Kapitel 34

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Diese Nacht konnte ich nicht schlafen. Also eigentlich, war ja auch nicht mehr sonderlich viel von der Nacht übrig. Ich musste die ganze Zeit an Josh denken. Plötzlich bekam ich einen Anruf an meinem Handy. Ich rollte mich auf meinem Bett zum Nachttisch und nahm das viel zu laut klingelnde iPhone vom Tisch. Es war Alicia. 

"Hallo?" Ihre monoton klingende Stimme gab nur ein "geh mal auf dein Vordach" zurück, ehe sie auflegte. Verdutzt tat ich, wie mir befohlen. Was sie wohl meinte? Ich war ziemlich müde, weshalb es echt mühsam für mich war, durch das Fenster zu klettern und auf dem etwas schrägen Vordach das Gleichgewicht zu halten. Ich sah zur Straße und sah eine schwarze Gestalt auf dem Bordstein stehen. Sie winkte mir zu, was mir klar machte, dass es Alicia war. Schnell lief ich zum Rand des Daches, streckte eine Hand aus. Alicia trat näher an das Vordach heran und zeigte mir einen Vogel, denn sie wollte bestimmt nicht hier hoch klettern. Ich verdrehte die Augen. "Jetzt komm schon!" 

Wiederwillig nahm sie meine Hand und versuchte hochzuklettern. Oben angekommen atmete sie einmal tief durch. "Ich bin viel zu unsportlich," schnaufte sie. Ich musste lachen, bedeutete ihr, in mein Zimmer zu gehen. "Aber sei leise. Mom bringt mich um, wenn sie das erfährt." Alicia nickte, kletterte durchs Fenster und warf sich mit einem Schwung aufs Bett. Ich machte noch schnell das Fenster zu, ehe ich sie fragte, was sie um diese Uhrzeit noch hier machte.

"Ich wollte nur mal kurz mit dir reden und darüber, wie es jetzt weitergeht." Sie setzte sich auf. Ich schüttelte den Kopf, fing an, Bücher einzusortieren, die auf meinem Schreibtisch lagen. In Situationen, die mir unangenehm waren, machte ich so etwas immer. Ich musste mich ablenken. 

"Wie soll es schon weitergehen? Ganz normal eben." Alicia sah fordernd zu mir herüber. "Wir wissen doch beide, dass das nicht so einfach ist," sagte sie. Ich versuchte stark zu bleiben. Eine Fassade direkt vor mir aufzubauen, sodass sie nicht sehen würde, wie ich innerlich zerbrach, aber ich schaffte es nicht. Die Bücher, die in meinen Armen lagen, fielen auf den Boden und meine harte Miene verzog sich zu einem traurigen schluchzen. Sie hatte recht. Ich würde nicht einfach so weitermachen können. Es war mir alles zu viel. Endlich gab ich es offen zu. Ich konnte nicht mehr. Die ganze Zeit über im Anwesen, versuchte ich stark zu bleiben, nicht in Panik oder sonst etwas zu verfallen. Jetzt kam alles raus. Ich hatte tatsächlich versucht, auszublenden, dass Josh bald sterben würde. Ich dachte immer nur an sein Bein und dass er in kürzester Zeit nicht mehr sprechen, geschweige denn, sich bewegen könnte. Ich dachte nie daran, dass er sterben würde.

Alicia stand besorgt vom Bett auf, umarmte mich. Ich erwiderte die Umarmung. "Es wird alles gut," flüsterte sie leise und beruhigend. "Josh wird sterben. Er wird..." Wieder flossen Tränen über meine Wange. Alicias schwarzes Oberteil war an der Schulter, auf der mein Kopf lag, schon ganz durchnässt. Wir lösten uns wieder voneinander. Ich sah Alicia tief in ihre übergroßen, blauen Augen. "Was soll ich denn jetzt machen?", fragte ich schluchzend. Sie schüttelte den Kopf. "Auf jeden Fall nicht das, was du gerade machst." Womöglich war ich in dem Moment etwas schwer von Begriff, doch ich verstand nicht, was sie von mir wollte und sah sie nachdenklich an. Daraufhin lächelte sie nur. "Ich meine, dass du nicht die ganze Zeit weinen sollst. Genieße das restliche Leben mit Josh. Hör auf, Trübsal zu blasen und geh zu ihm, unternehmt was, macht irgendwas, was euch Spaß macht. Aber hör auf hier zu sitzen und nichts zu tun." Alicia hatte wohl oder übel recht. Es brachte überhaupt gar nichts, den Rest seines Lebens hier rum zu sitzen und darauf zu hoffen, dass durch heulen alles besser wird, denn das würde es nicht. 

"Jetzt?", fragte ich verwirrt. "Was jetzt- oh, nein. Du kannst morgen zu ihm gehen, aber jetzt ist es ziemlich spät." Ich nickte und wir setzten uns wieder gemeinsam auf mein Bett. "Haben deine Eltern eigentlich nichts dagegen, dass du hier bist?" Alicia schüttelte den Kopf. "Nein, ich habe ihnen das alles erklärt und dann meinten sie, ich könnte ruhig nach dem Krankenhaus noch mit zu dir gehen, um dich aufzuheitern." Ich lächelte. "Danke." Auch Alicia freute sich über mein Lächeln. 

Eine lange Zeit sahen wir beide nur zum Fenster. Der Nachthimmel war immer noch sehr klar und der Mond erhellte die Landschaft. Jetzt sah ich mit einem frechen Grinsen zu der müde scheinenden Alicia, welche sich ebenfalls verwirrt zu mir umdrehte. "Was war da im Krankenhaus eigentlich mit Jamie?", fragte ich. Sie verdrehte stumm die Augen. "Nichts," antwortete sie auf meine Frage. Ich schüttelte den Kopf. "Ja, ich glaube dir kein Wort." Alicia schloss die Augen, ließ sich zurückfallen. "Jamie ist ein Arsch, okay? Meint mir erst Hoffnungen machen zu müssen um dann wieder mit seiner Ex auszugehen. Maja, die wundervolle Maja." Der Sarkasmus, mit dem sie den letzten Satz betonte, brachte mich unausweichlich zum lachen. Auch sie musste daraufhin lachen. "Ich habe wirklich keine Ahnung, warum er das mit Maja macht, aber ich glaube, er mag dich wirklich sehr." Alicia setzte sich wieder auf, sah mich mit einem misstrauischen Blick an. "Woher willst du das wissen?" "Ich habe in seinen Augen so etwas wie Reue gesehen und das nicht gerade wenig." 

Alicias Pupillen wurden größer, was mir vermittelte, dass sie genau diesen Satz nur zu gerne hören wollte. Jamie bereute, mit Maja zusammengekommen zu sein, weil er Alicia viel lieber mochte. Wer, der auch nur ein Funken eifersüchtig war, wollte das nicht hören? Doch Alicia versuchte sich rar zu machen. "Tja, das ist nicht mein Problem." Ich wusste ganz genau, dass sie so glücklich war, wie noch nie und musste wieder lachen. "Was ist?", fragte sie lächelnd. "Gar nichts," antwortete ich verspielt.

Wir redeten noch die ganze restliche Nacht über die näher rückende Zukunft, versuchten dabei, so leise wie möglich zu sein, damit niemand aus meiner Familie wach wurde. Alicia versicherte mir, dass der nächste Tag ein sehr schöner Tag werden würde, denn Josh hatte ja noch mit Jessica und den anderen etwas geplant, um mich aufzuheitern und damit wir alle, wenn auch nur für einen kurzen Moment, mal alles vergessen würden.

Her own happy endingWhere stories live. Discover now