Kapitel 30

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Reese

Keuchend wache ich aus einem verstörten Traum auf und sehe gehetzt umher. Es scheint mir alles so unbekannt und doch so bekannt. Nur schwach erinnere ich mich an die letzte Nacht, so wie an die vergangenen Wochen.
Was ist nur passiert?
Der letzte Tag, der mir noch so vollständig klar erscheint, war mit Floyd auf dem Mast. Und danach fühle ich mich wie in Watte gepackt mit einem grauen Tuch über dem Kopf. Es kommt mir vor wie ein wochenlanger Traum.
Stöhnend halte ich mir den Kopf und plötzlich überkommt mich eine extreme Übelkeit.
Schnell springe ich auf und laufe zu dem Bad, was an mein Zimmer angrenzt und übergebe mich. Mein Magen zieht sich schmerzhaft zusammen und versucht noch irgendwas zu finden. Erschöpft lehne ich mich gegen den Heizkörper und wische mir über den Mund. Schwerfällig versuche ich auf zu stehen, um mich Richtung Dusche zu begeben.
Erfreut stelle ich fest, dass meine Waschtasche auf dem Waschbecken steht, aus der ich mir eine Zahnbürste nehme. Müde sehe ich in mein blasses Gesicht, das von tiefen Augenringen gezeichnet ist. Oh Mann.
Seufzend stelle ich mich unter den kalten Wasserstrahl und wasche mir den Schweiß der letzten Nacht ab.
Was ist mit mir passiert?
Ich kann mich nicht einmal daran erinnern so viele Drogen genommen zu haben. Langsam drehe ich das Wasser ab und gehe nach draußen. Mit einem Handtuch trockne ich mich halbherzig ab und gehe in mein Zimmer, wo ich in einer Ecke meine Tasche finde.
Fix ziehe ich mir ein blaues T-Shirt an, wo Beam me up Scotty draufsteht. Dazu schlüpfe ich schnell in ein paar kurze Shorts, denn es ist wirklich warm. Besonders hier in Alabama, nicht so wie bei uns. Leise begebe ich mich die alte weiße Holztreppe nach unten.
„Oh Reese, schön dich zu sehen.", ich sehe in ein dunkles Gesicht, was mich anstrahlt. „Anna?"
Nickend kommt sie auf mich zu und nimmt mich in den Arm.
„Wow, wie lang ist es her? 10 Jahre?", frage ich sie erstaunt. Traurig nickt sie, „Ja, eine Ewigkeit."
„Wo sind denn alle?", fragend sehe ich sie an. „Also deine Großmutter sitzt auf der Veranda und strickt und dein Bruder wollte sich vor ein paar Stunden hinlegen, aber ich glaube er ist vorhin in den Garten gegangen und hackt jetzt Holz.", erklärt sie mir. „Okay, dann werde ich mal zu Grandma gehen.", Anna tätschelt mir noch meine Schulter, ehe sie den Wäschekorb, der auf dem Boden steht, nimmt und Richtung Garten läuft. Unsicher gehe ich auf die Veranda, immerhin habe ich Grandma schon ewig nicht mehr gesehen.
Draußen finde ich sie leise summend und irgendwas strickend vor. „Hey Grandma.", begrüße ich sie. Sofort sieht sie zu mir. „Reese! Schön dich zu sehen, komm doch her!", leicht lehne ich mich zu ihr runter und umarme sie. „Du bist aber groß geworden, als ich dich das letzte Mal gesehen habe, hatte Jake versucht dir das Schwimmen bei zu bringen!", lacht sie. Lächelnd lasse ich mich auf der Bank neben ihr nieder und betrachte das große Grundstück. Es ist wirklich riesig und hinter dem Haus führt ein kleiner Weg auch zu einem wunderbaren großen See. Früher war ich wirklich immer gerne hier, doch dann... nicht mehr.
Hier habe ich meine schönsten Kindheitserinnerungen erlebt und in jeder einzelnen kommt Jake vor. „Wie lange sind wir schon hier?", schwach lächelnd sehe ich zu ihr. Ich liebe sie, aber sie hat mich, uns, einfach alleine gelassen. Das werde und kann ich ihr nicht einfach so verzeihen.
„Ihr kamt heute Morgen an, also circa zehn Stunden. Du hast lange geschlafen, Spätzchen.", verstehend nicke ich.
„Ist Jake hinter dem Haus?", frage ich sie. „Ja, er war so lieb mein Holz zu hacken, denn Frank der Gärtner ist auch nicht mehr der Jüngste.", zwinkert sie. „Ich schau mal nach ihm."
„Mach das Spätzchen, bring ihm doch ein Glas Limo.", sie deutet auf den kleinen Tisch vor sich. Nickend nehme ich mir eine, geh die Treppen runter und laufe um das Haus nach hinten. Von hier kann ich schon die die Geräusche von spaltendem Holz hören.
Und da steht er, in der tief stehenden Sonne, ohne T-Shirt, nur in ein paar Shorts und hackt Holz. Der Schweiß läuft seinen Hals hinab, über sein perfekt definiertes Sixpack und verschwindet in seinen Shorts. Schluckend schüttle ich mit dem Kopf.
„Hier...", sage ich leise. Sofort hält er inne und rammt dann die Axt in den Baumstumpf. „Danke.", er nimmt mir das Glas ab, ehe er es komplett austrinkt. Kleine Tropfen finden ihren Weg über seine Lippen runter zum Hals, wo sie über seinen hüpfenden Adamsapfel laufen. Fuck.
„Geht es dir besser?", fragt er und sieht mich prüfend an. „Äh... ja.", gebe ich leise von mir, irgendwie ist es mir unangenehm, dass mein Bruder nur wegen mir das alles hier machen muss. „Es tut mir leid.", mein Blick ist konstant auf den Boden gerichtet.
„Ich weiß.", ein Finger legt sich unter mein Kinn und hebt es an. Sein Daumen streicht sachte über meine rote Wange. „Ich habe diesen Blick vermisst.", sagt er. Verwirrt sehe ich ihn an, wie meint er das? „Du warst nicht mehr du Reese.", murmelt er. Verstehend nicke ich.
„W-Wie lange bleiben wir hier?"
„So lange wie nötig, aber bis jetzt, bis Sonntag." Eine Woche also.
„Danke.", seufze ich.
„Nicht dafür Reese.", er löst seine Hand von mir und widmet sich wieder dem Holz. „Wir gehen nachher joggen.", geschockt sehe ich zu ihm.
„Was? Wieso?", er weiß doch wie sehr ich Sport verabscheue. „Weil wir deinen Körper wieder fit bekommen müssen, da musst du jetzt durch.", schmollend sehe ich ihn an. „Tut mir leid Kleiner.", grinst er und spaltet ein Stück Holz mit Leichtigkeit.
„Okay...", seufze ich und gehe wieder Richtung Haus.
Das kann ja was werden. Trotz meiner Werwolfkräfte besitze ich kaum Ausdauer, schon gar nicht in meiner menschlichen Gestalt. Und doch fühle ich eine tiefe Schuld, die ich ausgleichen muss.
Also habe ich wohl keine andere Wahl.

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