Kapitel 6

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Reese

Übermüdet steige ich am nächsten Morgen in den Bus. Was nicht daran liegt, dass heute Vollmond ist, sondern, ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen und habe geweint.
Sehr männlich, aber ich war wütend, hatte Angst, fühlte mich alleine und hatte extreme Sehnsucht. Mit so vielen Gefühlen auf einmal kann ich nicht umgehen. Heute Morgen war Jake nicht mehr im Haus und trotzdem hatte er mir mein Frühstück gemacht. Das treibt mir fast wieder die Tränen in die Augen. Er wollte mir doch nur helfen, aber alleine der Gedanke, was mich jetzt in der Schule erwartet, hat mich vorangetrieben. Wenn Rico ihnen erzählt hat was vorgefallen ist, werden sie das niemals auf sich beruhen lassen. Die Angst hat meinen Verstand gelähmt und somit konnte ich nur daran denken, was jetzt passieren wird. Ungewissheit ist ein lähmendes Gefühl, was einen den Verstand rauben kann und doch ist jetzt alles an was ich denken kann, Jake.
In 4 Tagen ist das Ritual, er sollte sich nur darauf konzentrieren und sich nicht noch mit meinen Problemen rumschlagen müssen. Wie ein Zombie starre ich in die Leere und bekomme nicht mal mit, was mir Willow überhaupt erzählt. Es tut mir schrecklich leid, dass ich momentan so ein schlechter Freund bin, das hat sie nicht verdient. Wie betäubt steige ich aus dem Bus und dränge mich durch die Schüler in Richtung Schule. „Hey Hähnchen, sei doch nicht so traurig. Egal was passiert ist, das wird bestimmt schon wieder.", lächelt mir Willow aufmunternd zu. Sie ist ein Engel und ihr blondes Haar bestätigt diese Vermutung nur, selbst ihre strahlend blauen Augen müssen göttlichen Ursprungs sein. Willow ist das hübscheste Mädchen, was ich kenne und aus irgendeinem Grund versteckt sie das immer hinter ihren übergroßen Pullis. Selbst unsere Schulprinzessin Stella ist nicht halb so hübsch wie sie. Doch Stella ist eine Werwölfin und somit auf der Rangliste bis oben. Hier sind einige Personen extrem rassistisch veranlagt. Seufzend schließe ich den Spind und lächle sie schwach an.
„Du hast Recht, ich werde jetzt auf die Toilette gehen und wir sehen uns dann nachher in der Cafeteria.", sage ich und verabschiede mich von ihr mit einem unserer coolen Handschläge.
In Gedanken mache ich mich auf den Weg zu unseren Schultoiletten. Ich sollte mich heute Abend bei Jake entschuldigen, denn ich halte den Gedanken nicht aus, dass wir Streit haben. Klar hatten wir mal Meinungsverschiedenheiten, aber so habe ich noch nie mit ihm geredet. Gerade als ich die Tür zur Toilette öffnen wollte, werde ich von hinten rein gestoßen.
Unsanft lande ich auf dem Boden und versuche mich schnell wiederufzurichten, doch jemand packt mich am Rucksack und schleudert mich nach hinten. Erst jetzt erkenne ich die mir leider nur zu bekannten Gesichter von Jace und seinen Freunden. Oh nein.
„Na du kleiner Pisser, hast du uns vermisst?", fragt mich Jace hoch erfreut. Er hockt sich vor mich hin und packt mein Gesicht in seine großen Hände. Kräftig schlägt er meinen Kopf an die Wand hinter mir. Ein stechender Schmerz breitet sich über meinem gesamten Kopf aus. Plötzlich werde ich von den Zwillingen rechts und links gepackt und hochgehoben. „Weißt du warum wir das mit dir machen?", fragt mich Jace gehässig. Ängstlich sehe ich ihn an und schüttle mit dem Kopf. Er packt meine Haare und reißt meinen Kopf nach hinten. „Wegen dir hat Rico eine Woche lang Hausarrest!", knurrt er mich an. Was kann ich denn dafür, wenn er nicht mal weiß wo die Kameras an seinem eigenen Haus sind?
„Hast du deinem Bruder irgendwas erzählt?" Schnell schüttle ich mit dem Kopf. „Nein?" „Er lügt Jace, ich rieche es!", sagt Michael. „Nein! Ich lüge nicht! Mein Bruder weiß von nichts, ich schwöre es!", sage ich schnell. Denn es stimmt, nur wegen dieser Lüge habe ich mit ihm gestritten. „Wollen wir ihn nicht mal lieber den Kopf waschen? Ich glaube er braucht nur eine kurze Abkühlung, um sich zu erinnern.", kichert Elio. Cisco deutet aufgeregt zu den Toiletten.
Nein! Sie würden doch nicht... oder? „Wäre eine gute Idee.", gibt ihm Jace die Erlaubnis. „Nein! Bitte! Ich sage die Wahrheit!", mit allen Kräften versuche ich mich zu währen. Ich ziehe, trete und boxe um mich, um irgendwie frei zu kommen, doch sie sind einfach viel stärker als ich. Beide drücken mich auf den Boden. Elio hält meine Arme hinter dem Rücken zusammen, während Cisco belustigt meinen Kopf immer näher ans Toilettenwasser drückt.
„Bitte!", rufe ich, doch das spornt sie noch weiter an und plötzlich werde ich untergetaucht.
Es ist abartig, ekelig und demütigend. Heiße Tränen bilden sich in meinen Augen, als sie mich wieder hochziehen. „Hast du noch immer nichts erzählt?", fragt mich Jace lachend. „Bitte!", flehe ich nur, da sie mir sowieso nicht glauben würden und wieder drücken sie mich in das kalte Wasser. Stark zappelnd versuche ich frei zu kommen, doch es bringt nichts.
Zu meinem Glück leutet die Schulklingel, was uns signalisiert, dass unser Unterricht beginnt.
Sie ziehen mich wieder hoch und werfen mich unter die Waschbecken. „Ey Leute! Ich habe eine Geniale Idee!", ruft Andru und flüstert den anderen etwas ins Ohr, was ich nicht wirklich verstehe.
Laut lachend greifen die Zwillinge wieder nach jeweils einen Arm von mir und schleifen mich aus der Toilette. Die Hoffnung, dass sie jetzt zum Unterricht gehen und mich in Ruhe lassen, zerplatzt mit einem Mal. Schleifend bringen sie mich nach draußen in den Innenhof.
Andru packt aus seinem Rucksack ein großes Seil, warum er ein Seil mit sich rumschleppt, werde ich wohl nie erfahren. Michael und die anderen machen sich daran meinen StarWars Pullover über meinen Kopf zu ziehen. Heftig wehre ich mich dagegen und versuche zu entkommen, doch Elio packt mich an den Beinen, sodass die anderen ungehindert den Pullover über meinen Oberkörper ziehen können.
„Hört auf!", versuche ich sie verbal daran zu hindern, doch sie lachen nur noch lauter. Nun packen sie mich an den Armen und Elio zieht mir meine graue Stoffhose von den Beinen. „Oh guckt mal, wie süß!", lacht er. Beschämt blicke ich auf meine hellblauen Boxershorts, auf denen kleine Bärchen gedruckt sind. Warum musste ich genau heute diese Shorts anziehen? Die Zwillinge heben mich auf und pressen mich an die große Eiche, während Andru das Seil um mich und den Baum wickelt. Schluchzend versuche ich mich zu befreien, doch es bringt nichts. Als sie fertig sind begutachten sie mich lachend und schießen ein Foto von mir. Jace kommt auf mich zu und reißt mit seinen Zähnen ein kleines Stück Klebeband ab. „Wehe du erzählst deinem Bruder auch nur irgendwas!", droht er und klebt den Streifen über meinen Mund. Still laufen mir Tränen übers Gesicht und ich beobachte, wie sie meine Klamotten hoch aufs Dach der Schule werfen und dann wieder in der Schule verschwinden. Wütend auf mich selber schlage ich den Kopf hinten gegen den Baum und brülle stumm auf.

~

Nach dem die zweite Stunde vorbei ist, kommen die ersten Kinder auf den Hof und laufen kichernd an mir vorbei. Gedemütigt schließe ich die Augen und hoffe, dass das alles ein Ende hat. Immer mehr Kinder kommen auf den Hof, kichern und schießen Fotos. Keiner kommt auf die Idee mir zu helfen. Keiner. Irgendwann kommen dann die Lehrer mit unserer Schulleiterin im Schlepptau. Vor mir bleiben sie stehen und sehen mich entsetzt an.
„Rufen sie seinen Bruder an!", befiehlt die Schulleiterin, ehe sie wieder nach drinnen geht. „Und binden sie ihn verdammt nochmal von diesem Baum. Hier gibt es nichts zu sehen, verschwindet wieder in eure Klassen.", brüllt sie.
Die Kinder werden wieder nach drinnen verscheucht und schießen trotzdem noch ein paar Bilder. Irgendwann kommt dann ein älterer Mann zu mir und entfernt den Klebestreifen von meinem Mund. „Meine Güte Junge, da muss dich aber einer hassen. Keiner hat sich getraut dich von diesem Baum zu binden.", murmelt er vor sich hin, während er versucht die Seile durch zu schneiden. Still starre ich auf den Boden und versuche die letzten zwei Stunden aus meinem Kopf zu verbannen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, ist er beim letzten Seil angekommen, genau in diesem Moment rennt Jake auf den Hof, genau auf mich zu.
Es musste ja noch schlimmer kommen.
„So Junge, nun bist du frei.", sagt der alte Mann und lächelt mich an. Zu gerne hätte ich es erwidert, aber ich bin einfach zu erschöpft.
Vor mir angekommen zieht Jake seine Lederjacke aus und schlingt sie um meinen halb nackten Körper. „Hey Reese, was ist denn passiert?", fragt er mich und nimmt mein Gesicht in seine Hände. „Es tut mir so leid, Jake. Das was ich gestern gesagt habe, habe ich nicht so gemeint.", schluchze ich und vergrabe mein Gesicht in seinem weißen T-Shirt. Mein Körper bebt an seinem und ich kralle mich immer tiefer an ihm fest, in der Hoffnung den neugierigen Blicken am Fenster zu entkommen, die sie mir schon die ganze Zeit zuwerfen.
„Schon gut.", flüstert er und hebt mich hoch, damit wir endlich hier wegkommen.

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