sagte ich, wendete mich wieder Lily zu. Jessica nickte. "Ja, aber ich glaube gewinnen kann sie nicht." 

Dann drehte Jessica mich in ihre Richtung, damit ich sie ansah. "Du lenkst vom Thema ab," sagte sie durchbohrend. "Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Ich wette, ich kann das alles schon gar nicht mehr." 

Natürlich konnte ich das noch, aber ich war sehr unsicher. Ich musste an meine Mutter denken. Das ließ mir einfach keine Ruhe. 

Jessica schüttelte den Kopf. "Natürlich kannst du das noch. Ich kenne dich doch. Du hast mir das damals alles beigebracht, erinnerst du dich?" Ich nickte nur stumm, zu Boden schauend. "Siehst du? Jetzt geh nachhause, schwing dich auf dein Pferd und reite sie alle in Grund und Boden! Das ist doch dein Traum, oder nicht?"

Jessica hatte recht, mal wieder. Das war schon immer mein Traum. Ich wollte professionelle Trainerin werden. Ich wollte, dass mich alle im Dorf kennen. Ich wollte so sein, wie meine Mom damals. Niemand konnte mich früher davon abhalten. Was war nur mit mir passiert? Warum sollte ich denn jetzt noch auf Mom hören? Sie hasst mich scheinbar sowieso, also spielt es jetzt keine Rolle mehr.

Ich werde am Turnier teilnehmen, ob es ihr gefällt oder nicht!

Her own happy endingWhere stories live. Discover now