Kapitel 22

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An diesem Morgen wurde ich durch einen sanften Kuss auf die Stirn geweckt. Ich blinzelte und konnte noch vage Tilonas Gesicht sehen. Als ich meine Augen schließlich ganz öffnete, war er bereits gegangen. Seine Bettseite war leer, doch der süße Geruch klebte noch an den Lacken. Schlaftrunken rollte ich mich auf seine Seite und kuschelte mich in seine Bettdecke ein.


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Vorsichtig schloss ich die Türe hinter mir. Verträumt blickte ich nochmals auf die unvergessliche Nacht mit Mayra zurück. Bei den Bildern entlockte es mir ein vielversprechendes Grinsen. Die Gefühle, die ich letzte Nacht mit ihr geteilt hatte, waren unbeschreiblich gewesen. Wie ihr Körper und ihre Bewegungen sich angefühlt hatten, ließen mich nochmals leise aufstöhnen. Ich wünschte mir, es könnte immer so einfach sein. Da fuhr ich plötzlich um mich und sah mich verstohlen im Treppenhaus um. Erst jetzt schlich sich mein Verstand und die zugehörige Vernunft in meinen Körper zurück und nahm mich völlig ein. Was hatte ich bloß getan? Ich hatte gerade meinen Kopf und meinen Kragen riskiert, sie und alles zu verlieren, was mir wichtig war. Für diese Nacht könnte ich mit einer bitteren Verbannung bezahlen. Hatte es überhaupt jemand mitbekommen und wenn ja, würden sie es wagen, mich ins Exil zu senden? Die Mission und der Kampf waren von äußerster Wichtigkeit und kein anderer würde sich sonst freiwillig in die Hölle begeben. Jeder Engel mit einem Funken an Liebe in seinem Herzen musste verstehen, dass ich zumindest einmal Mayra meine Liebe gestehen wollte und nicht nur durch Worte, das war zu wenig. Keine Sekunde bereute ich die Nähe und die Liebe, die ich mit Mayra geteilt hatte. Gestern hatte ich mich einfach von meinen Gefühlen hinreißen lassen und all die Gesetzte und Regeln ignoriert, nach denen ich ja sonst so abgöttisch vorging. Ich schluckte schwer und strich mir durchs Haar, um die ineinander gekräuselten Locken etwas aufzulockern. Zweifel machten sich noch in mir breit, denn was wäre, wenn ich heute wirklich nicht zurückkam? Was wäre, wenn ich versagen würde? Außer der Angst, was mit Mayra geschehen würde, legte sich eine gewisse innere Ruhe in mich, denn ich hatte jede Sekunde genutzt, Mayra wissen zu lassen, wie viel sie mir bedeutete. Bevor ich die Mission noch einmal mit meinen Gefährten durchspielen würde, musste ich Vorkehrungen treffen, falls...

Schnell legte ich all meine Gefühle beiseite und eilte die Treppen hinunter. Ich hatte noch viel zu tun, bevor wir aufbrachen. Nicht nur musste ich nun den Überfall inszenieren, Gefährten für den Kampf einweisen, Ausrüstungen höchstpersönlich überprüfen, sondern auch die Situation für den Ernstfall vorbereiten. Keinen Weg führte daran vorbei, wir mussten auf alles vorbereitet sein, was auch kommen mag.  Falls die Mission denn Bach runter laufen würde, brauchten wir einen Nachfolger. Ohne lange zu überlegen, war es Yruel. Keinem vertraute ich nach Ouriel so sehr wie ihm. Zudem musste ich ihm eine der heikelsten Aufgaben übergeben, wenn ich nicht zurückkam. Er musste Mayra die Nachricht verkünden und wie ich sie über die Jahrtausende hinweg kennengelernt hatte, würde sie es nicht gut aufnehmen.

Schon gestern hatte ich den Funken an Zorn und Wut in ihren Augen aufflackern sehen, als ich mich freiwillig für die Mission gemeldet hatte. Früher oder später musste ihre andere Seite zum Vorschein kommen. Ich konnte mir vorstellen, was passieren würde, wenn sie erfuhr, dass ich... selbst ich wollte den Gedanken nicht aussprechen. So hell ihr Licht war, so dunkel konnte ihr Schatten sein und wir mussten dafür gewappnet sein. Ouriel war schließlich nicht mehr einer unserer Verbündeten. Er wusste am besten, wie er Philomena in so einem Gefühlsausbruch beruhigen konnte. Immer, wenn ich seinen Namen auch nur aussprach, musste ich daran denken, was er Philomena angetan hatte, und es gab mir einen heftigen Stich in die Brust. Schmerzverzerrt verzog ich das Gesicht. Ich sah ihn heute noch vor mir, wie er in den Schatten geflüchtet war, um seine Gefühle zu unterdrücken. Wie konnte er nur? Nie hatte er sich seinen Emotionen ins Gesicht blicken wollen, sondern sie entweder in Wut transformiert oder verdrängt.

ZARTHs Krieger - Gefangen zwischen Licht und SchattenWhere stories live. Discover now