Kapitel 5

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Der nächste Tag war anders. Als ich mit meinem Fahrrad wie gewohnt vor die Schule zum Fahrradständer gefahren war, stand dort kein blondes, pink angezogenes, fröhliches Mädchen mit tausenden von Schlüsselanhängern an ihrem Rucksack. Es war sehr ruhig als ich alleine an dem Platz stand, wo wir sonst immer auf Joshs silbernen Porsche Cabriolet gewartet hatten. Ob sie wohl einen zu großen Kater hatte? Vielleicht kam sie auch einfach nur zu spät, dachte ich seelenruhig. Ich war natürlich immer noch sauer wegen der Party und dass sie mich einfach so im Stich gelassen hatte, jedoch hatte ich auch Hoffnungen mal mit ihr darüber reden zu können. Sie war immerhin schon seit so vielen Jahren meine beste Freundin. Ich konnte mir ein Leben ohne sie gar nicht vorstellen. So viele Gedanken schwirrten mir durch den Kopf, bis ich plötzlich das Surren eines Motors, welches mir nur allzu bekannt war, vernahm. Ich sah mich um. Jessica würde Josh niemals verpassen. Merkwürdig...

Das silberne Auto hielt wie immer auf einem der Parkplätze direkt vor der Schule. Der Motor ging aus, Josh kam zuerst zum Vorschein. Matt stieg zur anderen Seite aus. Danach kam Melanie und anstatt wie üblich als vierte Melissa oder Melina, stieg ein anderes, blondes Mädchen aus. Sie trug ihre Haare lang, bis zu der Hüfte und glatt. Diese Haare hatte ich vorher noch nicht gesehen. Gab es etwa wen neues an der Schule? Aus dieser Entfernung konnte ich sie nicht richtig erkennen, doch desto näher sie in Richtung Eingang, also in meine Richtung kamen, umso mehr konnte ich etwas mit ihrem Gesicht anfangen. Das blonde Mädchen, mit dem Minirock und dem Bauch freien Oberteil, war tatsächlich Jessica. Sie trug Extensions, Stiefel die ihr bis zu den Knien reichten und hatte jetzt eine schwarze Handtasche, anstatt ihren pinken Rucksack. Ich war sprachlos. Versuchte sie jetzt ernsthaft dazuzugehören? Das konnte nicht ihr ernst sein. Einen kurzen Moment dachte ich sogar, sie würde anstatt nach links durch den Eingang, geradeaus zu mir weitergehen. Natürlich tat sie dies nicht. Nein, sie beachtete mich noch nicht einmal. Ich war so sauer, dass ich gar nicht bemerkte, wie Josh mich beim vorbeigehen eindringlich musterte. Ich war viel zu beschäftigt mit Jessica oder eher gesagt Jess, wie sie sie jetzt alle nannten. Ich verdrehte die Augen, ging schnurstracks mit meinen Büchern im Arm ins Gebäude, drängte mich vor Josh und seine Freunde. Ich hatte das Gefühl, als würden vier komplett entsetzte Blicke mir hinterher sehen, aber ich dachte mir nichts dabei.

Ich ging durch den großen, langen Flur an unzähligen, silbernen Spinden vorbei, bis irgendwann, mittendrin meiner kam. Ich stoppte, gab meinen Code ein und öffnete ihn. Meine Bücher, welche ich vor ein paar Sekunden noch im Arm gehalten hatte, legte ich hinein, bis auf das völlig zerstörte Cinderella Buch. Ja, ich schleppte es tatsächlich immer noch mit mir herum. Ich packte es in meinen Rucksack. Kurz bevor ich den Schrank schließen wollte, fiel mir auf der Innenseite der Tür vom kleinen Spind ein Foto auf.

Es hing mittlerweile schon seit zwei Jahren in meinem Spind. Jessica und ich auf ihrem 15 Geburtstag. Wir hatten beide alberne Partyhüte auf und waren sichtlich froh. Ich konnte mich noch genau daran erinnern. Sie saß zu der Zeit im Rollstuhl, wegen einem gebrochenem Bein. Ich war die einzige auf ihrer Party, was bei uns beiden eigentlich auch nicht verwunderlich war. Der Kuchen zwischen uns auf dem Bild, hatte eine pinke Glasur mit zwei Kerzen darauf. Eine 1 und eine 5. Obwohl nur wir beide, ihre Eltern und ihr Hund dort waren, hatten wir immensen Spaß. Wir beiden brauchten eben noch nie viel, um Spaß zu haben. Zurück in der Realität, nahm ich aus Wut das Foto, zerknüllte es, schmiss es in meinen Rucksack. Schließlich schloss ich den Spind, ging zur Mädchentoilette.

Dort angekommen setzte ich meine Tasche ab und betrachtete mich im Spiegel. Wie konnte Jessica mir so etwas antun? Ich sah zu meinem Rucksack, welcher offen auf dem Boden stand. Ich sah das Cinderella Buch, die Worte meiner Schwester schwebten mir im Kopf herum: "Es ist nun einmal nicht alles so wie im Märchen. Denk mal darüber nach." Die Worte brannten sich in mein Herz und eine Träne lief mir über die Wange. Ich sollte wirklich zurück in die Realität kommen. Es würde mir nichts bringen mich ewig vor der Wahrheit zu verstecken. Das wusste ich nun. Wenigstens ein Anfang, dachte ich. Daraufhin musste ich leicht lächeln. Das Mädchen im Spiegel sah mit einem Lächeln doch viel schöner aus.

Plötzlich ertönte die Toilettenspülung in einer der Kabinen hinter mir. Schnell wischte ich mir die Träne weg und tat so, als würde ich mir die Hände waschen, als sich die ganz linke Kabinentür hinter mir öffnete. Ich achtete nicht darauf, wer herauskam, sondern nur auf meine Hände. Hätte ich hoch gesehen, hätte diese Person vermutlich bemerkt, dass ich geweint hatte. Sie stellte sich neben mich und wusch sich die Hände. Eine nette Stimme ertönte. "Alles okay?" fragte sie. Die Stimme kam von dem Mädchen neben mir. Ich sah also doch hoch in den Spiegel. Das Mädchen hatte matte, glatte, blonde Haare, welche ihr über die Brust gingen, eine große dunkelbraune Brille auf und ziemlich sehr große, blaue Augen. Ich hörte auf mir die Hände zu waschen, machte den Wasserhahn aus, trocknete sie ab. Dabei beachtete ich sie nicht weiterhin, um ihr danach, meine volle Aufmerksamkeit schenken zu können. "Ja, klar... Mir geht es toll." Schnell wurde mir klar, das sie mir nicht glaubte. "Das sieht man." Die Ironie in ihrer Stimme war kaum zu überhören. Nachdem sie ihre Hände abgetrocknet hatte, sah sie mich mit einem freundlichen Lächeln an. "Ich bin übrigens Alicia." Ich gab ihr ein Lächeln zurück. "Emma." Kurz nachdem ich das gesagt hatte, klingelte es zum Unterricht. "Ich muss dann los." verabschiedete sie sich von mir und verschwand aus der Tür.

Nochmal einen kurzen Blick in den Spiegel geworfen, ging ich ebenfalls zum Unterricht.

Wie jede Woche, war der Geschichtsunterricht bei Mrs. Summers so langweilig, dass ich beinahe eingeschlafen wäre, hätte sie nicht etwas von einem Projekt erzählt. "So, und jetzt habe ich noch ein kleines Projekt für euch. Es geht um die Französische Revolution und ihr dürft das Projekt immer zu zweit anfertigen. Hat jemand lust das freiwillig zu machen?" Keiner der Schüler meldete sich. Josh und Matt in der letzten Reihe machten sich mal wieder darüber lustig, was noch zu einem Verhängnis werden sollte. "Joshua! Wie wäre es denn mit dir?" Joshs Miene verzog sich zu einem Pokerface und Matt versuchte sich sein lachen irgendwie zu verkneifen. Dann antwortete Josh ganz ruhig: "Klar, Matt und ich können das machen." Auch Matts Lachen verschwand nun und er sah seinen Freund eindringlich an. "Oh bitte, sei nicht albern. Wir alle hier wissen doch ganz genau, dass dabei nicht viel rumkommen würde." Die Lehrerin wurde ernst. Bei diesem Satz musste ich lachen. Es war wohl eher ein quietschen als ein Lachen.

Der ganze Kurs, inklusive Mrs Summers starrte mich an. Dann richtete die Lehrerin das Wort an mich. "Emma. Wie schön dass du dich freiwillig dazu erklärst, das Projekt mit Josh zu machen. Gutes Gelingen wünsche ich euch." Meine Augen weiteten sich. Was hatte ich gerade getan?! Mrs Summers ging zum Pult, setzte sich. "Dann bis nächste Woche ihr lieben!" Alle stürmten nach draußen, bis auf mir, die stumm und mit offenem Mund an ihrem Platz saß. Ja, sie kam nett herüber, jedoch hatte diese Lehrerin mir gerade mein Leben ruiniert. Ich musste erneut zu Josh. Diesmal allein und ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte...

Her own happy endingWhere stories live. Discover now