Kapitel 11

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Reese

Hechelnd komme ich am Strand an.
Jake war wahrscheinlich so in Gedanken, dass er nicht mal gemerkt hat, wie er viel zu schnell gerannt ist und ich ihn irgendwann aus den Augen verloren habe. Irgendwas musste ihn wohl sehr aufgewühlt haben, sonst wäre ihm das nie passiert.
Schnell verwandle ich mich zurück und schlüpfe wieder in meine Sachen. Es müsste mittlerweile später Nachmittag sein, denn ich habe mich einige Male verlaufen.
Suchend schaue ich mich um und hoffe ihn irgendwo zu erkennen. Plötzlich werde ich herumgeschleudert und ein nackter Jake presst sich an mich. Heiliger!
„Verdammt Reese, ich habe dich überall gesucht!", murmelt er in mein Haar. „Ja, du bist zu schnell gelaufen, da kam ich nicht hinter her. Du weißt doch, dass ich nicht so schnell bin, wie du...", beruhigend streiche ich über sein Haar. Doch dann wird mir die merkwürdige Situation klar, in der wir uns gerade befinden. Laut räuspere ich mich und greife nach ein paar Shorts, die draußen liegen, um sie ihm zu reichen. Verstehend schlüpft er hinein, aber irgendwie macht es die Sache nicht besser, denn die graue Hose betont nur noch mehr seinen gebräunten muskulösen Oberkörper. Schnell schüttle ich mit dem Kopf.
„Soll ich uns was zum Essen machen?", frage ich ihn und bin schon auf dem Weg ins Zelt, um uns eine Dose über dem Feuer aufzuwärmen. Es geht doch nichts über Dosen-Ravioli.  Augenverdrehend kippe ich das Zeug in einen Topf, den ich über dem Feuer aufhänge.
„Es tut mir leid, Reese.", flüstert Jake auf einmal hinter mir. Erschrocken zucke ich zusammen.
„Ach Quatsch, das muss es nicht, habe ja wieder zurückgefunden.", wenn auch eher schlecht als recht, aber das muss er ja nicht wissen.
„Nein! Der eine Wolf hat mir erzählt, dass in den Wäldern Wilderer herumlaufen. Es ist meine Aufgabe dich zu beschützen. Was, wenn etwas passiert wäre?!", erzählt er hektisch und rauft sich die Haare. Kichernd rühre ich die Ravioli um.
„Was ist so lustig?", fragt er mich verständnislos. „Jake... es ist nicht deine Aufgabe immer auf mich aufzupassen, okay? Du kannst nicht immer da sein und ich muss lernen alleine klar zu kommen, was, wenn ich auf's Collage gehe?", flüstere ich und starre in den Topf.
Jetzt als ich es ausspreche, wird mir klar, dass ich Recht habe. Ja, ich will Jake nicht verlieren und ich will auch nie ohne ihn sein, aber es führt kein Weg daran vorbei, dass wir uns irgendwann trennen müssen. Er wird immer mein Bruder sein, aber irgendwann wird er eine Familie gründen und dann ist das, dass Wichtigste für ihn im Leben.
„Aber Reese...", fängt er an, doch ich unterbreche ihn. „Jake, ich kann nicht immer hier sein und du weißt das. Irgendwann wirst du jemanden finden, den du liebst und mit der du viele hübsche Kinder kriegen wirst, dann ist das wichtigste in deinem Leben deine Familie und so sollte das auch sein. Ich bleibe dein kleiner Bruder.", versuche ich ihn begrifflich zu machen, auch, wenn sich etwas ganz tief in mir dagegen sträubt. „Aber Reese... du bist meine Familie.", abrupt hört mein Herzchen auf zu schlagen. Langsam drehe ich mich um und sehe Jake, wie er dasteht und mich mit großen Augen ansieht.
„Ich weiß...", murmle ich und schlinge meine Arme um ihn. „Ich weiß...", ich presse meinen Kopf gegen seine Schultern und versuche die Tränen, die in mir hoch kommen zu unterdrücken.

~

Stunden später liegen wir im Bett und ich versuche einzuschlafen, was mir nicht so recht gelingen will. „Jake?", flüstere ich in die Nacht. „Ja?", kommt es dumpf zurück. „Denkst du, es ändert sich viel zwischen uns, wenn du Alpha wirst?", meine Stimme ist kaum wahrnehmbar, denn eigentlich hatte ich immer Angst vor der Frage. Neben mir fängt es an zu rascheln und ich sehe wie Jake seinen Kopf neben meinen legt und auch gegen die Zeltdecke starrt. „Nein, warum sollte es?"
„Du hast dann so viele Pflichten und bist verantwortlich für ein ganzes Rudel... werden wir uns dann überhaupt noch sehen oder nur, wenn du spät abends kommst und früh wieder gehst?", unsicher sehe ich ihn an. „Reese, mach dir keine Sorgen. Ich werde immer versuchen so viel Zeit wie möglich mit dir zu verbringen. Alleine, weil du in einem halben Jahr auf's Collage gehen willst."
„Versprichst du es?"
„Versprochen!", er dreht seinen Kopf zu mir und mustert mich genau.
„Ich muss mit dir noch über etwas sprechen.", fängt er an und seine Stimmlage lässt mich aufhorchen, denn er hört sich unsicher an.
„Um was gehts?" „Das Ritual...", murmelt er. „Was ist damit?" „Du musst etwas für mich machen, denn du bist der einzige dem ich das anvertraue.", stirnrunzelnd sehe ich ihn an. „Wenn ich das Akonit zu mir genommen habe, musst du... hast du die Aufgabe... i-ich...", er räuspert sich kurz und fängt nochmal an. Seine Verunsicherung macht mir beinahe schon Angst. „Du... Du musst der jenige sein, der mich erdolcht."
„WAS?!", krächze ich und mein Atem geht unangenehm schnell.
Mein Herz zertrümmert fast meinen Brustkorb, so schnell schlägt es.
Sofort setze ich mich aufrecht hin und falle fast in eine kleine Panikattacke.  „Reese, beruhig dich!", versucht mich Jake wieder ins hier und jetzt zu bringen, doch meine Sicht verschwimmt und ich nehme seine Stimme nur noch dumpf war. Krampfhaft fasse ich mir um den Hals, da anscheinend kein Sauerstoff mehr in meine Lungen will.

„REESE!", brüllt Jake, langsam füllen sich meine Lungen wieder mit Sauerstoff und mein Herz nimmt einen schnellen, aber nicht schmerzhaften Rhythmus an. Seufzend schließe ich meine Augen. „Geht's wieder?", fragt er mich und lässt seine Augen über mein Gesicht huschen. Gott!
„Äh... J-Ja! A-Aber wie kommst du darauf, dass ich dich erdolchen würde?", frage ich ihn und versuche mich zu beruhigen. „Weil du der Einzige bist, dem ich mein Leben in die Hände legen würde und du weißt, dass das passieren wird, also bitte Reese, tu es für mich.", er sieht mich mit seinen Mitternachtsaugen an und leckt sich dann auch noch über diese furchtbar berauschenden Lippen.
Oh lieber Gott...
„J-Ja...", murmle ich und starre auf seine Lippen. „Also du machst es?", fragt er mich hoch erfreut. „Hm...", wie in Trance näherer ich mich seinem Gesicht. „Das ist toll!", sagt er und als ich kurz vor seinen Lippen bin, küsst er mich kurz auf die Wange, ehe er sich wieder hinlegt.
Mit weit geöffnetem Mund starre ich ins Nichts.
H-Hat er gerade...?
Erschöpft lasse ich mich wieder auf die Matte fallen.
Ist es strafbar seinem Bruder verfallen zu sein?

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