Kapitel 43

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Reese

Glücklich atme ich die morgendliche, frische Luft in meine Lunge. Ich fühle ein solch einnehmendes Hochgefühl, wie schon so lange nicht mehr.
Etwas aufgeregt laufe ich Richtung Schule. Heute steht viel an, was ich mir vorgenommen habe zu tun.
Erstens, ich entschuldige mich bei Willow. Wir haben schon seit Wochen nicht mehr geredet und ich vermisse sie. Ich vermisse sie wirklich sehr.
Zweitens, Floyd zur Rede stellen. Was mir ehrlich gesagt ein merkwürdiges Gefühl beschert. Tatsächlich ist mir letzte Woche aufgefallen, dass ich nicht einmal die Nummer von ihm habe, was mich wirklich sehr gewundert hat. Immerhin haben wir die letzten Wochen zusammen verbracht, jedenfalls denke ich das. Es ist noch immer alles so verschwommen.
Drittens, mich nicht von Jace unterkriegen lassen, was wohl die schwerste Aufgabe ist.
Zwar kann ich mich nicht erinnern in den letzten Wochen irgendwie an ihn geraten zu sein, aber ich war nicht ich selbst. Vielleicht sieht es jetzt wieder anders aus? Wer weiß...
Mit klopfendem Herzen stoße ich die großen Schultüren auf und gehe auf meinen Spind zu. Bisher habe ich weder Floyd noch Willow gesehen. Schnell hole ich meine Schulbücher aus dem Schrank und betrachte kurz das Bild von mir und Jake, was an meiner Spindtür klebt. Es zeigt mich und ihn auf dem Campingausflug mit Dad. Wir haben jeweils ein Arm um uns gelegt und grinsen breit in die Kamera. Schwach lächelnd erinnere ich mich an den Tag, als plötzlich die Spindtür vor meiner Nase zu geschlagen wird und ich kurz einen kleinen Stich in meiner Seite spüre, ehe Jace's Gesicht vor meinen Augen auftaucht.
„Na Schwuchtel, wieder im Lande.", grinsend lehnt er am Spind und sieht mich mit verschränkten Armen an. Schmerzerfüllt reibe ich mir meine Seite und sehe genervt zu ihm. Ohne ein Wort zu sagen drehe ich mich um und gehe weiter.
Genau! Lass die Ratte einfach stehen! Innerlich grinsend laufe ich den Gang hinunter und sehe wie Willow gerade aus der Toilette kommt.
„Willow!", rufe ich und jogge zu ihr. Erschrocken sieht sie auf.
„Reese?", stirnrunzelnd mustert sie mich eindringlich. Vor ihr bleibe ich stehen und kratze mir nervös am Kopf. „Es tut mir leid.", sagen wir plötzlich gleichzeitig. „Wieso entschuldigst du dich?", verwirrt sehe ich zu ihr. „Ich hätte für dich da sein sollen. Ich habe doch gesehen wie schlecht es dir ging, besonders die letzten Wochen. Das tut mir leid Reese."
„Das ist schon okay, immerhin hätte ich ja auch einfach auf dich zukommen können. Jedenfalls habe... habe ich dich wirklich sehr vermisst und ich weiß, dass ich ein großes Arschloch war und dafür wollte ich mich entschuldigen."
Sie legt ihren Kopf schräg und lächelt schwach, ehe sie mich in die Arme zieht. „Wir haben beide schlechte Entscheidungen getroffen. Alles wieder gut zwischen uns?", murmelt sie in mein Ohr. „Alles wieder gut!", seufze ich erleichtert. Das habe ich wirklich vermisst. Eine Welt ohne einen besten Freund, ist keine schöne Welt.
Zusammen laufen wir in den Kurs. „Wo warst du eigentlich letzte Woche?"
„Ich war mit Jake bei unserer Granny. Das habe ich wahrscheinlich echt gebraucht. Es war eine wirklich tolle Woche. Jake und ich hatten viel Spaß...", erzähle ich. Wenn sie nur wüsste wie viel Spaß wir hatten. „Ja, das kann ich mir vorstellen.", grinsend zwinkert sie zu mir und ich bleibe wie angewurzelt stehen.
Sie geht seelenruhig weiter in das Klassenzimmer.
Warte! Sie... Sie weiß doch nicht etwas oder? Ahnt sie es vielleicht?
Oh mein Gott. „Hey! Wie meinst du das?!", rufe ich und haste ihr hinterher. „Nicht so wichtig. Du hast in den letzten Wochen viel Schulstoff verpasst.", sagt sie und packt ihre Bücher aus. Seufzend lasse ich mich neben sie fallen. Irgendwie ist mir plötzlich so schwindelig. Merkwürdig...
„Hm... Stimmt. Wie...Wie war ich denn so drauf?", flüstere ich und sehe sie neugierig an. „Du weißt das nicht mehr?", entschuldigend zucke ich mit den Schultern. „Du warst sehr in dich gekehrt, hast kein Ton gesagt und bist oft einfach so verschwunden. Keiner wusste wo du warst. Du hast nur schwarze Klamotten getragen, was dir, nur so nebenbei, wirklich nicht steht.", mit großen Augen folge ich ihren Erzählungen. „Manchmal warst du auch echt gruselig drauf und hast mit dir... selber geredet. Ich habe oft versucht dich anzusprechen, aber du bist oft einfach an mir vorbei gelaufen, als hättest du mich nicht gesehen. Deine Augen waren immer so groß und gläsern. Ich habe mir wirklich große Sorgen um dich gemacht, immerhin kam ich nicht an dich ran.", seufzt sie. Verstehend nicke ich und versuche das Erzählte irgendwie mit meinen Erinnerungen zu verknüpfen, doch scheitere kläglich.
„Mal ehrlich Reese...", kurz schaut sie sich um, ob uns jemand belauscht und rutscht näher zu mir. „Hast du Drogen genommen?" „Ich... Ich denke schon, aber irgendwie sind die Wochen so verschwommen. Es fing alles an, als du nach der Schule nicht mehr so viel Zeit hattest... und naja."
„Oh Reese, das tut mir leid. Wirklich. Meiner Mam ging es nicht so gut. Sie wurde auch vor zwei Wochen operiert und das hat mich alles sehr mitgenommen, aber ihr geht es wieder besser.", entschuldigend sieht sie zu mir.
„Oh Gott und ich habe mich gefragt warum du keine Zeit mehr hast, aber warum hast du mir denn nichts erzählt?! Ich wäre doch für dich da gewesen!"
„Ich weiß und genau deswegen habe ich dir nichts gesagt. Du hattest so viele Probleme mit dir selbst. Da war Jace und Jake, der Alpha werden sollte. Ich wollte dich einfach nicht noch damit belasten, bitte nimm es mir nicht übel.", verstehend nicke ich und nehme sie in den Arm.
Kurz ist es still und wir hängen unseren eigenen Gedanken nach.
„Weißt du eigentlich wo Floyd ist?", verwirrt sieht sie zu mir. „Ich habe ihn heute noch gar nicht gesehen und wollte mit ihm reden.", noch immer sieht sie stirnrunzelnd zu mir.
Wer ist Floyd?", verwundert sehe ich sie an. „Na der Typ mit dem ich die ganzen Wochen abgehangen habe.", wild gestikuliere ich in der Luft herum.
„Reese, ich kenne keinen Floyd..."
„Kurz rasierte Haare, Piercings, schwarze Klamotten. Ziemlich düster... Bisschen größer als ich? Ich saß mit ihm zusammen in der Cafeteria.", versuche ich ihr ihn zu beschreiben. Nur nebenbei bekomme ich mit, wie ich stark anfange zu schwitzen. „Aber Reese... Du saßt immer alleine. All die Wochen. Ich habe dich nie mit jemand andern gesehen. Da war keiner... Ist alles okay mit dir? Du bist so blass?", wie in Trance drehe ich mich zur Tafel, ignoriere ihre gestellte Frage und sehe zu unserem Lehrer der gerade den Raum betritt.
A-Alleine? Aber... aber wie kann das sein? Er war da! Ganz sicher!
Plötzlich erscheinen Bilder in meinem Kopf, wie ich alleine in der Cafeteria sitze und mich mit mir selber unterhalte, wo ich aber eigentlich Floyd kennengelernt haben sollte. Sehe mich alleine vor Willows Haus stehen. Sehe, wie ich alleine auf dem Baum liege und eine meiner Pastillen in den Mund nehme. Ich sehe mich auf dem Mast sitzen, wie ich alleine über die Wälder sehe. Sehe mich jeden Tag alleine, jeden Gott verdammten Tag alleine, wie ich mich immer mehr verändere, wie ich stundenlang an der selben Stelle sitze und ins Nichts starre. Mein Herz fängt an zu rasen und zwar so schnell, wie noch nie zuvor.
Starke Schmerzen durchströmen meinen Körper. Zitternd balle ich meine Hände zu Fäusten. „Reese, ist alles okay?", ich spüre wie Willow eine Hand auf meine Fäuste legt. „Gott! Du bist eiskalt!"
Hektisch fange ich an ein und aus zu atmen. Panisch reiße ich meine Augen weit auf und sehe in die von Willow. Stumm schreie ich nach Hilfe, nicht in der Lage meinen Mund zu öffnen.
„Mr. Hale! Was zum Teufel ist mit ihnen?!", höre ich meinen Lehrer sagen. Ich spüre wie mein Körper anfängt zu zucken und meine Augen verdrehen sich nach hinten, ehe ich vom Stuhl kippe. Krampfend liege ich am Boden und schreie laut nach Hilfe, doch niemand hört mich. Ich fühle mich gefangen im eigenen Körper.
„Gott! Holen sie Hilfe!", brüllt mein Lehrer und ich spüre wie sich die Schüler aufgeregt um mich versammeln.
Bitte! Ich will das nicht! Was geschieht mit mir? Heiße Tränen laufen meine Wange hinab. Und dann spüre ich endlich die erlösende Dunkelheit nach mir greifen. Befreiend lasse ich mich fallen. Nur am Rande hör ich wie jemand meinen Namen brüllt.
Jake, bitte hilf mir...

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