XLI

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Ich ignorierte die Blicke, die auf mir lagen während ich über den Schulhof ging. Vermutlich gab es mittlerweile knapp zweihundert Theorien über gestern und aus manchen Gesprächsfetzen entnahm ich, dass auch Dave's Aufnahme in der Mannschaft kein Geheimnis war. Genervt ging ich zu meinem Spind um meinen Rucksack zu holen der noch von gestern da war. Ich wusste immer noch nicht was ich von dem Date halten sollte. Es war auf der einen Seite wirklich etwas Besonderes gewesen und Jake war einfach toll, aber auf der anderen Seite nagte etwas an mir. Vielleicht lag es an der Abmachung mit Liam, vermutlich hatte ich deswegen Gewissensbisse. Abgesehen davon war ich mir auch nicht sicher wie Jake das Ganze sah. Zwar hatte ich nicht den Eindruck, dass es ihm nicht gefallen hätte, aber er hatte während des Essens so eine Distanziertheit, die ich nicht einordnen konnte. Möglicherweise sah ich aber auch Probleme wo keine waren. Ein Schatten fiel über meine Schulter auf meinen Spind und an dem Geruch erkannte ich, dass es sich um Liam handeln musste. Augenverdrehend packte ich die letzten Bücher ein. „Na wie war dein Date?" Seine Stimme war schneidend.

Ich ignorierte seinen Tonfall. „Es war schön, danke der Nachfrage.", antwortete ich freundlich und drehte mich zu ihm, ehe ich mich an den Spind lehnte.

„Ach wirklich? Was habt ihr gemacht?", fragte Liam mit zusammengezogenen Augenbrauen. Er sah wirklich angefressen aus, stellte ich belustigt fest.

„Ich wüsste nicht was es dich angeht." Ich verschränkte meine Arme und sah fest in seine Augen.

Genervt schnaubte Liam auf und fuhr sich durch die Haare. „Habt ihr es miteinander getrieben?"

„Was getrieben?" Provozierend schaute ich ihn weiter an.

Liam schlug gegen den Spin neben mir. „Du weißt genau was ich meine. Habt ihr oder habt ihr nicht miteinander geschlafen?" Ich spürte seinen Atem, erst da registrierte ich wie nah er mir gekommen war. Selten hatte ich ihn so sauer erlebt und ich war deswegen ein wenig beunruhigt. Liam war niemand der einfach so zeigte was er fühlte. „Hat er dich dazu gebracht seinen Namen zu rufen?" Er kam mir noch näher. „Hat er dich deinen eigenen vergessen lassen?" Seine andere Hand stützte sich auf der anderen Seite ab und ich fühlte mich eingekesselt. „Hat er dich in Ekstase treiben können?" Seine Augen trafen meine und sie sahen merkwürdig dunkel aus. Unwillkürlich schnappte ich nach Luft. „Hat er dir das Gefühl gegeben, dass die ganze Welt egal ist?", fragte er während er an meinem Hals hervor und mir so Gänsehaut verursachte. „Hat er das?" Er fuhr weiter über meinen Hals und ich hoffte, dass ihm nicht auffiel wie ich schneller atmete. Unfähig zu sprechen, schüttelte ich meinen Kopf. „Gut.", flüsterte er, zog sich von meinem Hals zurück und sah mir in die Augen. „Hat er dich geküsst?" Wieder schüttelte ich den Kopf, ohne dabei den Blick von ihm nehmen zu können. Vermutlich sah ich für ihn wie ein verängstigtes Reh aus, zumindest änderte sich etwas in seinem Blick. „Noch besser.", sagte er und dann legten sich seine Lippen auf meine.

Erschrocken blieb ich regungslos stehen und bevor ich überhaupt begriffen hatte, was da gerade passierte, erwiderte ich seinen Kuss. Liams Hände fuhren durch meine Haare, lösten meinen Zopf und zogen mich näher zu ihm. Unfähig die Kontrolle meines Körpers zu erlangen, legten sich meine Hände auf seine Brust ab und unter ihnen spürte ich, wie seine Muskeln arbeiteten. Seine Lippen zogen leicht an meiner Unterlippe und mein Herz fing an noch schneller zu schlagen. In mir breitete sich Wärme aus und irgendetwas in mir schrie nach mehr. Liam biss leicht auf meine Lippe, doch ich erschrak dennoch und öffnete leicht den Mund. Er nutze diesen Moment um seine Zunge in meinen Mund zu schieben, zeitgleich fuhr ein Arm meinen Rücken ab ehe er sich um meine Hüfte legte um mich noch näher an ihn zu ziehen. Widerwillen legten sich meine Hände in seinen Nacken, aber bevor ich ihn weiter zu mir ziehen konnte, schellte es. Atemlos löste sie Liam von mir, indes lehnte ich mich plötzlich kraftlos zurück an den Spind. War das hier das 'Aber'? Seine Augen taxierten mich und in ihnen lag dunkle Begierde. Ich wollte etwas sagen, aber mein Gehirn schien jegliche Arbeit eingestellt zu haben. Erst langsam realisierte ich, was wir gerade getan hatten und wo wir uns befanden. „Was wenn uns jemand gesehen hätte?", fragte ich, bemüht meine Atmung unter Kontrolle zu bekommen.

„Sollen sie doch." Liams Stimme klang so dunkel wie seine Augen aussahen. Es schellte zum zweiten Mal und gereizt sah er auf die Uhr, bevor er mich wieder anschaute. „Heute Nachmittag.", sagte er ehe er sich abwandte und verschwand. Es klang nicht wie eine Frage, mehr wie ein Versprechen und noch als ich da stand und versuchte zu verstehen was hier gerade passiert war, merkte ich wie sich dieses Gefühl der Hitze in mir ausbreitete bei seinen Worten. Was zur Hölle war los mit mir? Verständnislos schüttelte ich den Kopf und hob meinen Rucksack hoch. Was war in mich gefahren den Kuss zu erwidern? Und warum hatte es mir trotz allem auch noch gefallen? Ich meine, es war Liam! Liam Jefferson, der Arsch der mich zum Sex gezwungen hatte. Der mich seit Jahren bei jeder Gelegenheit in den Dreck gezogen hatte! Und trotzdem stand ich da wie es jedes Mädchen vor mir bereits getan hatte. Enttäuscht von mir selbst und meiner mangelnden Selbstkontrolle lief ich über den leeren Flur. Ich würde auf jeden Fall zu spät kommen und ich hatte nicht einmal meine Hausaufgaben erledigt. Was stimmte nicht mit mir?

„Oh Miss Hastings, wie schön dass Sie die Zeit gefunden haben uns zu beehren. Ich würde vorschlagen Sie setzten sich ohne weitere Umstände hin." Mr. Steam sah mich über seinen Brillenrand an. Ich antwortete nichts, sondern ließ mich Kommentarlos auf meinen Sitz nieder, bemüht den Typen schräg hinter mir zu ignorieren, was schwierig war, denn ich spürte wie seine Blicke sich in meinen Rücken brannten. Unruhig rutschte ich auf meinen Stuhl umher und trotzdem merkte ich, wie mich ein Zettel am Kopf traf. Ich brauchte mich nicht umdrehen um zu wissen von wem er war. Wer sonst käme sonst auf so eine Idee? Intuitiv hob ich ihn hoch und faltete ihn auseinander.

Wir haben Politik nicht Biologie ;) P.s.: Du solltest dein Haar öfters offen tragen.

Ich runzelte die Stirn, wollte ihm aber nicht die Genugtuung geben, ihn fragend anzusehen. Natürlich wusste ich, dass wir Politik hatten. Als ich aber nach meinen Buch griff um es aufzuschlagen, fiel mir auf was er meinte. Statt der amerikanischen Flagge begrüßte mich ein Frosch auf dem Cover und am liebsten hätte ich mir gerne selbst vors Gesicht gehauen. Möglichst unauffällig tauschte ich das Buch mit dem richten Buch aus und ließ meine Haare wie einen Vorhang vor mein Gesicht fallen, damit Liam mein hochrotes Gesicht nicht sah. Aber er hatte Recht: ich sollte meine Haare öfter offen tragen, denn sie boten eine wunderbare Gelegenheit mich hinter ihnen zu verstecken. Gott war das Peinlich. Ein zweiter Zettel landete auf meinem Tisch und ich gab mir erst gar nicht die Mühe, ihn zu ignorieren.

Ich kann es kaum erwarten bis du dich nicht mehr vor mir verstecken kannst.

Ach wirklich Liam? Grinsend nahm ich einen Stift und schrieb eine Antwort darunter. Nachdem ich mich versicherte, dass Mr. Steam nicht zu uns sah, drehte ich mich nach Liam und warf den Zettel zurück. Neugierig beobachtete ich seine Reaktion als er ihn auseinanderfaltete und las. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen.

Nur wenn du schnell genug bist. Hatte ich geschrieben, aber als ich sein diabolischen Blick sah, war ich mir plötzlich nicht mehr so sicher, dass es eine gute Idee war. Ich schluckte solange ich ihn zuschaute, wie er erneut etwas schrieb und mir zu warf.

Ich liebe Herausforderungen.

Und ich sah meine Boote sinken.

*

Erstaunlicherweise schaffte ich es wirklich Liam den Schultag über aus dem Weg zu gehen. In den Pausen war ich auf dem Dach und ich sah zu die letzte im Unterricht zu sein und die erste die ging. Trotzdem war ich mir bewusst, dass er mich beobachtete und ich ihm nicht aus dem Weg gehen konnte. Die letzte Stunde hatte geendet und ich schnappte mir die Tasche um schnellstmöglich nach Hause zu kommen. Auf dem Schulhof traf ich Dave, der sich suchend umsah. „Komm wir gehen. Wen suchst du?", fragte ich ihn, während ich ihm am Ärmel Richtung Ausgang zog und es tunlichst vermied mich umzusehen.

„Warte, ich muss noch auf jemanden warten. Hast du keine Nachhilfe heute? Liam meinte, dass ihr nach der Schule zusammen lernen wollt." Dave sah mich interessiert an und ich verfluchte jetzt schon, dass die beiden in einem Team waren.

„Nein das haben wir verschoben.", antwortete ich kurz angebunden.

„Nicht das ich wüsste.", erklang Liams Stimme und er legte mir lässig einen Arm um die Schultern, unterdessen bekam ich einen Herzinfarkt. „Hier ist der Trainingsanzug, danke dass ihr gewartet habt. Sollen wir dann los Ava?" Er reichte Dave ein Bündel und sah mich an. Dieses Arsch hatte wirklich meinen Bruder einbezogen um mich hier zu halten? Ergeben nickte ich und wir verabschiedeten uns von Dave, der uns fröhlich nachwinkte. Liam ließ mich auf dem Weg zum Auto nicht los, beinahe so als habe er Angst, dass ich abhauen würde und ehrlich gesagt hätte ich das auch getan. „Hab dich gefunden.", flüsterte er mir zu und ich bekam wieder Gänsehaut.

DeliriumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt