Kapitel 29

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Jake

Ich bin verzweifelt. Habe keine Ahnung was ich tun soll und fühle mich machtlos. Drei Wochen ist dieser Abend schon her, als Reese High nach Hause kam und nun ist er es fast jeden Tag.
Sein Gesicht wirkt eingefallen und sein Körper dünn. Selbst Willow weiß nicht was mit ihm los ist. Er lässt mich auch nicht mehr an sich ran, was mich eigentlich am meisten trifft. Er redet nicht mehr mit mir, überhaupt nicht und kommt auch nur noch spät nachts nach Hause. Die Schule hat mich schon ein paar Mal angerufen und gefragt was mit ihm sei, da er kaum noch dort erscheint. Am liebsten würde ich ihn hier einsperren, sicher unter meinem Schutz, aber ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist. Doch es muss sich etwas ändern und zwar jetzt! Weshalb ich auch in der Küche stehe und auf ihn warte. Mittlerweile war es schon fast drei Uhr morgens. Vor meinen Füßen stehen zwei Reisetaschen und das Auto ist auch schon voll betankt. Mit Henry ist schon alles geklärt, er wird die Woche auf das Rudel achten. Glücklicherweise konnten wir uns aussprechen. Nach dem er gesehen hat wie schlecht es mir ging, hat er den ersten Schritt gemacht. Zwar fand er es nicht so schön, was ich seinem Bruder angetan habe, aber er konnte meine Wut verstehen, auch wenn er noch immer denkt, dass Jace nichts damit zu tun hat. Da will ich mich aber nicht reinhängen, dafür ist mir unsere Freundschaft zu wichtig. Ungeduldig tripple ich mit dem Fuß auf dem Boden. Die Sorge um ihn frisst mich jede Nacht auf.
Jede verdammte Nacht!
Dann erklingt das verräterische Geräusch der Schlüssel. Ich höre wie jemand ins Haus schlurft und versucht die Treppe rauf zu gehen.
„Reese.", brumme ich vom Türrahmen aus und sofort hält er inne. „Sieh mich an.", meine Arme sind vor meiner Brust verschränkt und kühl sehe ich zu dem hageren Jungen auf der Treppe. Er trägt nur schwarze Klamotten, was zum extremen Kontrast zu seinen sonstigen Sachen steht. Kurz überlegt er, will dann aber wieder weiter laufen.
Knurrend rufe ich „Sofort!" und lasse meine Alpha Stimme erklingen, was ich gegenüber ihm noch nie getan habe. Ängstlich dreht er sich zu mir um und ich muss schlucken. Tiefe dunkle Augenringe zieren sein Gesicht. Müde und erschöpft sieht zu mir, doch kaum noch etwas ist von dem verspielten Jungen von früher zu sehen. „Komm her!", befehle ich und gehorchend kommt er mit hängendem Kopf zu mir.
„Sieh mich an.", langsam hebt er seinen Kopf, doch seine Augen huschen nur unruhig über mein Gesicht. „Steig in den Wagen!", ich deute mit dem Kopf Richtung Haustür.
„Warum?", seine Stimme ist leise und brüchig, etwas rau. „Weil ich es dir sage.", innerlich schmerzt es mich so mit ihm zu reden, aber es muss sein. Schwach nickend geht er wieder Richtung Tür und ich schnappe mir schnell unsere Taschen. Leichtfertig schmeiße ich diese auf die Ablage des PickUp's. Schnell steige ich in den Wagen und sehe, wie Reese sich die Kapuze über den Kopf gezogen hat.
„Wo fahren wir hin?", brummt er und verschränkt die Arme vor der Brust, ehe er seinen Kopf an die Scheibe lehnt. „Zu Grandma.", sage ich leise und starte den Motor. „Was?!", krächzt er und ist sofort hell wach. „Nein Jake! Das ist Stunden von hier entfernt. Bitte, ich muss hierbleiben, ich brauch...", als er selber merkte was er im Begriff war zu sagen, hält er inne.
„Deine Drogen brauchst du nicht mehr.", knurre ich. „Bitte Jake, bitte du verstehst das nicht. Tu mir das nicht an!", krächzt er und krallt sich in meinen Arm. Strafend sehe ich zu ihm und er verkriecht sich wieder in seinem Sitz. Beleidigt zieht er seine Kapuze noch tiefer ins Gesicht und macht sich seine Kopfhörer in die Ohren. Hoffentlich hilft ihm der Tapetenwechsel. Wir haben unsere Großmutter schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Sie hat sich damals mit unserem Vater zerstritten, warum weiß ich nicht. Doch seitdem hat sie uns nie wieder besucht, nur an Weihnachten kam eine Postkarte und ein Batzen Geld, den wir nun wirklich nicht nötig hatten, aber wahrscheinlich wollte sie uns nur einfach irgendwas Gutes tun. Reese hat das nicht verstanden und war wirklich sauer auf sie, warum sie einfach nicht mehr kam. Seufzend lehne ich mich zurück und biege auf den Highway Richtung Alabama.

~

Fast vier Stunden später fahre ich in die große Einfahrt, unter den vielen Trauerweiden hindurch, bis zu dem großen weißen Haus unserer Großeltern. Leider ist unser Großvater schon vor Jahren gestorben, aber er war auch schon wirklich alt. Langsam halte ich den Wagen an und sehe auf die große Veranda, auf der lauter exotische Blumen stehen. Schwachlächelnd sehe ich zu Reese, der schon vor Stunden eingeschlafen ist. Müde steige ich aus dem Wagen und erblicke unsere Großmutter im Beet irgendwas umgraben.
„Hey Granny.", murmle ich und erschrocken lässt sie ihre kleine Schaufel fallen. Überrascht sieht sie zu mir und fasst sich auf ihr Herz. „Jake?", flüstert sie mit großen Augen. Nickend lächle ich sie an. Erfreut steht sie auf und nimmt mich in den Arm.
Wow, es ist so ewig her.
„Es ist so schön dich zu sehen, aber sag mir, was machst du hier? Hast du nicht ein Rudel zu beschützen?", fragt sie und löst sich von mir, ehe sie meine Wange tätschelt. Erschöpft sehe ich sie an. „Was ist passiert?", sogleich ist ihr Körper in Alarmbereitschaft. Schwach deute ich Richtung Auto. „Ich habe Reese dabei. Er... Ihm geht es nicht so gut... Ich dachte, dass ihm ein paar Tage hier ganz gut tun würden.", murmle ich und streiche über meinen Bart. „Was hat er?", besorgt sieht sie zu ihm.
Wie sollte ich ihr das jetzt erklären? Ich kann doch nicht sagen, dass er ein Drogenproblem hat.
„Stress in der Schule...", gebe ich wage von mir. „Nun gut. Bring ihn ruhig rein. Anna macht dir ein Kaffee, du siehst aus als ob du einen gebrauchen könntest.", lächelt sie leicht.
Anna ist das Hausmädchen, schon seit ich klein bin. Nickend gehe ich zum Auto und öffne die Beifahrertür. Leise versuche ich den Gurt von Reese zu öffnen und sogleich fällt er mir entgegen. Sachte fang ich ihn auf und laufe mit ihm zum Haus. Leicht sabbernd, was ich mit einem Schmunzeln feststelle, vergräbt er seinen Kopf in meiner Halsbeuge. Ich habe diese Nähe zwischen uns schmerzlich vermisst. Mit dem Fuß stoße ich die Tür auf und lege Reese in ein großes weißes Bett. Vorsichtig ziehe ich ihm die Schuhe aus und schäle ihn aus seinen schwarzen Klamotten, die ich auf einen Haufen schmeiße. Nur in ein paar Boxern bekleidet, wo kleine Aliens drauf gedruckt sind, ziehe ich ihm die Decke über den Körper. Schmatzend zieht er sie enger um sich und murmelt irgendwas Unverständliches. Wie in Trance streiche ich über seine kurzen Haare, die mittlerweile ein kleines bisschen länger geworden sind. „Jake?", murmelt er. „Ich bin hier.", flüstere ich und damit fällt er wieder in einen tiefen Schlaf. Leise gehe ich zum Fenster und ziehe die Gardinen zu, um das Zimmer zu verdunkeln. Amüsiert sehe ich auf den Teddy auf einem Sessel in der Ecke. Schwach erinnere ich mich, dass er einmal Reese gehört hat und er ihn hier vergessen haben muss. Lächelnd hebe ich ihn auf und betrachte ihn. Es scheint mir so ewig her, als unser Vater gestorben ist. Ich lege den Teddy zu Reese, in der Hoffnung er schläft dadurch vielleicht besser und verlasse dann das Zimmer.
Bitte lass ihn mich nicht verlieren.

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