Kapitel 18

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Am nächsten Morgen wurde ich durch das nervige Klingeln meines Weckers geweckt. Abrupt schreckte ich auf und ein stechender Schmerz durchzog meinen Kopf. Sofort fiel mir die Verletzung von gestern wieder ein. Ich hielt mir eine Hand gegen den Kopf, versuchte langsam aufzustehen. Als ich wackelig auf den Beinen stand, sah ich zu meinem Wecker. Es war Zeit sich fertig zu machen. Ich musste zur Schule. Langsam aber sicher ging ich aus meinem Zimmer, traf auf eine verschlafene Hannah. Als sie mich sah, wurde sie wacher. "Alles in Ordnung? Ich glaube wir müssen den Verband nochmal wechseln." Prüfend sah sie sich ihn an, nickte. "Komm mal mit." Zusammen gingen wir ins Bad. Sie machte mir den Verband ab, bestätigte dass es bereits besser geworden sei und machte einen neuen dran. "Du solltest übermäßiges Schreien und Stress für die nächsten Tage erstmal vermeiden." Danach ging sie mit einem letzten lächeln in meine Richtung, zurück in ihr Zimmer. 

Ich betrachtete mich im Badezimmerspiegel. Ich hatte ganz schön was abbekommen. Es war bereits spät geworden. Schnell machte ich mich etwas zurecht und ging mir dann etwas anziehen. Auf dem Weg nach unten lief ich schnurstracks an der Küche vorbei. Ich wusste, dass meine Mutter wie jeden Morgen dort sitzen und telefonieren würde. Das wollte ich mir nicht antun. Schnell ging ich aus der Haustür auf den großen alten Baum zu. An der Weide abgestellt, stand mein ziemlich demoliertes Fahrrad. Damit konnte ich wohl heute nicht fahren, was bedeutete, dass ich den Bus nehmen musste. "Na toll!", murmelte ich leise vor mich hin. Mit einem genervten Blick lief ich zum Haltestellenschild direkt vor unserer Haustür. 

Der große, gelbe Bus kam wenige Minuten später und ich stieg ein. Er war sehr überfüllt, was kein Wunder war. Ich fand meinen Platz vorne neben der Tür. Neben mir saß ein komplett schwarz gekleidetes Mädchen. Sie las ein ebenfalls schwarzes Buch. Ich kümmerte mich nicht weiter darum. Die Fahrt kam mir wie eine halbe Ewigkeit vor. Haltestelle für Haltestelle und der Bus wurde immer voller. Als wir an Robbies Haltestelle hielten, nahm er sich seine Krücken und versuchte aufzustehen. Seine Beine waren von Geburt an bewegungsunfähig, das machte es nochmal extra schwer, doch weder der Busfahrer noch sonst irgendjemand sah so aus, als wollten sie ihm helfen. Als Robbie dem Busfahrer bedeutete, dass er doch bitte seinen Rollstuhl zusammenklappen und in den Bus tragen würde, verdrehte dieser die Augen. Mit einem verächtlichen Blick, wendete ich mich an den Fahrer. "Nur nicht helfen!", sagte ich sauer, stieg aus dem Bus um Robbies Rollstuhl zu nehmen. "Setz dich ruhig auf meinen Platz. Es ist sonst keiner mehr frei." Er sah mich dankbar an, stemmte sich in den Bus und setzte sich. Mit dem eingeklappten Rollstuhl, stellte ich mich neben ihn. Der Bus fuhr weiter. "Ich muss sagen, die sind alle echt nett hier." Die Ironie in meiner Stimme war kaum zu überhören. "Ist schon gut. Ich muss das ja nicht jeden Tag mitmachen. Nur wenn meine Mutter arbeiten muss. Ganz ehrlich, ich weiß schon warum du lieber mit dem Fahrrad fährst." Er lächelte mich an, ich tat es ihm gleich. 

An der Schule angekommen, half ich Robbie beim aussteigen. Wir blockierten den kompletten Ausgang, sodass niemand aussteigen konnte, bevor Robbie nicht wieder in seinem Rollstuhl saß. Von hinten hörten wir Rufe, wie "jetzt mach doch mal schneller!" oder "heute noch?", welche uns jedoch nicht störten. Ganz im Gegenteil. Provokativ antworteten wir ihnen sogar indirekt. "Tut mir leid, dass ich so lange brauche, Emma!", schrie Robbie etwas lauter. "Ach das ist doch kein Problem! Ich habe Zeit!" "Na dann muss ich mich ja doch nicht so beeilen!" Genervtes stöhnen drang aus dem Bus. Zwar standen Robbie und ich uns direkt gegenüber, doch schrien wir uns so laut an, dass es extra alle im Bus hören konnten. Beinahe in Zeitlupe setzte Robbie sich in seinen Rollstuhl. Erleichtert, atmete der Bus auf. Doch da haben sie die Rechnung ohne uns gemacht. "Emma? Könntest du noch eben meine Krücken wegtun?" In genau derselben Geschwindigkeit gab er mir seine Krücken, ich packte sie weg. Wieder ertönte der Bus. "Das kann doch nicht wahr sein!", "Wann sind die endlich fertig?!". Wir beiden konnten uns das Lachen nicht verkneifen. Nach sehr langer Zeit ließen wir sie endlich aus dem stickigen Bus steigen. 

Lautes Gelächter von uns beiden brach aus, als ich Robbie zum Fahrradständer der Schule schob. Eine, über unser Lachen verwirrte Jessica stand dort. Anstatt ein freundliches guten Morgen bekamen wir nur ein "was habt ihr denn genommen" von ihr zu hören. Ich stand nun neben dem Rollstuhl, bildete einen Kreis aus drei Menschen. "Also?", fragte Jessica. Robbie schüttelte den Kopf. "Nichts besonderes." Wir sahen uns grinsend an. "Wusste gar nicht, dass ihr beiden jetzt so dicke seit," sagte Jessica misstrauisch. Dann bemerkte sie meinen Verband. Geschockt, harkte sie nach. "Was ist passiert?" Ich wollte ihr gerade antworten, als ich die Stimme von Alicia vernahm, welche immer näher kam. "Das würde ich auch mal gerne wissen!" Sie stellte sich zu uns in den Kreis, verschränkte die Arme. "Es ist nichts, mir geht es gut." Kopfschüttelnd wendete sich Alicia wieder zu Wort. "Warum war Oliver gestern am Telefon?" Ich atmete einmal tief durch. "Ich bin mit ihm zusammengestoßen, weil ich ihn beim telefonieren nicht bemerkt habe. Ich bin dabei Fahrrad gefahren. Dann bin ich gegen einen Stein geknallt." 

Die Stimmung war angestrengt, als wir Joshs Porsche auf den Parkplatz fahren hörten. Ich sah zu ihm. Heute stieg er alleine aus. Als er mich bemerkte, kam er schnellen Schrittes auf unseren kleinen Kreis von Menschen zu. Er sah sehr wütend aus. Mein Herz pochte mir bis zum Hals. Was war denn jetzt? Was hatte ich falsch gemacht? Er stellte sich neben mich zu unserem Kreis, blickte mir direkt in die Augen. Er musterte den Verband. "Was ist passiert?" Er sah eher wütend als besorgt aus, was mich ziemlich verwirrte. Ich schluckte schwer. "Das ist nichts... Oliver und ich sind nur-" Sein Blick wurde noch wütender, als er mich unterbrach. "Oliver war das?! Wo ist dieses Arschloch?!" Alicias Miene wurde wütend, ihre Hände ballten sich zu Fäusten. "Josh, es ist nichts! Das war ein Unfall!" Ich versuchte ihn ruhig zu halten, jedoch vergeblich. "Unfall?! Nein! Niemand tut dir weh!" Er sorgte sich um mich? Ich meine, um MICH?! Ich wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen, doch jetzt drehte Alicia völlig durch. Sie ging auf Josh los, blieb direkt vor ihm stehen. "Was soll das eigentlich?! Manchmal behandelst du sie wie eine Prinzessin, liebevoll, nett, bist für sie da. Und dann kommen diese Momente wo du Emma behandelst als wäre sie Müll! Was, ich meine WAS spielst du für ein Spiel?! Hör auf damit!" Sie stoppte kurz, stellte ihre Stimme etwas herunter. "Liebst du sie oder tust du es nicht? Du hast jetzt die Wahl!" Josh sah sie entgeistert an, aber er war nicht der einzige. Unser kompletter kleiner Kreis sah das blonde, normalerweise ruhige Mädchen mit weit geöffneten Augen an. Josh sah zu mir, dann wieder zu Alicia. "Ich..." Alicia platzte der Kragen. "Gut, wenn du dich nicht entscheiden kannst, dann geh! So etwas wie dich brauchen wir hier nicht! Emma hat was besseres verdient!" So schockiert ich auch war, dass sie die vermeintliche Liebe meines Lebens weggeschickt hatte, sie hatte recht. Josh benutze mich womöglich nur. Ich war so froh, dass ich Alicia gerade in diesem Moment bei mir hatte. 

Die Kopfschmerzen fingen wieder an, ich wollte nur noch dass alle aufhören zu schreien. "DU willst MIR sagen, was ICH tun soll?" Joshs  Blick wurde wütend, Alicias ebenfalls. "Ja, denn Emma ist eine gute Freundin von mir und ich will nur das Beste für sie, was du schon mal nicht bist!" Josh war empört, ich konnte nicht mehr. Der Schmerz war zu groß. "Hört auf!", schrie ich, jedoch entpuppte sich dies als Fehler. Mir wurde schwarz vor Augen, ich fiel zu Boden.

Her own happy endingDove le storie prendono vita. Scoprilo ora