Kapitel 5

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Ich war etwas eingeschüchtert von der Menge an Menschen, die gerade schreiend und hilferufend hereingeströmt waren. Zudem war mein Körper schwer und ausgelaugt von den heutigen Ereignissen. Immer wieder musste ich halt machen und kurz durchatmen, als ich mich durch die Menge der Menschen hindurch drängelte, denn ein flaues Schwindelgefühl trübte meine Sinne und ließ meinen Kopf benebelt zurück. Dennoch wollte ich unbedingt wissen, warum dieser eine Verletzte für Tilonas so wichtig war. Als ich bei Tilonas und dem Unbekannten ankam, wurde er eben auf eine Bahre gelegt. Ich konnte ihn jedoch nicht genauer sehen, denn Tilonas stand direkt davor und eine weitere blondhaarige Person stellte sich neben ihn. Ich blieb wenige Meter vor ihnen entfernt stehen, denn ich wollte ihnen mit meiner Neugierde auch nicht zu nahe treten. Vielleicht hatte ich bei dem Verletzten auch das Gefühl, dass ich ihn kennen würde. Ich neigte meinen Kopf nun etwas zur Seite, um die Person auf der Bahre genauer betrachten zu können. Mein Herz blieb für wenige Sekunden stehen und mein Atem stockte. Seine Brust war nur noch ein riesiges, schwarzes Loch. Beim Anblick wurde mir etwas schlecht und ich taumelte zurück. Josie war zum Glück direkt hinter mir und stütze mich mit ihren Armen. Auch sie wurde leichenblass, als sie einen Blick auf die Wunde erhascht hatte.

„Er wird es nicht schaffen, Tilonas. Abariel wurde mit einem...", blickte einer von Tilonas Freunden unsicher um sich, als er sprach, „mit einem Schwert durchstochen", beendete er seinen Satz, nur noch mit einem Hauch an Worten. Der Blondhaarige war gerade mit Abariel in der Kirche angekommen und hatte ebenso ein akzentfreies Deutsch wie Tilonas. Wer waren Tilonas und seine Freunde überhaupt? Touristen waren sie bestimmt nicht und Einheimischen schienen sie auch nicht zu sein, oder etwa doch?

„Wie ist das möglich, woher haben sie die?", Tilonas blickte ebenfalls verstohlen um sich. So eine Brandwunde konnte ein einziges Schwert anstellen? Das konnte ich mir bei bestem Willen nicht vorstellen. Denn nicht nur war seine Haut durchgebrannt worden, sondern auch seine gesamte eiserne, weiße Rüstung.

Tilonas sprach jedoch nicht weiter, denn Abariel winkte ihn mit seinen letzten Kräften näher zu sich. Tilonas trat ganz nah zu ihm heran, so, dass niemand erfuhr, über was sie sich unterhielten.


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Ich wollte mich noch genauer über den Ablauf des Kampfes erkundigen, doch da sah mir Abariel direkt in die Augen und machte eine Geste, dass ich näher zu ihm heran treten sollte. Er hatte nicht mehr viel Zeit. Ich ging zu ihm hin und legte meinen Arm unter seinen Kopf, um ihn etwas aufzurichten und er dadurch besser sprechen konnte. Durch das vertrocknete Blut klebten seine schwarzen Haare an seiner Stirn, seine Augen waren mit Blut unterlaufen und seine zerrissenen Lippen waren völlig ausgetrocknet. Die Brandwunde auf seiner Brust roch modrig und verbannt. Das war eindeutig das Werk einer Diavosklinge oder auch als Engelsschwert bekannt. Kein Zweifel. Es stellte mir all meine Nackenhaare auf und ein eiskalter Schauder lief mir über den Rücken nach unten bei der Vorstellung daran, Philomena oder einer der anderen würde das gleiche Schicksal erfahren. Das letzte Mal hatte ich so eine grausame Wunde vor mehr als 1000 Jahren gesehen, als wir...

„SIE, ist in Sicherheit, das ist alles was zählt", flüsterte Abariel mir mit unklaren Worten zu. Er atmete tief ein und wollte erneut etwas sagen, doch seine Stimme blieb ihm im Halse stecken. Seine Lungen brodelten und mussten sich bereits mit Blut gefüllt haben. Entsetzt blickte ich mich um und dann wieder zu ihm. Es grenzte immer noch an einem Wunder, dass er es mit so einer tiefen Wunde bis zur Kirche geschafft hatte. Denn was passierte nun, wenn Abariel nicht mehr war? Wir würden unseren letzten und erfahrensten Erzengel verlieren. Ich würde seine Stelle als Anführer annehmen müssen, doch ich konnte ihm nie das Wasser reichen. Bisher hatte ich nur diplomatische Arbeiten auf den anderen Planeten übernommen und war Kriegsführer und Stratege in den meisten naheliegenden Schlachten gewesen. Dennoch war ich nie der Hauptverantwortliche für den Erdenstern gewesen. Nie war es bisher so weit gekommen, dass ein Engel die Aufgaben eines Anführers übernehmen musste. Diese waren ausschließlich für die Erzengel reserviert und nur selten kam es vor, dass ein normaler Himmelsbote sich zum Status eines Erzengels hinaufgearbeitet hatte.

„SIE, hat doch noch nicht einmal ihre Kräfte aktiviert? Wie soll sie kämpfen? Wie soll ich...?", ratsuchend blickte ich in seine Augen. Ich legte ihm meine andere Hand sanft auf seine Wange.

„Bereite sie vor. Wir sehen uns oben", räusperte er mit seinen letzten Atemzügen und schloss, erlöst von seinem Schmerz, die Augen.

„Wir sehen uns oben", flüsterte ich und nickte ihm zu. Meine Augen brannten und der Verlust versetzte mir einen gewaltigen Stich in meine Brust. Seinen Körper hielt ich immer noch beschützend in meinen Armen, als dieser, gemeinsam mit seinem Geist und seiner Seele, zu goldenem Staub zerfielen und meine Hände ins Leere griffen. Der Staub verwandelte sich in ein goldenes Licht. Es war sein Seelenlicht, dass sich nun emporhob und in den Himmel zu unserem Vater im Himmel hinaufstieg, wie es die Menschen beschreiben würden. Im Grunde entsprach dies nur teilweise der Wirklichkeit.

Ich blickte noch auf meine leeren Hände herab und dachte, guter Freund, wir werden uns bald wiedersehen. Schnell blinzelte ich ein paar Mal und meine Tränen versiegten. Obwohl uns selten jemand verlassen hatte, spürte ein Teil in mir die Traurigkeit aufsteigen, der andere Teil empfand sogar Glückseligkeit tief im Herzen. Die uralte Seele würde zwar nicht mehr unter uns sein, doch wenn sie ihre Aufgaben im Universum erfüllt hatte, durfte sie zu ihrem ursprünglichem Seelenstern zurückkehren und fand endgültige Erlösung, nachdem jeder von uns strebte, egal ob Mensch oder Engel. Falls nicht, würde ‚Gott' die Seele in sein Reich aufnehmen. Es war ein Ort voller Ausgeglichenheit und Reinheit mitten im Universum. Er war wie die Sonne, nur tausend Mal heller und größer. Dort würde es nichts als goldenes, strahlendes Licht regnen, bevor die Seele ins Paradies Einkehr finden würde, um ihre Kräfte von Neuem aufzuladen. Wenn es an der Zeit war, würde die Seele wieder in das Universum entsandt werden. Bei ihm als Engelsseele natürlich, um wiederum Licht in die Dunkelheit zu tragen. Andere Seelen würden wieder auf einer der Zivilisationen im Universum, als Mensch, Pflanze, Tier oder Wesen wiedergeboren werden. Wann dies passieren würde, wusste niemand, denn entweder würde es Minuten oder Jahrtausende dauern.

Ich stand auf und blickte mich um. Alle waren wortlos und beobachteten, wie der goldene Staub durch die Fenster schwebte und weit hinauf ins Universum emporstieg. Warte, wieso konnten auch die Menschen dieses Licht sehen? Das konnte nicht möglich sein. Waren wir etwa alle so blind gewesen und nicht gesehen, wie sich der beschützende Schleier der magischen Welten und Dimensionen langsam hob. Es war schlimmer, als ich überhaupt gedacht hatte. Ich verbeugte mich, um Abariel noch meine letzte Ehre zu erweisen, bis das Licht ganz verschwunden war. Meine Gefährten taten es mir gleich. Doch die Zeit rannte uns davon und die Dunkelheit ruhte sich nicht aus. Es musste weiter gehen, auch ohne Abariel. Ich atmete einmal tief ein.

„Gefährten, Lagebesprechung in fünf Minuten", sprach ich in der göttlichen Sprache, für die Zuhörer vermutlich selbstsicherer, als ich mich überhaupt fühlte. War ich der Rolle als Anführer überhaupt schon gewachsen? Wiederum schien es ‚Gottes Wille' zu sein, mich auf diesen Pfad zu führen. Ich nahm somit die Aufgabe an. Etwas anderes blieb mir nicht übrig und ohne Herausforderungen im Leben konnten wir nicht wachsen. Bevor ich mich mit meinen Gefährten traf, musste ich über meinen ersten Schatten springen.

Nun etwas selbstsicherer, drehte ich mich zu IHR um. Lief direkt auf SIE zu. Dieses Mal wich ich ihren Blicken nicht mehr aus. Stattdessen sah ich ihr direkt in ihre himmelblauen Augen. Ich war voller Hoffnung, sie würde sich an mich erinnern...

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ZARTHs Krieger - Gefangen zwischen Licht und SchattenWhere stories live. Discover now