Kapitel 12

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Die restliche Woche verging schnell und ehe ich mich versah, war auch schon Freitag. Der Tag, an dem ich endlich mit Josh ausgehen würde. Zwar nicht allein, aber ich wollte es ja so. Es war mit Abstand der perfekte Tag, bis auf die Tatsache, dass Jessica immer noch nicht wieder in die Schule kam. Sie war seit Montag, nach weiteren Mobbingattacken von Melanie, Melina und Melissa nicht mehr zur Schule gekommen. Egal wie gemein sie zu mir war und egal was ich mir vorgenommen hatte, von wegen 'du verzeihst ihr nicht noch einmal', ich machte mir Sorgen. Ich beschloss, mit Alicia darüber zu reden. Vielleicht konnte sie mir ja einen guten Rat geben. Wir waren mittlerweile so gut befreundet, dass sie ab jetzt immer am Fahrradständer auf mich wartete, sodass wir zusammen auf Josh und Jamie warten konnten. Sie kamen nämlich jeden Morgen kurz zu uns, wir redeten über ein paar Kleinigkeiten, welche das Date betrafen. Ja, die ganze Woche über, kam, meist Alicia und mir, ständig etwas in den Sinn, was wir noch besprechen mussten. Diesen Morgen jedoch, fiel uns nichts ein.

Ich kam an der Schule an, stieg vom Fahrrad ab, stellte es in den Fahrradständer. Hinter mir, wartete Alicia bereits auf eine Umarmung. Wir gingen zusammen in die Schule und redeten auf dem Weg ins Klassenzimmer. "Hast du eigentlich schon ein Kleid für heute Abend? Das wollte ich dich schon die ganze Woche fragen." Sie sah mich mit einem neugierigen Blick an. Ich lächelte zurück. "Natürlich habe ich das. Heute wäre es zu spät." Sie nickte zustimmend. Ich richtete meinen Blick wieder geradeaus. "Hast du eigentlich mal was von Jessica gehört? Sie war die ganze restliche Woche nicht in der Schule..." Alicia sah zu mir. "Du wolltest ihr doch nicht mehr verzeihen," sagte sie in einem fordernden Ton. Ich überlegte, wie ich es ihr am besten erklären konnte, damit sie meine Gefühle verstand. "Naja, weißt du... wir kennen uns schon seit dem Kindergarten und so etwas hat sie noch nie gemacht. Sie war nie länger als zwei oder drei Tage krank. Außerdem schien es ihr am Montag ja noch gut zu gehen. Ich mache mir echt Sorgen." Meine Stimme klang traurig. Natürlich vermisste ich sie auch etwas. Wir waren schon so lange befreundet und ich hätte niemals gedacht, dass ich auch nur eine Nacht ohne zu heulen aushalten würde, wenn wir uns streiten würden. Sie baute mich immer auf, half mir, selbstbewusster zu werden. Ich war echt erstaunt, dass ich noch nicht in die tiefste Depression gefallen war. Alicia meldete sich wieder zu Wort. "Für alles gibt es ein erstes Mal." Ihre Stimme klang gleichgültig. Normalerweise war Alicia fürsorglich und nett, so ziemlich egal, wer gerade vor ihr stand. Doch ich wusste, dass sie nur das beste für mich wollte. "Ja, ich weiß, vielleicht übertreibe ich ja auch nur, aber-" Alicia unterbrach mich. "Wenn du dir wirklich solche Sorgen machst, kannst du auch morgen einfach mal zu ihr fahren. Dann wirst du sehen, dass alles in Ordnung ist." Ich nickte ihr dankend, für ihre Offenheit, zu. Unsere Wege trennten sich, sie musste nach oben, ich nach unten zu den Kunsträumen. Wir würden uns genau an der 'Kreuzung' der beiden Treppen, heute Mittag nach Unterrichtsschluss wieder treffen, um dann zu mir zu fahren und uns fertig zu machen. Ich freute mich riesig, konnte es kaum erwarten.

Der Tag verging im Hand umdrehen, wir trafen uns am abgemachten Ort. Dann gingen wir zum Fahrradständer, holten unsere Räder. Alicia war heute extra auch mit dem Fahrrad zur Schule gekommen, damit wir jetzt zusammen zu mir fahren konnten. Im Gegensatz zu meinem, welches mit seiner schwarzen Farbe eher schlicht herüberkam, war ihres rot mit einem kleinen hölzernen Korb vorne dran. Ich führte sie über den Radweg, mit den vielen, dichten Bäumen am Rand. Als wir den Radweg dann verließen, fuhren wir durch das kleine, jedoch knuffige Dorf, wo ich lebte. Wir fuhren direkt an Pansys Schneiderei vorbei, welche uns durch das große Fenster sah, winkte. Wir taten es ihr gleich. "Wer war das?", fragte Alicia verwirrt. Ich musste auflachen. "Das war die netteste Keksoma die ich kenne." Diese Antwort, ließ Alicia nur noch verwirrter zurück.

Wir fuhren direkt bis zur großen Weide neben unserem Haus, wo wir die beiden Fahrräder angelehnt abstellten. Alicia sah nach oben, direkt in die große, grüne Krone des majestätischen Baumes. Sie staunte nicht schlecht. "Wow." Ich stellte mich neben sie, tat es ihr gleich. "Es ist wunderschön, nicht wahr?" Sie bejahte verträumt. Wieder in der Realität, gingen wir ins Haus, auf direktem Weg in mein Zimmer. Schnell sprang ich im Schneidersitz auf mein Bett, sah Alicia gespannt an. "Zeig mal dein Kleid," sagte ich aufgeregt. Sie schloss die Tür und kniete sich auf den Boden vor mein Bett, stellte ihren schwarzen Rucksack neben sich. Sie verschränkte die Arme. "Zuerst will ich deins sehen." Ein forderndes Lächeln umschlang meine Lippen. So leicht würde sie mir nicht davon kommen. "Hey! Ich habe zuerst gefragt!" Ich verschränkte meine Arme ebenfalls. Alicia antwortete: "Naja, es war wohl eher ein fordern als ein fragen, aber gut. Du hast gewonnen." Mit diesen Worten, fing sie an in ihrer braunen Tüte, welche sie ebenfalls noch dabei hatte, damit das Kleid nicht kaputt ging, herumzukramen. Ich wartete und wartete. Die Neugier, fraß mich beinahe auf. Endlich wurde sie fündig, hielt ein weißes Spitzenkleid, ungefähr Knielänge hoch. An den Hüften war ein goldener, dünner Gürtel befestigt. Es sah traumhaft aus und passte sehr gut zu ihr. Sie legte es wieder zurück. "Jetzt du," sagte sie mit einem aufgeregten Lächeln. Schnell sprang ich vom Bett auf, ging zum Kleiderschrank und holte mein Kleid heraus. Alicia musterte es. "Es sieht toll aus!", sagte sie. Anscheinend war sie bereits total aufgeregt auf den Abend, aber wie sollte es anders sein? Wir hatten beide keine Ahnung, was uns erwarten würde, jedoch hofften wir sehr, dass es ein schöner Abend würde.

Ich sah auf die Uhr. Halb 5, wir hatten also noch genug Zeit. Ich überlegte, was wir machen könnten, bis mir eine Idee kam. "Hey Alicia, komm mal mit." Ich drehte mich zum Fenster, öffnete es, kletterte hinaus. Als ich dort oben auf dem Dach saß und Alicia immer noch am Fenster stand, bemerkte ich erst wie verdutzt sie war. Ich harkte nach. "Was ist los? Noch nie auf einem Dach gewesen?" Sie lächelte, schüttelte den Kopf. Auch wenn ihr die Lage nicht so ganz geheuer war, versuchte sie aus dem Fenster zu klettern und sich neben mich zu setzen. Sie schaffte es und sogar ohne große Mühen. Nun saßen wir da. Die Sonne war gerade mal wieder dabei unterzugehen, jedoch stand sie noch ziemlich hoch. Bis 20:00 Uhr würde sie bestimmt noch nicht untergegangen sein. Alicia und ich saßen einfach nur da, genossen die Aussicht. Alicia war sichtlich erstaunt, wie schön der Ausblick war. Irgendwann, meldete sie sich dann schließlich zu Wort. "Ich habe dein Bücherregal gesehen. Du ließt gerne?" Sie lächelte, ich tat es ihr gleich. "Ja, sogar sehr gerne. Weißt du, wenn ich lese dann kann ich ganz woanders sein. In einer ganz anderen Welt." Ich sah sie an. "Ich weiß was du meinst. Ich lese auch gerne." Freude kam in mir auf. Endlich kannte ich jemanden, der auch gerne laß. "Was ist dein Lieblingsbuch?", fragte ich voll Freude. Sie musste kurz überlegen, kam dann aber schnell drauf. "Chroniken der Unterwelt," antwortete sie. "Und deins?" Meine Antwort war natürlich klar. "Cinderella. Aber mein Buch wurde vom Regen vollständig zerstört." Mein Blick wurde traurig. Alicia lächelte behutsam. "Darf ich es sehen?" Ich nickte lachend, ging zum Fenster hinein. Ich fing an das Buch zu suchen, bemerkte jedoch schnell, dass es nicht in meiner Schultasche war. "Was? Das kann nicht sein?", blubberte ich vor mich hin. Alicia wurde darauf aufmerksam, kam ebenfalls wieder herein, schloss das Fenster. "Was ist los?" Ich sah traurig zu ihr. "Ich muss mein Buch in der Schule gelassen haben." Ich überlegte kurz. "Womöglich im Spind-" Ich unterbrach, denn mir fiel etwas ein. Ich hatte das Buch das letzte mal mit, als ich bei Josh war. Danach hatte ich es nicht mehr in meine Schultasche gepackt. In Windeseile lief ich zu meiner kleinen, blauen Handtasche, welche in einer Ecke meines Zimmers lag, kramte darin. Es musste dort sein, ich hatte es seitdem nicht mehr angerührt. Es traf mich wie ein Schlag. Das Buch war nicht da. "Was?! Aber es muss hier sein! Es kann doch nicht..." Aufgelöst, ließ ich mich auf mein Bett fallen. Alicia grübelte. "Hast du es vielleicht irgendwo verloren?", fragte sie, in der Hoffnung einen Hinweis zu bekommen. "Nein ich hatte es nur mit als ich bei Josh war und-" Abrupt, riss ich die Augen auf. Ich erinnerte mich. Josh. Als wir das Projekt gemacht hatten, habe ich meine Tasche einfach so, vor das Regal gepfeffert. Das Buch war höchstwahrscheinlich herausgefallen, doch das bedeutete, es war bei Josh. Im Gegensatz zu seinen Büchern war das ja mal komplett kindisch. Er sollte das eigentlich nicht so früh erfahren. Okay, er hasste Bücher... Das machte die Lage nicht besser. Was sollte er denn jetzt von mir denken?

Ich wollte Alicia gerade alles erklären, als ich den brummenden Motor eines Porsche Cabriolets vernahm. Gleichzeitig sahen Alicia und ich auf die Uhr. 20:00 Uhr. "Shit!", fluchte ich, sah zu Alicia, welche, genau so gestresst wie ich, vor meinem Bett stand. Wie vom Blitz getroffen, sprinteten wir los, suchten unsere Kleider, zogen uns um. Danach liefen wir ins Bad. Alicia handelte schnell. "Wir brauchen irgendwas schnelles... Emma? Dutt?" Ich nickte und sie steckte mir die Haare hoch. Genau das gleiche tat ich bei ihr. Noch ein wenig Schminke ins Gesicht klatschen, bei Alicia ein wenig roter Lippenstift und schon standen wir vor der Haustür.

Wir sahen uns noch ein letztes Mal an, atmeten tief durch, öffneten die Tür und gingen hindurch zu unserem Date.

Her own happy endingWhere stories live. Discover now