Kapitel 56

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Reese

„Hey!", lächelt mich der junge Mann neben mir an. „Hey.", begrüße ich ihn freundlich wie jeden Morgen. „Kann ich dich etwas fragen?", neugierig sieht er zu mir rüber. Mein Blick schweift durch den Vorlesungssaal und stelle fest, dass der Professor noch nicht da ist. „Ja, klar.", auffordernd sehe ich ihn an. „Wie ist eigentlich dein Name? Ich meine, wir sitzen jetzt schon seit vier Monaten neben einander und das einzige was wir sagen ist ‚Hey'. Versteh mich nicht falsch, Hey ist gut, ja sogar sehr gut, nur würde ich gerne deinen Namen wissen. Ich bin Oliver.", stellt er sich vor und reicht mir nervös die Hand. Schmunzelnd schüttle ich diese. „Reese. Reese Hale, freut mich Oliver." Lächelnd sieht er mich an und mustert mein Gesicht intensiv.
Als der Professor den Saal betritt, liegt meine volle Aufmerksamkeit wieder vorne. Ich bereue es nicht hier in NewYork aufs Collage gegangen zu sein, denn ich lerne wirklich viel und es macht unfassbar viel Spaß. Die Wohnung, die ich mit Willow teile ist ein wahrgewordener Traum. Natürlich ist sie nicht sehr groß, aber dafür liegt sie relativ zentral und der Weg zur Uni ist nicht sehr weit. Das einzige, was mir fehlt, ist Jake. Laut seufze ich auf, als ich an ihn denke. Gott wie sehr ich ihn vermisse. „Alles gut?", fragt mich Oliver und sieht mich besorgt an. „Ja, alles gut.", beschwichtigend lächle ich. Jake und ich rufen uns täglich an oder videochatten. Natürlich hilft es nicht gegen die unheimliche Sehnsucht, die ich nach ihm hege. Am liebsten würde ich ihn hierher holen, an mein Bett binden und nie wieder gehen lassen, doch er muss dort bleiben. Wie sehr ich doch seine Pflichten hasse.
Gott, ich hasse sie so sehr.

~

Als ich die Uni verlasse und die vielen Steintreppen runterlaufe, ruft jemand laut nach mir. „Reese! Hey warte mal!", ich drehe mich um und sehe Oliver die Treppen runterlaufen, während er versucht seine Tasche nicht fallen zu lassen. Aufmerksam sehe ich ihn an und frage mich ernsthaft was er will, denn soweit ich weiß ist er echt gut und braucht meine Aufzeichnungen nicht. Unsicher kratzt er sich am Nacken und tritt von einem Bein aufs andere. „Ähm... ich wollte dich fragen... also nur, wenn du willst... ob du vielleicht mit mir... wie gesagt, nur, wenn du willst... vielleicht was mit mir trinken gehen möchtest." Kurz runzele ich die Stirn, da mich sein unsicheres Auftreten wirklich verwundert. „Ja, klar.", lächle ich. „Ich habe hier bisher noch keine Freunde und es wäre bestimmt nett was mit dir trinken zu gehen, also gerne."
„O-Okay... Kennst du die Bar am Bellevue South Park? Billy's Bar...", mit großen Augen sieht er mich an. „Ich werde es schon finden, sagen wir um acht?", langsam gehe ich schon ein paar Treppen nach unten. „Ja, okay! Bis dann!" Ich hebe zum Abschied noch meine Hand und gehe dann davon.
Schnell werfe ich einen Blick auf meine Uhr. Mist nur noch zwanzig Minuten. Seufzend fahre ich mir durch die Haare und laufe dann von Block zu Block, bis ich endlich bei unserem Apartment ankomme. Ungeduldig drücke ich auf den Knopf und hoffe, dass dadurch der Fahrstuhl schneller kommt. Aber nein, er lässt sich natürlich unnötig viel Zeit. Als er dann endlich da ist, steige ich ein und sehe auf die Ziffern über der Tür. 7... 8... 9... Erleichtert atme ich auf, jedoch als ich auf die Uhr schaue, laufe ich hastig Richtung Tür, die ich schnell aufschließe. „Hey! Du bist heute aber spät dran?", begrüßt mich Willow von der Couch, als sie gerade einen Teller Suppe isst und irgendwas auf ihrem Computer schreibt. „Fuck ja, das bin ich...", rufe ich noch und flitze in mein Zimmer. Schnell schmeiße ich die Tür zu und lasse mich auf mein Schreibtischstuhl fallen. Als ich mein Mac aufklappe zeigt er mir zwei Anrufe in Abwesenheit. Oh Mist!
Ich klicke auf sein Profil und warte sehnsüchtig, dass er abnimmt. Erfreut stelle ich fest, dass er es tut, aber alles andere als glücklich aussieht. „Hey Baby...", seufze ich erleichtert, als ich endlich wieder sein Gesicht sehen kann. „Es tut mir leid, ich musste noch was im Büro des Dekans klären und dann wurde ich von einem meiner Kommilitonen aufgehalten.", versuche ich zu erklären, warum ich leider schon wieder zu spät bin. In letzter Zeit passiert mir das viel zu oft, aber nie absichtlich. Es kommt immer etwas dazwischen und Jake hat auch nur begrenzt Zeit. Anscheinend geht gerade viel vor sich, die Leute im Rudel werden mehr und es werden Bündnisse geschlossen, vieles in der Stadt wird neu aufgebaut. Deswegen ist Jake kaum noch zu erreichen und ich habe hier auch viel zu tun. Ich muss lernen, dann habe ich mir vor ein paar Wochen einen kleinen Job in einem Atelier gesucht. Dort behandeln sie mich wie einen Praktikanten, aber ich lerne viele interessante Menschen kennen und habe die Möglichkeit, erfolgreichen Künstlern meine Werke zu zeigen, die immer besser werden, so sagt man mir.
„Schon okay, Reese. Aber ich habe jetzt nicht mal mehr zehn Minuten Zeit.", murmelt er. Er sieht nicht gut aus. Leichte Augenringe zeichnen sich unter seinen hübschen Augen ab. Seine Haare sind unordentlich und er wirkt sehr müde. Oh Jake...
Sofort würde ich zu ihm kommen wollen und ihn einfach in die Arme schließen. „Oh nein, bitte nicht. Ich habe mich so gefreut dich zu sehen.", flehe ich. „Es tut mir leid, Kleiner. Heute Abend habe ich Zeit?", müde lächelt er mich an. Mein Herz schmerzt so sehr. „Ja! Oh Fuck nein. Ich habe heute was vor...", entschuldigend sehe ich ihn an. „Was machst du denn?", neugierig sieht er zu mir. „Ein Kommilitone hat mich auf ein Trink eingeladen.", sofort sehe ich wie sich sein Körper anspannt. „Nein! Nicht so wie du denkst, nur als Freunde. Ich habe hier bisher noch keine. Ich dachte es würde vielleicht ganz nett werden.", fest presst er seine Kiefer zusammen. „Ja... vielleicht.", abwesend starrt er zur Seite. „Ist alles okay bei dir? Du siehst nicht gut aus, Jake.", erschöpft sacken seine Schultern zusammen. „Ich... Ich vermisse dich, Reese. Seit ich dich markiert habe, ist es viel schlimmer als zuvor. Mein Körper sehnt sich nach deiner Nähe. Ich brauche dich hier, hier bei mir, neben mir.", erzählt er mir. Traurig sehe ich ihn an. „Ich sehne mich auch so sehr nach deiner Nähe, Jake." Eine Zeit lang schweigen wir. „Ich muss jetzt wieder.", flüstert er. Schluckend betrachte ich ihn. Seit er mich gebissen hat ist alles zwischen uns noch viel intensiver. Ich kann selbst hier spüren, wie es ihm geht. Seitdem habe ich auch einmal im Monat meine Hitze. Gott, das ist echt schlimm, besonders, dass Jake da nicht bei mir ist. Denn ich bin zu der Zeit so geil, dass ich nicht einmal nach draußen kann. Zum Glück geht das nur fünf Tage, aber es ist heftig und soweit ich weiß, kann das Jake auch spüren. Wir haben es echt mit Telefonsex versucht, aber es war nicht befriedigend genug, außerdem wünsche ich mir einfach zu sehr seine Haut auf meiner. Fuck. Alleine, wenn ich daran denke...
Selbst Willow traut sich in der Zeit nicht in meine Nähe, weil ich unglaublich aggressiv werde, da ich einfach nicht das bekommen kann was ich will! Doch der Gedanke an meine Uni und die Dinge, die ich hier erlebe vereinfachen es mir wenigstens ein wenig. Meistens kommt die Hitze ganz unerwartet und einfach so, zu den unpassendsten Zeitpunkten. Der Gedanke, Kinder zu bekommen, mit meinem Mate, ist da dann nicht einmal mehr halb so verstörend. Auch, wenn ich jetzt noch überhaupt nicht so weit bin. „Okay.", murmle ich und stelle mir vor jetzt einfach meine Arme um ihn zu legen. „Ich liebe dich.", flüstere ich und hoffe er weiß, dass es noch so viel mehr als das ist. „Ich dich auch.", flüstert er und legt dann auf. Ohne es aufhalten zu können, überströmt mich die Enttäuschung von Jake und ich kann nichts dagegen tun, dass meine Lippen anfangen zu beben und ich hemmungslos zu weinen beginne. „Reese?", sachte klopft jemand an meine Tür, die darauf gleich geöffnet wird. „Oh Süßer...", seufzt sie, als sie mich so sieht. „Komm her.", sofort drückt sie mich an sich und streicht mir durch mein Haar. „Vielleicht wäre es doch besser, wenn du mal wieder nach Hause fliegst.", murmelt sie. „Aber mein Job...", versuche ich schluchzend zu erklären. „Ist dir denn dein Job wichtiger als Jake?"
„Nein!", sage ich sofort, denn das wäre absurd. „Ihr macht euch mit dem dauerhaften Abstand kaputt. Du solltest den Job aufgeben und dafür Jake öfter besuchen kommen. Auch, wenn du es versuchst zu verstecken, sehe ich doch wie sehr du durch den Abstand leidest. Tu dir das nicht länger an, Reese. Jake liebt dich viel zu sehr, als dass er das weiter verkraften wird.", verstehend nicke ich.

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