XII

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Wir erreichten die Krankenhauseinfahrt und noch bevor Jake sein Motorrad abstellen konnte, lief ich bereits in die Ambulanz. Die Schwester hinter dem Tresen sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, ihr Blick fuhr über mein Outfit. „Ich suche Amber Hastings." Ich versuchte meine Stimme zu kontrollieren nur war die Verzweiflung nicht zu überhören.

Die Schwester hörte das auch und stand auf. „Kommen Sie mit, ich bringe sie hin. Es geht ihr den Umständen entsprechend, die Notversorgung ist gelaufen. Hier" Sie reichte mir ein Taschentuch „Nehmen Sie dieses Bon Bon, Sie riechen nach Alkohol."

Ich nahm es an und fühlte unwillkürlich Dankbarkeit gegenüber dieser Frau. Vermutlich kannte sie 1000 dieser Situationen, trotzdem blieb sie neutral. Mit Sicherheit gab es besseres als Nachts zu arbeiten und sich um angetrunkene Angehörige zu kümmern, doch statt unfreundlich zu sein oder sich zu beschweren ging sie weiter und bog in einen Raum ab.

Auf der Trage lag Amber in ihrem Pony Schlafanzug den sie so liebte, ihre Augen verquillt und ein Katheter zwischen ihren Beinen. Als sie mich sah schluchzte sie auf das es mir das Herz brach. Ungeachtet der Infusionen und dem EKG Gerät umarmte ich sie und ihre zarten kleinen Arme schlangen sich um mich. Beruhigend fuhr ich ihr durch das Haar, während ihre Tränen mein Oberteil durchtränkten. „Pscht, ich bin da. Alles wird gut, wir kriegen das hin." Eine Lüge, das wusste ich, denn die Kinderversicherung würde nur für die Notversorgung aufkommen, die Krankheit nicht geheilt werden. Und solange Dad keine Versicherung hatte, würde sich daran nichts ändern. Aber das durfte ich diesem kleinen Wesen in meinen Armen nicht sagen.

Ihr Körper wurde von dem Schluchzen geschüttelt und hilflos strich ich über ihre Haare. Ich hatte immer einen Plan, ich wusste immer was zu tun ist, aber hier zu hocken, meine kleine Schwester im Arm zu halten die zunehmend ihre Hoffnung und ihre Fröhlichkeit verlor, das war zu viel. Zumindest für mich. Dads Hand strich über meinen Rücken und ob es am Alkohol lag oder nicht, ich konnte die Tränen nicht zurückhalten. Stumm tropften sie auf Ambers Locken. Gott ich konnte doch nicht vor meiner Schwester weinen! Ich atmete tief durch und unterdrückte meine aufkeimende Angst vor den unvermeidbaren. „Was wird gemacht?", fragte ich als ich mich zu Dad wandte. Dave saß auf einem Stuhl, sein Blick verloren in Leere.

„Sie haben ihr ein Katheter gelegt und Diuretika gespritzt. Die Blutwerte kommen gleich erst." Ich nickte unbestimmt, in der Zeit schaute ich mir die Monitore an. Alles sah stabil aus, die Infusion tropfte in einer beruhigenden Regelmäßigkeit weiter. In ihrem Katheter beutel sammelte sich bereits Urin, die ausschwemmenden Medikamente schienen schon zu wirken.

„Mach mal ein bisschen Platz Ambrosia." Sie rutschte und ihr Gesicht zuckte kurz vor Schmerz auf. Aber sie hatte sich schnell unter Kontrolle, dass ein Teil in mir langsam starb. Sie war zu jung für diese Scheiße. Sie sollte nicht mit ihren 10 Jahren andere Sorgen haben. Ich setzte mich auf die frei gewordene Stelle und nahm ihre Hand in meine. „Wie war deine Feier? Hast du einen Prinz gefunden?", fragte sie mit schwacher Stimme.

„Sie war gut, ich hatte viel Spaß und ja ich habe einen Prinzen kennengelernt." Es entsprach nicht der Wahrheit, aber ich hätte ihr alles erzählt, nur damit sie sich besser fühlte. Müde schloss sie ihre Augen.

„Das ist gut. Du musst ihn uns vorstellen. Und er muss Barbie mögen.", murmelte sie leise.

„Aber warum muss er denn Barbie mögen?"

„Damit er das mit mir gucken kann. Sonst bekommt er nicht meine Schwester." Ich lachte leise auf denn gegen diese Art von Logik kam ich nicht an.

Es klopfte und leise trat Jake durch die Tür. Amber schlug natürlich direkt wieder ihre Augen auf und musterte ihn kritisch. „Dein Prinz trägt aber eine Lederjacke. Ein Prinz trägt keine Lederjacke."

DeliriumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt