Kapitel 25

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Die Tür meines Zimmers ging leise auf und wieder zu. Jemand war hereingekommen. Verschlafen öffnete ich die Augen, sah zur Tür, wo ich jedoch niemanden sah. Vielleicht hatte ich mir das ja auch nur eingebildet. Mein Vorhang vor dem Fenster ging auf. Plötzlich spürte ich, wie sich jemand auf meinen Bauch setzte. Ich machte die Augen abrupt auf. Es war nur Kyle, der mich anstarrte. Ich verdrehte die Augen. "Was ist Kyle?" Anscheinend war er aufgebracht. "Was macht Darnell schon hier?", fragte er verwundert. Ich setzte mich auf, sodass er runterfiel, auf den Boden und dort blieb er auch im Schneidersitz sitzen. Ich wiederum setzte mich an die Bettkante, sah zu ihm. "Er kommt doch mit in den Urlaub-" Ich stoppte, als ich etwas bemerkte. "Wo warst du gestern beim Essen?" Verwundert sah ich ihn an. "Bei River. Wir haben mit seiner Familie gegrillt." River Gellert war der beste Freund von Kyle. Auch sie kannten sich schon seit sie klein waren, waren beste Freunde. Doch nun zurück zum Thema. Das war das einzig gute an Darnell. Mein Bruder und ich vertrugen uns, solange er hier war, da wir uns etwas einfallen lassen mussten, wie wir ihn loswerden würden. Er konnte ihn genau so wenig leiden wie ich, was gut war, um nicht alleine dazustehen. "Was würdest du zu einer Paintballkanone sagen?" Kyles Blick wurde gehässig, meiner hingegen eher misstrauisch. "Wir verletzen ihn nicht," sagte ich. Daraufhin lachte er nur gehässig, stand auf, ging aus dem Zimmer, ließ mich verdutzt zurück. Also so langsam verwandelte sich mein Bruder echt in einen totalen Psychopathen. Eigentlich kein Wunder bei dieser Familie.

Ich sah zu meiner Uhr. Halb zwölf mittags. Ich hatte anscheinend ziemlich lange geschlafen. Ich stand auf, ging in den Flur, in Kyles Zimmer. Es war das mittlere Zimmer von uns dreien. Ich hatte das kleinste, aber ich wollte es so, wegen dem Vordach. Links in der Ecke stand sein Bett, daneben, vor einem großen Fenster sein Schreibtisch. Ansonsten hatte er noch eine schwarze Kommode mit einem Goldfischglas darauf hier im Zimmer stehen. Sein Fernseher hing hinter der Tür, so konnte er immer vom Bett aus gucken. Kyle saß auf seinem Bett, telefonierte mit dem Haustelefon. "Und ich kann sie gleich abholen? Ja schon klar, zu bekommst sie heute Abend wieder." Er bemerkte mich, bedeutete mir eine kurze Minute zu warten. Ich nickte nur stumm und ging zum Fenster um hinauszusehen. Man hatte einen perfekten Blick auf die Weiden und auch auf den Hügel mit der Bank, dem Himbeerstrauch und dem Wald dahinter. Abrupt fiel mir mein Traum wieder ein. Als ich an meine erfundene Freundin Maja dachte, musste ich lächeln. Ich war früher immer der festen Überzeugung, dass sie existierte. Wir haben so viele Abenteuer zusammen erlebt. Desto länger ich den Hügel und den Wald ansah, umso mehr bekam ich das verlangen dort hinzugehen. An den Ort, wo ich früher immer geträumt hatte. Geträumt, dass ich ein Einhorn pflege, mit den Zwergen über Baumstämme über hohe Klippen wandere und dass ich eine kleine Heldin bin. 

Kyle wendete sich an mich. "Die Paintballkanone ist gesichert," sagte er stolz auf sich selbst. Ich bemerkte es, da ich in meinen Gedanken verloren war, überhaupt nicht, bis er mich förmlich anschrie. "EMMA!" Ich drehte mich erschrocken zu ihm. "Was?", fragte ich völlig neben der Spur. "Die Paintballkanone?" Ich schüttelte resigniert den Kopf, um meinen Gedanken zu entkommen. "Äh ja, mach du mal. Ich habe noch etwas zu erledigen." Mit diesen Worten ging ich ins Bad, machte mich fertig und zog mir etwas an. Ich entschied mich für eine schwarze Leggins, ein graues, enges T-Shirt und eine Jeansjacke. Meine weißen Chucks kamen noch dazu und dann ging es raus.

Ich ging an den Weiden vorbei zur Bank, dort drehte ich mich um, schaute auf die Ranch herunter. Ich war sehr lange nicht mehr hier oben gewesen. Ich glaube, nach dem Ereignis in meinem Traum, kam ich nie wieder zurück. Natürlich habe ich mit Mom oder Jessica oft Wettrennen hier hoch gemacht, aber immer nur  bis zur Bank. Danach ging es sofort wieder zurück. Nun sah ich zum Himbeerstrauch, welcher wieder einige, frische Früchte trug. Ich griff nach einer und sie schmeckte genau wie früher. Süß und total lecker. Der Einhornpups war auch wieder da. Bei dem Gedanken musste ich lachen, versuchte es mit einem Taschentuch, wovon ich stets eine Packung in jeder meiner Jacken vergrub, wegzuwischen, was auch gelang. Oma Verona kam häufig hier hoch um ein paar der Himbeeren für ihre, im ganzen Dorf bekannte, Marmelade zu pflücken. Ich half ihr oft und früher stellte ich mir immer vor, dass es verzauberte Himbeeren waren und dass deswegen alle im Dorf Omas Marmelade liebten. Manchmal war ich früher echt merkwürdig, dachte ich.

Plötzlich hörte ich hinter mir Schritte im Gras, welche langsam den Hügel hinauf kamen. Ich drehte mich um. Es war Oma Verona. "Na? Suchst du mal wieder nach verzauberten Himbeeren?" Sie lächelte, obwohl es mir vorkam, dass sie aufgrund ihrer schlechten Ausdauer gleich umfallen würde. "Oma, das ist doch bestimmt schon 100 Jahre her." Ich lächelte, half ihr den Rest des Hügels hinaufzukommen. Dann setzte sie sich erstmal. "Puh! Also wenn ich das nicht mehr schaffe, musst du das demnächst machen." Wir lächelten uns an, ich setzte mich zu ihr. "Liebend gern Oma." Dankbar nickte sie. "Aber jetzt mal wirklich, was hattest du hier vor?" Ich deutete mit meinen Augen auf den Wald. "Ich wollte dahin zurück, wo ich früher immer als Kind gespielt habe." Oma lachte auf. "Es kommt mir vor, als sei es erst gestern gewesen, dass du uns allen am Lagerfeuer erzählt hast, wie du deinen Phantasiefreund gerettet hast." Ich schüttelte belustigt den Kopf. "Freundin," verbesserte ich sie, "sie hieß Maja." Daraufhin brachen wir beide in Gelächter aus. "Natürlich," sagte Oma. Danach stand sie auf und wollte Himbeeren pflücken. Eigentlich wollte ich ihr helfen, aber als ich anfing schöne Himbeeren rauszusuchen, richtete sie ihr Wort an mich. "Lass dich nicht von mir aufhalten. Du kannst mir das nächste mal auch noch helfen." Ich legte die gepflückten Früchte in den hellen Holzkorb. "Bist du dir sicher? Ich meine, die Erkundungstour im Wald kann warten," antwortete ich. "Jetzt geh schon." Sie lächelte mich an, ich tat es ihr gleich. 

Ich lief schnellen Schrittes durch den Wald, erinnerte mich, wo ich damals lang gegangen war. Er war nicht gerade klein und das einzige, was man hatte um sich nicht zu verirren, war der schmale Pfad, welcher einmal quer durch den Wald führte. Ich musste natürlich nicht bis zum Ende laufen, immerhin endete der Wald bei der Klippe am Montgomery Anwesen, aber ein Stückchen musste ich schon laufen, bis ich genau die Stelle erreichte, an der ich vom Weg abweichen musste, um zum Baum zu kommen. Leicht zögernd, tat ich genau das, lief an unzähligen Tannen vorbei, als ich endlich am alten Baum ankam. Er sah noch genau so aus, wie früher, die Kuhle war ebenfalls noch da. Ich ging langsam auf ihn zu, setzte mich an den Rand der Kuhle, welcher der Eingang zu der Höhle der bösen Riesenkröte war, lachte auf. Aus Spaß, wendete ich mich an die erfundene Maja. "Ach Maja, weißt du noch, wie viel Spaß wir hier hatten?" Mit einem Kopfschütteln beendete ich das Thema sofort wieder. Ich saß einfach nur dort, erinnerte mich an früher. Die Atmosphäre war toll. Sonnenstrahlen schienen durch das Dach der vielen Bäume, direkt auf den alten Baum und er wirkte dadurch majestätisch, anmutig. Es musste eine alte Weide oder so etwas gewesen sein, aber man konnte es nicht mehr erkennen, da sie an der Hälfte des Stammes abgerissen war, was allerdings schon immer so war. Das einzige, was auf eine Weide hinwies, war die Rinde. Sie sah ähnlich wie die, unserer Weide vorne vor dem Haus aus. 

 Ich hörte wieder Schritte hinter mir, nur diesmal waren sie schnell, anders als die meiner Oma. Ich sah mich um, konnte nichts erkennen und drehte mich wieder um. Vielleicht war das nur der Wind, dachte ich, doch meine Vermutung ging den Bach runter, als ich eine weibliche Stimme meinen Namen flüstern hörte.

"Emma?"

Her own happy endingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt