LII

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Ich folgte Liam in das Haus und hörte, wie seine Eltern uns folgten. Es war mir unangenehm hier zu sein, trotzdem tat ich es für Liam. Er brauchte die Sicherheit, dass wenigstens eine Person hinter ihm stand und ihn unterstützte. Denn obwohl er hier selbstsicher auftrat, wusste ich wie schwer es ihm gefallen sein musste, hier her zu kommen.

Aber mal wirklich: seine Mutter war eine falsche Schlange. Sie verlor nicht eine Sekunde ihr merkwürdig verzogenes Lächeln, was doch sicher sehr anstrengend für sie gewesen musste. Ihre Absätze klapperten auf dem Boden und durchbrachen damit diese angespannte Stille. Es unterstrich diese Sterilität, wie sie hier im Allgemeinen herrschte, fand ich. Mrs. Jefferson war eine Trophy Wife, in jeder Hinsicht. Alles an ihr drückte ihren Wohlstand aus, aber ich vermutete, dass nicht sie es war, die das Geld herein gebracht hatte, sondern ihr Mann. Vermutlich stammte sie aus der unteren Mittelschicht, gerade hoch genug um die Manieren zu haben, trotzdem so tief um nach ihren Aufstieg alles zu vergessen und sich höher zu stellen als alle anderen. Ich mochte es nicht wenn Menschen ihre Herkunft vergaßen oder in ihrem Fall unterdrückten.

Arthur war ungewöhnlich still geblieben und im Zusammenhang mit dem was Liam mir über seine Familie erzählt hatte, machte sein Verhalten Sinn. Es passte zu dem Bild des Geschäftsmannes: Talentiert wenn es ums Geschäft ging, unfähig wenn es die Familie betraf. Für solche Fälle hatte man seine Ehefrau und ich musste ein spöttisches Auflachen unterdrücken. Kein Wunder das Liam so verkorkst war. Wir setzten uns an einem Tisch in einem mir unbekannten Raum. Selbst die Auswahl des Raumes war so vorhersehbar: Man ging zu dem Ort wo man seine Gäste empfing und nicht dort wo das alltägliche Leben stattfand. Natürlich war ich in diesem Szenario ein Gast, doch ihr Sohn war es nicht. Klischee, durch und durch. „Also Liam, erkläre dich.", forderte ihn seine Mutter auf, die Distanziertheit in ihrer Stimme war kaum zu überhören.

Liam neben mir lehnte sich provokant in seinen Stuhl und kreuzte seine Beine unter dem Tisch. Es hatte den gewünschten Effekt, seine Mutter hob missbilligend die Augenbraue, sagte dennoch nichts. „Ich denke ich habe meinen Standpunkt bereits deutlich gesagt, aber ich kann es gerne noch einmal für dich wiederholen Mutter."

Sie zuckte kurz bei seinem Tonfall zusammen, fasste sich aber schnell. „Ich verstehe nicht, was in letzter Zeit mit dir los ist. Liegt es an diesem Mädchen hier? Hat sie dir irgendwelche Flausen in den Kopf gesetzt?" Oh ja, ich war hier eindeutig beliebt. Mit Sicherheit würden sie mich gerne Thanksgiving einladen.

„Zum Teil, aber aus anderen Gründen die du vielleicht vermutest. Ava hat mir nur geholfen Dinge zu hinterfragen, nicht mehr und nicht weniger."

„Aber es war doch alles gut!" Erbost plusterte sie sich auf, doch ihre Worte entlockten ihm nur ein spöttisches Auflachen.

Liam setzte zu einer Erwiderung an, wurde aber von seinem Vater unterbrochen. „ Sibyl, das kannst du doch nicht ernst meinen."

Mrs. Jefferson warf ihm einen bösen Blick zu, dann verlegte sie ihre Wut wieder auf mich. Es war offensichtlich, dass ich hier als Bauernopfer herhalten sollte und ich war gespannt, was ihr noch alles einfallen würde. „Liam, ihr kennt euch doch gar nicht. Mädchen wie sie verstehen uns nicht und ich verstehe diese Phase in der du steckst, aber überleg dir wirklich ob du einem Mädchen glauben schenkst, die dich viel weniger kennt als wir. Vielleicht will sie sich nur bei dir einschmeicheln um an das Geld zu kommen."

Blut rauschte durch meine Ohren und ich merkte, wie es mir schwieriger fiel meine Kontrolle zu behalten. Liam's Erwiderung, dass ich also wie sie sei, bekam ich nur noch am Rande mit. „Mrs. Jefferson." Meine Stimme klang kühl durch den Raum. „Welche Position spielt Liam?" Verwirrung huschte über ihr Gesicht, als sie mich ansah. Natürlich verstand sie nicht, worauf ich abzielte aber wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. 

„Er ist Kapitän.", antwortete sie trotzig.

„Defense oder Offense?"

„Das ist doch dasselbe. Ich verstehe nicht, was du mir sagen willst. Arthur , was will dieses Mädchen von mir?"

„Sibyl-" Ich unterbrach ihn. „Wie heißt sein Biologie Lehrer?"

„Mrs. Gelhard, ich finde nicht-" „Falsch, Mr. Smith, seit er auf die Highschool gewechselt ist. Wie heißen seine Freunde?"

„Oh Bitte, Kyle, Noah natürlich, hier dieser Sohn von den Bauunternehmer die sich haben scheiden lassen und dieser Sohn von dem Direktor, der Name ist mir gerade entfallen."

Die Stimmung im Raum begann sie zu verändern. Liam's Mutter fing an sich auf ihrem Stuhl zu winden und auch Arthur fühlte sich zunehmend unwohl.

„Josh und Tyler Mum." Liam verdrehte die Augen.

„Meinetwegen, aber ich verstehe immer noch nicht, was sie mir damit sagen will."

„Sie möchte damit beweisen, dass ich Ihren Sohn vielleicht besser kenne als Sie meinen." Ich lächelte sie siegessicher an. Sie war der König der gleich Matt gesetzt werden würde und sie merkte es nicht einmal.

„Das beweist gar nichts."

Mein Blick suchte kurz den von Liam und bat um Entschuldigung für die nächsten Worte. Es kam mir wie Verrat vor, dennoch mussten sie gesagt werden, denn sonst würde sie es nie verstehen. Und das musste sie um die Chance zu haben etwas zu ändern. „Wann haben Sie gemerkt, dass Liam nicht lesen kann?"

Die Stille die daraufhin eintrat, war noch unheimlicher als das Klackern ihrer Schuhe. Ich flüsterte Liam eine Entschuldigung zu, statt einer Antwort drückte er kurz meine Hand. Wir würden später darüber reden. Derweil öffneten seine Eltern ihren Mund, nur um ihn wieder zu schließen. Fassungslos sahen sie zwischen uns hin und her, hoffnungsvoll dass wir ‚Überraschung' rufen würden. Arthur war der erste, der seine Stimme wieder fand. „Das kann nicht sein."

„Lächerlich, absolut lächerlich. Als ob mein Sohn nicht lesen könnte, sowas wüsste ich ja wohl. Mein Sohn ist doch kein Idiot!" Mrs. Jeffersons Stimme war einige Oktaven höher als normal, während sie die ersten Haarsträhnen aus ihrem Zopf lösten. „Wie kannst du es wagen nur so etwas zu behaupten?"

Liam richtete sich auf und sah seine Mutter müde an. „Weil es wahr ist. Die Wörter verschwimmen vor meinen Augen, wenn die Sätze zu lang sind. Erinnert ihr euch an den Tag wo ich eine Rede halten sollte?" Seine Eltern nickten langsam. „Ich habe die ganze Nacht geübt um ihn auswendig zu lernen und am nächsten Tag war ich zu müde um mich zu konzentrieren. Weißt du noch was du gesagt hast Dad?"

„Das du eine Schande wärst...", murmelte er leise.

Liam nickte. „Oder als meine Lehrerin in der Elementry School ein Gespräch mit euch über meine Leistungen führen wollte um euch zu sagen, was sie vermutete, was meintest du da Mum?"

Doch seine Mutter konnte nicht mehr antworten. Fassungslos hielt sie ihre Hände vor ihren Mund und ihre Augen waren vor Schrecken geweitet. „Aber du hast doch nie was gesagt?"

„Wie denn auch Mum? Ihr wart nicht da und später wollte ich euch nicht noch ein Grund geben enttäuscht von mir zu sein. Es hätte auch niemals jemand herausgefunden, wäre das Ava nicht bei der ersten Nachhilfe aufgefallen."

Und das erste Mal seit dem wir hier saßen, wandte sich seine Mutter direkt an mich. „Du hast es beim ersten Mal bemerkt?" Ich nickte. „Wie konnte es dir auffallen und wir haben das 10 Jahre nicht gesehen?" Es war eine rhetorische Frage, sie erwartete keine Antwort, also gab ich keine. Ich beschloss, dass es besser war sie alleine zu lassen.

„Kommst du klar?", fragte ich Liam und er nickte. „Wartest du oben auf mich?" Seine Stimme klang erschöpfter als seine Augen aussahen, doch es war nicht mehr notwendig, mir Sorgen zu machen. Er würde zurecht kommen, da war ich mir sicher. Also stand ich auf und ging.


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