Kapitel 24

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Jake

Nein, das ist es nicht!
Ruckartig löse ich mich von ihm und stehe auf. „Du sollest schlafen.", ohne auf eine Antwort zu warten, gehe ich nach draußen und schließe leise die Tür hinter mir, ehe ich mich gegen diese lehne.
Oh gottverdammte Scheiße! Wieso er?

~

Ich habe die ganze Nacht kein Auge zu gemacht und nun stehe ich schon um fünf Uhr morgens in der Küche und mache sein Frühstück. Schnell schreibe ich ihm noch einen Zettel, dass ich heute früher los musste. Was so eigentlich nicht stimmt. Also setze ich mich in meinen Pick-Up und fahre einfach drauf los. Zu Henry kann ich nicht, denn ich weiß nicht, wie wir momentan zu einander stehen, was mich traurig stimmt.
Er kann nichts dafür, dass sein Bruder so ein Scheißhaufen ist. Doch genau so wie ich, liebt er seinen Bruder.
Nun gut, vielleicht nicht so innig.
Genervt schlage ich auf mein Lenkrad und halte vor einer Ampel an. Die Sonne ist eben erst aufgegangen und über die Straßen legt sich ein leichter Nebel, der alles in eine mystische Umgebung taucht. Kurz um beschließe ich zu Mark zu fahren. Er wohnt nicht im Reservat, gehört trotzdem zu unserem Rudel. Henry, Mark, Malkom, Alec und ich sind schon seit Kindheit unzertrennlich. Zwar wohnen die meisten nicht mehr in der Stadt, sei es wegen Uni oder Arbeit. Eigentlich ist Henry der einzige, der noch hier geblieben ist. Er arbeitet jetzt in der Werkstatt seines Vaters. Auch, wenn er die Möglichkeit hatte etwas anderes zu werden, wollte er in der Werkstatt arbeiten. Henry hat nun mal ein gutes Händchen fürs rumschrauben an Autos. Seufzend denke ich an die Zeit vor dem Collage, als wir jede freie Minute an meinem alten Motorrad rumgeschraubt haben. Seins war immer funktionsfähig, aber meins habe ich mehr geschoben als gefahren. Mark ist Anwalt in der nächstgrößeren Stadt geworden.
Als ich endlich in Atlanta ankomme, fahre ich zu seiner kleinen Wohnung.

Mittlerweile ist es fast 7 und ich klingle bei ihm. „Ja?", kommt es verschlafen aus der Freisprechanlage.
„Kann ich hochkommen?"
„Jake?!", fragt er überrascht. Keine Sekunde surrt es und ich kann die Treppe nach oben laufen. „Was machst du denn hier Alter? Woher wusstest du, dass ich heute meinen freien Tag habe?", im Pyjama steht er da und reibt sich die Augen. „Du hast heute frei? Das wusste ich nicht.", sage ich und bleibe vor ihm stehen. „Hm... Komm doch rein.", er tritt zur Seite und deutet auf sein Wohnzimmer.
Erschöpft lasse ich mich auf die graue Couch fallen. „Warum bist du hier Jake?", er setzt sich neben mich, als er uns beiden einen Kaffee gemacht hat.
„Ich habe... Ich... Alter, ich steck voll in der Scheiße!", angestrengt fahre ich mir durch die Haare und lasse meinen Kopf hängen. „Ist irgendwas mit dem Rudel?", fragt er sofort alarmierend.
„Nein... Es... Ich... Ach fuck!", stöhne ich und lasse mich nach hinten fallen.
Mark zieht eine Augenbraue hoch.
„Was ist passiert?"
„Nur so rein hypothetisch, du... magst jemanden, den man aber nicht mögen darf, weil es... nun ja eben nicht geht. Und du versuchst wirklich dagegen anzukommen, aber... es ist so verdammt schwer. Du weißt es ist falsch, so verdammt falsch... was würdest du tun?", unsicher sehe ich zu ihm und er sieht mich nur verwirrt an.
„Alter, hattest du was mit einer Minderjährigen?"
„Was!? Nein! Wie kommst du darauf?", geschockt sehe ich ihn an. „Keine Ahnung, aber ich weiß einfach nicht was genau du meinst." Jetzt, wo ich darüber nachdenke ist Reese erst 17.
Fuck.
„Wer ist sie denn? Name oder Aussehen, wären hilfreich.", grinst er.
„Es... ist keine...", verzweifelt kralle ich mich in mein Haar.
„Es ist keine sie.", gebe ich leise zu. Dass es sich aber um meinen minderjährigen Bruder handelt, lasse ich jetzt einfach mal außen vor. Mark's Augen sind weit aufgerissen und sein Mund schließt und öffnet sich immer wieder. Sein Gesicht hat in dem Moment Ähnlichkeit mit einem Kugelfisch. Wenn diese Situation nicht so extrem unangenehm ist, hätte ich wahrscheinlich gelacht.
„Du...?", versucht er dann.
„Ich?"
„Du bist...?"
„Ich bin?", auf was will er hinaus?
„Du bist... S-Schwul?", noch immer sieht er mich mit großen Augen an.
„Alter, versteh mich nicht falsch. Ich habe nichts gegen Schwule und wenn du es bist, ist das für mich vollkommen okay. Aber DU?!
In der Schule hast du die Weiber reihenweise flachgelegt. Nie hast du auch nur Ansatzweise von einem Jungen geredet, der dir gefällt.", versucht er seine Verwunderung zu erklären.
„Weil ich auch nie über einen Jungen so gedacht habe.", murmle ich und streiche über meine wenigen Stoppeln.
„Wer ist er?"
„Das kann ich dir nicht sagen."
„Warum nicht?"
„Weil... Weil es eben so ist."
Nachdenklich trinkt er von seinem Kaffee. „Was hast du jetzt vor?", fragt er mich schließlich. „Ich weiß nicht. Er... Es sollte nicht sein. Wahrscheinlich bin ich momentan auch nur sexuell frustriert.", versuche ich mir einzureden und verdränge die Tatsache, dass ich so über Reese schon seit Jahren denke.
Ich bin so krank!
„Vielleicht.", murmelt er.
„Und was, wenn nicht?", tief atme ich ein. „Ich weiß nicht... Wenn es nicht so ist, darf es trotzdem nicht sein. Ich... muss mich einfach von ihm f-fernhalten."
„Und du denkst das klappt?", grinst er. „Ja, wieso auch nicht.", ist ja nicht so, als würden wir unter dem selbem Dach wohnen.
Oh warte, das tun wir ja. Fantastisch.
„Du wirst schon das Richtige tun, Mann. Pass aber auf, dass du dich nicht in dir selbst verlierst.", verwirrt sehe ich ihn an. „Wie meinst du das?"
„Liebe zu unterdrücken, kann schmerzhaft sein, aber sich selbst zu unterdrücken, ist zerstörend."
„Ich werde mir Mühe geben."
„Das hoffe ich für dich."
Nun sitze ich hier und versuche einen Plan zu schmieden, mich von Reese fern zu halten. Schmerzhaft zieht sich mein Herz zusammen. Das wird nicht einfach.

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