Kapitel 26

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Reese

„Wo laufen wir hin?", fragt er mich, als wir aus dem Bus ausgestiegen sind.
„Ich wollte noch schnell bei meiner Freundin vorbei und sehen wie es ihr geht. Außerdem muss ich ihr noch die Hausaufgaben bringen. Geht schnell, versprochen.", nickend läuft er neben mir und vergräbt seine Hände in seiner schwarzen Lederjacke.
Gerade überqueren wir die Straße und das Haus ist nicht mehr weit entfernt, als sich die Tür von dem Haus öffnet.
Als ich sehe, wer aus ihr hinaus tritt, bleibe ich abrupt stehen.
Floyd kollidiert mit meinem Rücken. „Hey!", beschwert er sich, doch ich achte garnicht mehr auf ihn.
„Danke Jake, ich schulde dir was.", höre ich Willow sagen und sie stellt sich auf die Zehnspitzen, ob sie ihn auf den Mund oder auf die Wange küsst, kann ich von hier nicht erkennen.
Meine ganze Farbe weicht mir aus dem Gesicht und mein Körper fängt an zu beben. Das passiert doch gerade nicht wirklich. Ohne es zu merken bilden sich Tränen in meinen Augen.
„Reese, ist alles okay?", fragt mich Floyd und sieht mich an. Genau in dem Moment dreht sich Jake um und sieht zu mir. Ruckartig bleibt er stehen.
Floyd schaut nur verwirrt zum Haus und wieder zu mir. Enttäuscht sehe ich ihn an. „Warum sie?", flüstere ich und weiß genau, dass er mich hören kann.
Willow sieht erschrocken zu mir und weiß nicht was sie sagen soll. Ohne ein Wort drehe ich mich um und packe Floyd am Arm. „Warte!", plötzlich steht Jake hinter mir und dreht mich an der Schulter rum. „Es ist nicht so wie du denkst. Es..." Traurig sehe ich auf den Boden, ehe ich wieder in seine mitternachts schwarzen Augen sehe. „Fass mich nicht mehr an, Jake.", sage ich leise und löse seine Hand von meiner Schulter. „Das wars.", flüstere ich monoton und streiche mir die Tränen aus dem Gesicht.
Wenn er es so will.
„Man sieht sich heute Abend, Jake.", damit drehe ich mich um und laufe mit Floyd davon. Auf den Schmerz in seinen Augen habe ich nicht geachtet.

~

Nach einiger Zeit kommen wir an einem Park an, wo wir uns auf einen dicken Ast setzen, der ganz nah am Boden hängt. Wir schweigen und ich starre einfach ins Nichts. Es fühlt sich an, als ob mir jemand den wichtigsten Teil meiner Seele weggenommen hat.
„War das dein... dein Freund?", fragt er mich nach einiger Zeit. Geschockt sehe ich zu ihm. „Freund? Was?! Nein! Er ist mein Bruder..."
„Bruder?", er sieht überrascht zu mir. „Hm.", antworte ich.
„Wow, ihr scheint eine gute Verbindung zu haben."
„Wie kommst du denn jetzt darauf??", es macht mich irgendwie wütend, dass er das sagt. „Naja, er sieht dich an als wollte er dich besitzen, eigentlich schon fast etwas heftig.", gibt er zögerlich von sich. „Tut er das?", ich habe Jake noch nie anders schauen sehen, also woher sollte ich das wissen?
„Vielleicht habe ich es auch nur falsch interpretiert...", zustimmend nicke ich. „Und das Mädchen war...?"
„Willow, sie ist meine Freundin."
„Oh, also hat sie dich mit deinem Bruder betrogen?", verstört sehe ich zu ihm, als ich verstehe. „Nein, sie ist meine beste Freundin."
„Ah, aber was stört dich jetzt so?", seufzend lehne ich mich nach hinten und lasse meinen Kopf baumeln. „I-Ich... Mein Bruder und ich haben gerade... wir haben momentan unsere Differenzen. Willow ist meine beste und einzige Freundin, aber seit kurzem hatte sie irgendwie kaum noch Zeit. Naja... wenigstens weiß ich jetzt warum."
„Hm, verstehe, du bist eifersüchtig.", er lässt seinen Kopf neben mir baumeln. „Wie bitte?", empört sehe ich ihn an. „Komm schon Mann, du brauchst es nicht leugnen."
Schnaufend verschränke ich die Arme. „Vielleicht..."
„Na siehst du. Vielleicht solltest du mal mit Willow reden und ihr klärt das?", fragt er mich. „Vielleicht...", gebe ich wieder von mir. „Hm..."

Wir hängen so eine Weile im Baum rum. Es ist eigentlich sogar entspannend. Trotzdem will ich nicht mit den beiden reden. Ich bin enttäuscht und fühle mich kaputt. In all den Jahren war ich Jakes Nummer 1 und, wenn er sich in Willow verliebt hat, weiß ich nicht ob ich damit umgehen kann. Nicht mehr das Wichtigste für ihn zu sein gibt mir einen Tritt in die Magengrube.
„Willst du dich besser fühlen?", kommt es plötzlich von Floyd. „Wie meinst du das?", frage ich. „Wenn ich die Möglichkeit hätte, dass es dir besser geht, würdest du es wollen, egal was es ist?", verwirrt sehe ich zu ihm und er zieht aus seiner Hosentasche zwei blaue Pillen. „Was ist das?", mit großen Augen sehe ich ihn an. „Selbst gemacht. Ich nenne sie ‚Loyds'." „Wie einfallsreich.", kichere ich.
„Und?", mit hochgezogener Augenbraue sieht er zu mir. Eigentlich hasse ich Drogen, aber was macht schon einmal?
Es wird schon nichts dabei sein.
Einmal ist keinmal und, wenn es mir danach besser geht, umso besser. Schulterzuckend nehme ich eine in die Hand und betrachte sie. Mein ganzes Leben wurde mir schon gesagt, dass so etwas schlecht ist, aber warum eigentlich? Ohne lange zu überlegen schmeiße ich sie ein.
Floyd macht sich eine Zigarette an und scheint irgendwie viel entspannter, als noch vor ein paar Minuten.
„Willst du auch?", fragt er und reicht sie mir. Ich hasse rauchen!
Also lehne ich kopfschüttelnd an. „Komm schon, nur ein Zug.", zögernd nehme ich sie in die Hand. Ich habe es noch nie probiert und hatte es auch eigentlich nie vor. Kurz ziehe ich daran und fange sofort an laut zu husten, so dass mir die Tränen kommen. Nie wieder.
Schnell gebe ich sie ihm zurück und er lacht lauthals. Genau in dem Moment merke ich die Droge.
Mein Herzschlag wird langsamer, mein Blut fühlt sich leichter an und die Umgebung wird viel intensiver. Das Gras grüner, die Blumen bunter und der Wind beschwingender. Selbst die Vögel kommen mir lauter vor. „Wow.", gebe ich nur von mir und fange plötzlich an zu lachen. Warum lache ich eigentlich?
Ach, egal.
Floyd fängt auch an und zusammen hängen wir kichernd auf dem Baum.
„Wir sind High oder?", lache ich.
„Ja Mann, total breit.", ich halte mir den Bauch und zusammen scheint es, als würden wir schweben. So etwas habe ich noch nie gespürt. Eine totale Zufriedenheit überkommt mich. Vergessen ist mein Bruder oder Willow oder die beschissene Schule.
Wichtig ist dieser Moment voller Farben, Gefühle und Träume.

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