Kapitel 47

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Jake

„Wie geht es dir?", sanft berührt mich jemand an meiner Schulter und ich wache aus meinem tranceähnlichen Zustand auf. Blinzelnd hebe ich den Kopf und sehe in das lächelnde Gesicht von Bonnie.
Was macht sie hier?
„Wie kommst du hier rein?", verwundert sehe ich zu ihr. „Du... hast die Tür offenstehen lassen.", langsam lässt sie sich neben mir auf dem Bett nieder. Verstehend nicke ich.
Seufzend schaue ich auf den Bären in meinen Händen und streiche mit meinem Daumen über den abgenutzten Stoff.
„Ist das sein Zimmer?", fragt sie mich und schaut sich um. Ich antworte ihr nicht, da die Antwort offensichtlich ist. Das Zimmer unserer Eltern haben wir seit dem Tod von unserem Dad nicht mehr betreten und meine Eltern würden bestimmt keine Ufo Bettwäsche haben. „Was willst du hier?", mein Blick ist weiter auf dem Teddybär in meinen Händen gerichtet. Kein Gegenstand in diesem Haus riecht mehr nach Reese, als dieser Bär. Auch, wenn es mich quält, sehne ich mich nach seinem Duft.
„Ich wollte... wollte nach dir sehen."
Das wollen alle, andauernd.
Schnaufend schließe ich die Augen.
Ich will aber niemanden sehen.
„Ich habe dir in den Kühlschrank einen Auflauf gestellt, falls du Hunger hast...", murmelt sie und spielt mit den Ringen an ihren Fingern. Genervt streiche ich mir über meine Augen und kralle mich in den Teddy fest. Bis vor ein paar Tagen dachte ich, Reese hat ihn gar nicht mehr. Zuletzt habe ich ihn vor zwei Jahren mit ihm gesehen. Ich habe ihn damit immer aufgezogen, was mir rückblickend bescheuert vorkommt. Er hat den Bären nun einmal geliebt und ich wusste er schämt sich. Also hat er ihn vor mir versteckt. Als ich ihn zufälligerweise gefunden habe, starrte ich ihn apathisch gefühlte Stunden an. Dieser Geruch war allgegenwärtig und ich wusste nicht, ob ich ihn verbrennen oder an mich reißen sollte.
„Gibt es schon etwas Neues?", fragt sie mich plötzlich und legt eine Hand auf meinen Arm. „Nein."
Es hat sich rein gar nichts verändert, seit ich gestern wieder nach Hause gegangen bin. Ich bin so unglaublich frustriert.
Am liebsten würde ich jemanden verantwortlich machen und diesem all seine Knochen brechen, wissend, dass die Genugtuung nur kurz anhalten würde, bis mich die Sehnsucht wieder überrollt.
„Es tut mir leid.", kommt es plötzlich von ihr und zum ersten Mal schaue ich ihr in die Augen. „Was soll dir denn leidtun?", frage ich etwas zu spitz.
„Das es dir gerade so schlecht geht und ich nichts tun kann..."
„Es ist, wie es ist.", sage ich kalt, ehe ich mich erhebe und den Teddy auf das Bett lege. „Sag das so nicht.", schnell steht sie auf und mustert mein Gesicht. „Was?"
„Es klingt so kalt. Verschließ deine Gefühle nicht. Wir alle wollen dir doch nur helfen, aber du verschließt dich vor uns, Jake." Verstimmt sehe ich sie an.
„Ihr könnt mir aber nicht helfen! Keiner von euch!", knurre ich. Sie macht ein Schritt zurück ehe sie wieder zwei auf mich zu macht. „Wir können aber für dich da sein..." Versteht sie es denn nicht?
„Ich brauche euch aber nicht!", brülle ich sie an und sofort bereue ich es. Sie will mir nur helfen, aber momentan macht es alles noch so viel schlimmer.
Ihre mitleidigen Blicke, als wäre er schon tot. Dieses ständige betatsche oder, dass sie mir ständig Essen bringen. Mein Kühlschrank ist jetzt schon bis oben hin gefüllt.
Erschrocken sieht sie mich an.
„Ich brauche nur ihn...", flüstere ich und schließe ergeben meine Augen. Unter seelischen Schmerzen breche ich zusammen und kralle mich in meinem Haar fest. „Oh Jake...", seufzt sie und hockt sich neben mich hin.
„Bitte geh."
„Ich...", unterbrechend sehe ich sie mit geröteten Augen an. „Geh! Und nimm die anderen mit.", auffordernd sehe ich zu Tür.
Vergessen zu abzuschließen... Das ich nicht lache. Ich höre sie laut und deutlich atmen. Sie stehen im Flur und hören uns zu. Henry, Mark, Malkom und Alec. Ergebend steht sie wieder auf und geht Richtung Flur.
„Und?", fragt Malkom. „Wir sollten ihn alleine lassen.", seufzt sie. Dann höre ich Schritte, die mein Haus verlassen, doch kurz drauf betritt wieder jemand mein Zimmer. Genervt lehne ich mich ans Bettgestell und sehe zu Henry, der sich neben mich setzt.

So sitzen wir dann bestimmt eine Stunde. Keiner sagt ein Wort und jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach. „Du siehst scheiße aus, Mann.", Henry sieht zu mir und grinst. Schwach lächelnd schüttle ich mit dem Kopf.
„Er wird das schon packen...", murmelt er nach einiger Zeit. Angespannt lasse ich den Kopf nach hinten fallen und sehe an die Decke. „Es würde mich zerstören.", sage ich kaum hörbar. „Ich weiß Kumpel. Ich weiß...", aufmunternd legt er eine Hand auf meine Schulter und drückt diese. Die Stille ist angenehm und lässt mich etwas runterkommen. Das Gefühl, nicht alleine zu sein hilft. Mehr als ich dachte und dafür bin ich ihm dankbar. Doch die Stille wird von meinem Handy klingeln unterbrochen. Ich ziehe es aus meiner Hosentasche und nehme ab. „Hale."
„Mr. Hale, hier ist Rickson.", begrüßt mich der Mann am anderen Ende der Leitung. Sofort bin ich wieder komplett bei mir und stehe auf.
Rickson ist der Arzt von Reese, dem ich erlaubt habe die Blutprobe zu analysieren. „Ja! Gibt es... Gibt es etwas Neues?", frage ich den Mann nervös. „Sie sollten herkommen, die Auswertung der Blutprobe ist soeben per Fax gekommen und sie war äußerst aufschlussreich.", er hört sich nachdenklich an, fast schon etwas unsicher. „Aber natürlich, ich komme sofort.", ohne ein weiteres Wort lege ich auf und renne die Treppe runter. „Hey! Alter, wo rennst du hin?", fragt mich Henry von oben. „Ich muss ins Krankenhaus. Bis später."

~

Als ich endlich am Krankenhaus parke, reiße ich die Autotür auf und laufe hinein. Schnell gehe ich auf die Büros zu, wo unteranderem das von Rickson ist. Zum Glück gehört er zu uns und ist einer unserer begabtesten Heiler. Er weiß natürlich über die übernatürlichen Dinge Bescheid. Ohne zu klopfen reiße ich die Tür auf und sehe ihn abwartend an. „Oh, da sind Sie ja schon.", er winkt mich zu sich und sofort schließe ich wieder die Tür, ehe ich mich vor ihm hinsetze. „Was kam bei der Analyse raus? Wissen Sie was ihm fehlt? Können Sie ihm jetzt helfen?", überhäufe ich ihn mit Fragen.
„Immer mit der Ruhe, junger Mann.", er nimmt seine Brille aus seinem Kittel und setzt sich diese auf. Er faltet ein Blatt auf, das er noch einmal überfliegen zu scheint, während er sich über seinen weißen Bart streicht.
„Wir haben eine erhöhte Konzentration von Wolfswurz in seinem Blut gefunden. Was wahrscheinlich erklärt, warum sein Körper sich nicht selbst geheilt hat. Dazu haben wir eine andere unbekannte Substanz gefunden.", erklärt er mir. Angespannt kralle ich mich in die Armlehne. „Unbekannt?", brumme ich. „Ja, eine Substanz, die das System nicht kennt."
„Also wissen Sie nicht mehr als vorher?", enttäuscht fahre ich mir durch die Haare. „Nein, so würde ich das nicht sagen. Meiner jahrelangen Kenntnis zu Folge, würde ich vermuten, dass die Substanz keines natürlichen Ursprungs ist. Sonst hätte es das System gefunden, was wiederum bedeutet, dass Ihrem Bruder mutwillig etwas zugeführt wurde. Sind Ihnen in den letzten Wochen irgendwelche Veränderungen an ihm aufgefallen?", angespannt wippe ich mit dem Bein und denke nach.
„Vor ein bisschen mehr als einem Monat kam er... High nach Hause. Ab da an, hat er sich sehr verändert. Er war verschlossen und hat kaum bis gar nicht mehr geredet. Sein Äußeres wirkte eingefallen. Doch das lag wahrscheinlich an den Drogen.", nachdenklich sieht er zu mir und lässt sich nach hinten in den Stuhl fallen. „Warum sind Sie sich so sicher, dass er Drogen genommen hat?"
„Ich...", ja, warum bin ich mir da so sicher? Drogen habe ich bei ihm nie gefunden. „Er hatte geweitete Pupillen, hat stark geschwitzt und bekam ab und zu Fressattacken."
„Mr. Hale...", fängt er an und lehnt sich wieder nach vorne ehe er seine Hände auf dem Tisch verschränkt. „Ich denke nicht, dass Ihr Bruder bewusstseinserweiternde Mittel genommen hat. Die Symptome können viele Ursachen haben."
„Welche Ursachen?"
„Ich kann nur Vermutungen aufstellen, aber meiner Meinung nach wurde Ihrem Bruder eine Mixtur über mehrere Wochen verabreicht, die seinem Körper und besonders sein eh schon geschwächtes Herz immens geschädigt haben."
„Also wollen Sie mir sagen, jemand wollte meinen Bruder... umbringen?", geschockt sehe ich ihn an. Sein eindringlicher Blick ist Antwort genug.

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