Kapitel 31

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Heute

Ich riss meine Augen weit auf und sah ihn an. Der schwarze Schleier über seinen haselnussfarbenen Augen löste sich und unsere Blicke trafen aufeinander. Meine Stirn ruhte immer noch auf seiner, doch seine Hände an meinen Wangen waren eiskalt. Unfähig im ersten Moment etwas zu sagen, presste ich meine Lippen aufeinander. Das war also mit mir geschehen? Das alles hatten diese Flashbacks bedeutet und wollten sie mir in Bruchstücken sagen. Ich atmete tief aus, denn einerseits war ich erleichtert, endlich die ersten fehlenden Puzzleteile meiner Vergangenheit zusammenzufügen. Dennoch formten sich Tränen in meinen Augenwinkeln. Denn andererseits war ich schockiert, was mit mir geschehen war und zu was ihn dieser Verlust getrieben hatte.

„So bist du... so bist du damals zu einem Dämon des Schattens geworden?", stotterte ich.

„Ja. Ich war verletzt und am Boden zerstört über meine Handlungen. Ich kann mir bis heute nicht verzeihen. Es tut mir leid", zögerlich ließ er mein Gesicht los und trat an den Rand des Geländers. Seine Traurigkeit und sein schlechtes Gewissen drückten bis zu mir auf meine Brust und es musste ihn innerlich beinahe zerfressen.

„Und du wolltest mich heiraten?", tastete ich mich langsam nach vorne, denn es musste ihn noch mehr Schmerzen zufügen, meine Fragen nun zu beantworten.

„Nichts mehr als das", hörte ich seine Stimme in den vorbeiziehenden Wind flüstern. Ich schloss meine Augen und suchte nach der Erinnerung in mir an diese Zeit. Vielleicht konnte ich sie ja auch in mir wachrufen, wenn ich schon Ouriels Seite gesehen hatte. Erneut spulte mein Gedächtnis die Bilder rückwärts ab, die ich im Club zum ersten Mal gesehen hatte. Ich fiel tief in die Schlucht und schrie mir die Seele aus dem Leib, dass sich ein fürchterliches Kratzen in meinem Hals ausbreitete. Ouriels verzweifelter Gesichtsausdruck und Tilonas entschlossenen Augen sprangen mich beinahe an. Davor saß ich im weichen Sand und beobachtete, wie die Sonne langsam den Horizont küsste. Da kitzelten meine Lippen und warme Hände hielten mein Gesicht fest. In meinem Bauch spannten die Schmetterlinge ihre Flügel und flatterten durch meinen ganzen Körper, während mein Herz leise flüsterte, dass es Ouriel über alles liebte.

Ich öffnete wieder meine Augen, schüttelte meinen Kopf, denn immer noch flitzten die Schmetterlinge durch meinen Körper. Ich ging zu ihm hin und legte meine Hand auf seine, die das Geländer fest umklammerte. Bei der erneuten Berührung vibrierten meine Schatten unter meiner Haut. Auch wenn die Geschehnisse zwischen ihm und der Meisterin für mich immer noch verstörend wirkten und ich nicht im Geringsten wissen wollte, was er mit ihr getrieben hatte, war dies nicht der richtige Ouriel gewesen und dahinter steckte keine Liebe, sondern reine Lust. Er war nicht der gewesen, den ich damals auf den Klippen vor mir gehabt hatte und der heute wahrhaftig vor mir stand. Durch die Wut und den Zorn, der heute ebenso durch meine Adern geflossen war, verstand ich, dass er von diesen angetrieben gewesen war, als er der Meisterin begegnet war. Das waren nicht seine wahren Gefühle gewesen, sie hatte nur die Gelegenheit dazu ausgekostet, ihn auf ihre Seite zu ziehen. Scheinbar war die Liebe stärker und die Dunkelheit hatte doch nicht alles aus ihm herausziehen können. Ich atmete tief ein und drückte seine Hand. Ich schob die Gedanken an ihn und die Meisterin zur Seite und sah wieder ihn und mich auf den Klippen und was hätte sein können. Mein Herz begann schneller zu schlagen und die Schmetterlinge beflügelten nun auch mein Herz.

„Ich verzeihe dir. Du musst es auch", sprudelten die Worte einfach aus mir heraus.

Völlig überrascht von meinen Worten, wandte er sich mir zu. Ich konnte die starke Zuneigung noch immer in seinen Augen lodern sehen. Meine flatternden Schmetterlinge konnte ich nun nicht mehr ignorieren und sie handelten, als er gerade etwas sagen wollte, und ich überbrückte den Abstand zwischen uns und küsste ihn zärtlich auf die Lippen. Ich legte meine Hand in seinen Nacken und drückte ihn zu mir hinunter. Er erwiderte meinen Kuss sehnsüchtig und berührte meine Hüften. Seine Lippen waren weich und zart und bewegten sie sich zuerst wie eine Feder und dann immer intensiver. Es war das erste Mal, dass ich mein Herz seit dem Wutausbruch wieder richtig schlagen hören konnte, für mich und für die, die ich liebte. Die Zeit um uns herum schien still zu stehen. Kein Zweifel konnte uns voneinander trennen. Da war er und ich und die Liebe, die wir füreinander fühlten. Es war, als würden wir eine Fortsetzung von damals auf den Klippen erleben. Er öffnete langsam seinen Mund, ich neigte meinen Kopf mehr zu Seite und gewährte seiner Zunge Einlass, bis sie meine berührte und beide zärtlich miteinander spielten.

ZARTHs Krieger - Gefangen zwischen Licht und SchattenWhere stories live. Discover now