Kapitel 24

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Ungeduldig lief ich im Hauptsaal auf und ab. Es waren bereits Stunden vergangen und sie waren noch immer nicht zurückgekehrt. Draußen wurde es langsam dunkel. Keiner von Tilonas Engelsfreunden wollte mir auch nur das Geringste erzählen und ignorierten mich stattdessen gekonnt. Sie waren telepathisch mit Tilonas und den anderen verbunden, doch wieso wollten sie mir nichts verraten? Ich hasste es, wie sehr sie mich von dem ganzen Prozess ausschlossen. Schließlich war ich ja so wichtig für sie. Wieso wurde ich über nichts informiert? Josie tat ihr Bestes, mich zu beruhigen, doch das fachte meine Aufregung von innen nur noch mehr an.

„Mayra, du musst dich endlich etwas ausruhen. Sie werden bestimmt bald zurück sein", redete Josie auf mich ein, „komm, setz dich zu mir und trink mit mir einen Tee. Das wird dir bestimmt helfen." Sie griff nach meiner Hand und wollte mich von Philomenas Statue zu den Menschen zurückführen.

„Nein, lass mich, ich kann mich jetzt nicht hinsetzten. Nicht wenn ich weiß, dass sie da draußen sind. Wie könnt ihr nur so ruhig bleiben?", ich entriss ihr meine Hand und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Weil es nichts bringt sich den Kopf darüber zu zerbrechen Mayra. Bitte, was ist in letzter Zeit los mit dir? Du bist so gereizt, ich hab ständig Angst, etwas Falsches zu sagen." Sie runzelte ihre Stirn und sah mich eindringlich an. Ihre Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und sie trug ein dunkelgrünes, verwaschenes T-Shirt. Ich holte einmal tief Luft und massierte mir meine Schläfen.

„Ja, du hast recht, Josie. Es tut mir leid. Ich weiß, ich bin im Moment nicht wirklich ich selbst. Das Ganze hier ...", ich ließ meine Schultern fallen, „ist einfach zu viel für mich." Sie kam wiederum auf mich zu und berührte mich an meinem Oberarm. Ihre mitfühlenden Augen und ihr schmales Lächeln beruhigten meinen pochenden Herzschlag.

„Ich kann nicht im Geringsten nachvollziehen, was du gerade durchmachst. Aber wenn du reden willst, du weißt, ich bin immer da. Du bist meine beste Freundin, egal, ob du ein Engel bist oder nicht. Vergiss das nicht!"

„Danke Josie! Das bedeutet mir unendlich viel. Also, gibts noch etwas Tee für mich?"

„Für dich immer, komm", lächelte sie mir zu, drehte sich schwungvoll um und lief freudig zu den anderen Menschen. Ihre fröhliche Art brachte mich sofort zum Schmunzeln und für einen Bruchteil von Sekunden konnte ich vergessen, in welcher Lage wir gerade steckten.

Plötzlich wurde das Tor aufgerissen und eine heftige Druckwelle blies Josie und mir um die Ohren. Abrupt blieben wir stehen und starrten zum Tor, wie jeder in der Kirche. Kurz darauf kam Yruel hereingeschossen und landete kniend wenige Meter vor der ersten großen Statue von Philomena. Weitere zehn Engel sausten in die Kirche, doch keine weiteren folgten. Wo waren die Restlichen? Mein Blick schweifte durch die Gruppe, doch Tilonas war nirgends zu sehen. Panik stieg bereits in mir hoch. Yruel atmete tief durch und richtete sich auf. Seine Rüstung war zerfetzt und zerrissen und an seinen Schultern klaffte eine riesige Wunde, welche sein Arm mit Blut überströmte. Sein Gesicht sah erschöpft aus und etliche Wunden zierten sein perfektes Engelsgesicht. Auch all die anderen Engelsfreunde sahen nicht besser aus. Ich ging schnurstracks auf Yruel zu. Was war geschehen?

Hinter ihnen wurde das Tor gerade eben wieder geschlossen. Warte, wo waren die anderen?! Die, die mit ihnen nach draußen gegangen waren. Wo war Tilonas? Mein Mund wurde trocken und ich schluckte einmal schwer.

„WO IST TILONAS? WO SIND DIE ANDEREN?", kreischte ich ihn panisch an.

Yruel senkte nur seinen Blick und gab einen tiefen Seufzer von sich. Auch all die anderen Menschen, Engel und Josie standen um uns und wollten gebannt wissen, was passiert war.

„Mayra, es war eine Falle", gab er mir mit einem langen Zögern als Antwort.

Oh nein, Ouriel musste es verraten haben, schoss es mir durch den Kopf. Tränen stiegen mir in die Augen. Es war meine Schuld, nur noch ein Wimmern kam aus mir heraus: „W-W-Was ist mit Tilonas?"

„Die gute Nachricht ist, sie haben ihn nicht getötet, seine Präsenz auf dem Erdenstern ist noch spürbar, doch wir können ihn nicht lokalisieren."

„Wie? Was meinst du damit?" Er sah direkt in meine Augen und merkte, dass dies für mich keine guten Neuigkeiten waren. Schnell fügte er hinzu: „Er wurde von der Meisterin entführt. Es tut mir so leid, ich habe alles getan, ihn aus ihren Händen zu reißen. Ich gebe auch jetzt nicht auf. Wir finden ihn. Versprochen."

Mein Herz rutschte mir in die Hose, mir wurde schlecht und Benommenheit machte sich in mir breit. Tilonas war entführt worden!? Meine Augen brannten und ein gewaltiger Stich durchfuhr mich.

„Konntet ihr zumindest an die Engelsschwerter gelangen?", verlangte ich zu wissen und trat einen Schritt näher auf Yruel zu.

„Nein, alles war nur eine Täuschung. Ich weiß nicht, wie konnten sie... Wie wussten sie davon?", sah er mich fragend an, als wüsste ich die Antwort darauf. Ich tippte immer noch auf Ouriel, doch ich hatte ihm nur gesagt, wir würden nach einem Lager suchen. Er hatte keine genaueren Informationen über den Plan. Wie auch? Nicht einmal ich hatte gewusst, wohin sie gegangen waren. Trotzdem drückte das schlechte Gewissen immer noch auf mich ein.

„War Ouriel da gewesen?", fragte ich vorsichtig.

„Keine Spur von ihm."

„Was habt ihr sonst gefunden?", drängte ich ihn.

„Mayra, es war eine Falle", wiederholte er etwas gereizt von der ganzen Situation.

„Nichts? Nada? Dann wurde Tilonas umsonst entführt und all diese Engel getötet. Ich hab gespürt, dass es eine schlechte Idee war. Ich wusste es", platze es aus mir heraus und ich krallte mich mit meinen Fingerspitzen in meinen Haaransatz. Josie trat nun neben mich und legte mir ihre Hand sanft auf die Schulter, um mich etwas zu beruhigen.

Ich konnte auch bei Yruel sehen, dass ihm der Schmerz auf der Seele brannte. Statt in klägliche Tränen auszubrechen, wich meine Traurigkeit und wurde von einem neuen Gefühl ersetzt. Ein Gefühl, das sich wie ein Virus in meinem Körper ausbreitete. Es nahm mir jegliches Gefühl der Benommenheit und ich sah alles glasklar.

„Tilonas hat es mir versprochen. DU HAST IHN VERLOREN, YRUEL!", schrie ich ihn plötzlich wie aus dem Nichts an. Ich hatte Tilonas und ihm vertraut. Er hatte es mir versprochen. Ich wollte nie, dass Tilonas in Gefahr gerät. Niemand hatte auf mich hören wollen. Der Schmerz wurde ebenso von dem Virus aufgefressen und umgewandelt. Hass und Wut und Zerstörung quoll in mir auf und ich wollte Yruel am liebsten an die Wand schmettern. Mit aller Wucht. Ich sah es bereits vor meinen Augen. Yruel hatte mir Tilonas weggenommen! Das würde ich ihm nie verzeihen.

Da... durchfuhr mich ein kleiner Stich in meinen Hals. Meine Beine rutschten weg und mein Körper wurde müde. Alles schien sich zu beruhigen, nur nicht die Wut in mir. Sie facht wie ein loderndes Feuer bereit, alles in Brand zu stecken.

ZARTHs Krieger - Gefangen zwischen Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt