Kapitel 29

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„Mayra, bitte, können wir noch mal reden?", rief mir Josie zu, als ich gerade vor dem Wandgemälde von Philomena stand und in meinem Zimmer verschwinden wollte. Die langen, blonden Haare von Philomena wirbelte es in die Luft, ihre weißen, silbernen Flügel waren gespreizt und sie war sprungbereit, von dem hohen Felsen hinunter zu gleiten. Das Wolkenspiel mit der strahlenden Sonne ließ das Gemälde in eine zwiespältige Stimmung fallen. Einerseits verdunkelten die Wolken den Himmel, doch zeitgleich glitzerten die Sonnenstrahlen und es entstand eine kleine regenbogenartige Lichtspiegelung. Ich schmunzelte, denn endlich konnte ich verstehen, was das Bild ausdrücken wollte.

„Jetzt nicht." Ich hob meine Hand an, um die geschwungenen Symbole zu drücken, welche die Türe öffneten.

„Doch jetzt. Zumindest will ich, dass du zuhörst!" Sie stellte sich vor mir und das Gemälde und sah mir in die Augen. Ich schloss die Augen für eine Sekunde und atmete genervt die Luft ein. Je länger ich darüber Zeit hatte nachzudenken, während ich den Menschen geholfen hatte, desto aufgebrachter und verwirrter war ich geworden. Darum hatte ich Josie während der gesamten Zeit über ignoriert. Es war mir einfach alles zu viel.

„Ich will echt...", doch weiter kam ich nicht, denn Josie unterbrach mich.

„Tilonas kam schweren Herzens zu mir, als du noch geschlafen hast, und hat mir verraten, dass du nicht nur Lichtkräfte hast, sondern auch die vom Schatten. Er hat mir erklärt, dass es sein könnte, dass, wenn er nicht zurückkommt, dass du das nicht verstehen kannst. Diese Schattenkräfte würdest du dann explosionsartig freisetzen. Ich habe zugestimmt, um dich, mich und all die Menschen hier zu schützen. Du hättest es dir nicht verziehen, wenn du jemand verletzt hättest, das weiß ich. Das warst nicht du, sondern deine Wut."

„Ich verstehe. Lass mich die Gedanken und Gefühle ordnen, bitte", antwortete ich und drückte sie sanft zur Seite. Zum Glück hatten die Schattengestalten nach einer Weile aufgehört, die Kuppel zu bombardieren. Alle Menschen wurden wieder in den Hauptsaal und in die Türme einquartiert. Endlich war etwas Ruhe eingekehrt und ich konnte mich hinlegen gehen.

„Du sollst wissen, dass weder Tilonas noch ich dir schaden wollten. Sondern wir wollten dich schützen. Yruel war derjenige, der andere Pläne hatte, nicht ich. Du bist meine beste Freundin und ich will nur das Beste für dich." Ich drehte mich wieder zu ihr um und lächelte sie dankend an.

„Ich weiß Josie. Ich brauch nur Zeit, alles zu verarbeiten, bis ich wieder ganz die Alte bin. Verstehst du das?"

„Ja, aber wenn du reden willst, dann kommst du, oder?"

„Klar, gute Nacht."

„Schlaf gut."

Oben in meinem Zimmer angekommen, zog ich mir etwas Bequemes an und setzte ich mich auf den Stuhl vor dem Schminktisch. Ich nahm die Spieluhr in die Hand, öffnete sie von Neuem und die Musik ertönte wiederum. Als ich in den kleinen, ovalen Spiegel blickte, konnte ich dieses Mal nur mein Gesicht erkennen, das frisch und lebendig aussah nach dem Energiestoß der Schatten. Meinen Traum hatte ich noch nicht vergessen, und als ich die Erinnerung in mir wachrief, traf mich der Dolch erneut in meine Brust. Ich rang nach Luft und der Stich in meinem Brustkorb zerschnitt mein Herz in zwei. Mein Herzschlag verlangsamte sich und um nicht sofort vom Stuhl zu kippen, griff ich mit den Händen nach der Tischkante des Schminktisches. Mein Magen stellte sich auf den Kopf und beinahe hätte ich mich übergeben, wenn mich nicht ein Klopfen an der Türe herausgerissen hätte.

Wie aus dem Nichts war der Schmerz verschwunden und ich konnte wieder aufatmen. Irritiert schüttelte ich meinen Kopf und sah in den Spiegel des braunen Schminktisches. Da saß ich mit leichenblassem Gesicht und mit schlabbrigen Klamotten, Jogginghose und T-Shirt und der Spieluhr in der Hand. Ich öffnete eine Schublade und stopfte sie hinein. Sie hatte gerade noch darin Platz. Hastig schloss ich die Schublade und sprang auf zur Türe. Ich öffnete sie nur einen kleinen Spalt weit, ich wollte nicht, dass jemand meinen improvisierten Schlafanzug zu Gesicht bekam, wer immer auch vor der Tür stand.

ZARTHs Krieger - Gefangen zwischen Licht und SchattenWhere stories live. Discover now